Grenzen der Bildverwertung

Meinung

Der Fotojournalismus lebt davon, dass die Fotografierten den Fotograf*innen vertrauen. Teil dieses Vertrauens ist, dass die Fotojournalist*innen die angefertigten Bilder im Sinne der ursprünglichen Begegnung verwenden. Sofern das Recht am Bild betreffende Fragen klar sind, hat die Fotograf*in das alleinige Urheber- und Verwertungsrecht an den Aufnahmen und kann mithin alleine über die Verwendung der Bilder entscheiden. Seit der Entstehung der Pressefotografie war dies die Grundlage eines bis heute existierenden Vertrauensverhältnisses. Aber mit den Möglichkeiten der grenzenlosen Zirkulation von Bildern im digitalen und analogen Raum haben Fotojournalist*innen immer weniger Möglichkeiten, die Art und Weise der Bildverwendung zu kontrollieren. Darüber hinaus nutzen sie die multiplen Verbreitungsmöglichkeiten oft auf eine Art und Weise aus, die kritisch zu hinterfragen ist.

Felix Koltermann beim Digitalen Studientag „Bildredaktion“ Foto: Marcel Zeumer

Was heißt dies konkret? Nehmen wir einmal fiktiv an, eine freischaffende Fotojournalistin hat während der Flutkatastrophe 2021 in Westdeutschland in einem Dorf im Ahrtal das Porträt einer Mutter mit ihrem Kind angefertigt. Das Bild zeigt eine erschöpfte Frau, die in einer mit Schutt übersäten Straße mit ihrem kleinen Kind im Arm auf einem Steinblock ruht. Die Fotografin arbeitete sehr präzise und notierte sich ausführlich Informationen zur dargestellten Person und ließ dieser im nachhinein auch eine Kopie des Porträts zukommen. Da die Begegnung in einem konkreten dokumentarischen Kontext stattfand, war die Protagonistin damit einverstanden, hatte sie doch selbst ein Interesse daran, dass die Situation im Ahrtal bekannt wird.

Die Fotojournalistin vertrieb ihre Aufnahmen über eine Bildagentur. Ein Nachrichtenmagazin kaufte das Bild und brachte es als doppelseitigen Aufmacher eines Schwerpunktartikels.

Auch international wurde die Aufnahme in journalistischen Publikationen verbreitet. Nutzer*innen teilten Artikel und Bild, wodurch es viral ging. Oft wurde es mit dem Hinweis versehen, dass es sich um die Madonna des Ahrtals handele, weil es an die Figur der Pietà erinnere. Die Fotojournalistin reichte das Bild bei mehreren Preisen ein. Beim World Press Photo Award wurde es als Bild des Jahres prämiert. Weltweit wurde das Bild zur Bewerbung des Wettbewerbs auf Plakaten sowie in sozialen Netzwerken genutzt. Infolge einer Ausstellung fotografischer Positionen zur Flutkatastrophe kaufte auch ein Museum die Aufnahme an. Nur kurz darauf fand in diesem Museum eine Ausstellung über das weibliche Porträt statt, in dem dieses Bild neben künstlerischen Positionen aus der Malerei gezeigt wurde. Die Fotografin nutzte das Bild auch zur Eigenwerbung, etwa für von ihr angebotene Porträtfotografie-Workshops.

Die hier beschriebenen Verwertungsformen insbesondere von Einzelbildern sind heute – so oder so – Alltag in der journalistischen Fotografie. Denn je größer die Krise auf dem Bildermarkt, umso mehr suchen Fotojournalist*innen nach neuen Publikationsforen. Das Problem mit der grenzenlosen Zirkulation ist, dass damit ein Kontrollverlust einhergeht. Je mehr Zeit seit der konkreten Begegnung und dem Berichterstattungsanlass vergeht, umso mehr verblasst der direkte Zusammenhang zwischen der Fotografie und der konkreten Aufnahmesituation. Und umso größer wird auch der Kontrollverlust. Die Bilder erfahren multiple Kontextwandel, weg vom Dokument hin zu einem ästhetischen Produkt oder einer historischen Quelle und können zur Bildikone werden. Inhaltlich geht es immer weniger um das Geschehene und die Erlebnisse der Dargestellten, stattdessen um die Qualität des Bildes, dass für eine Vielzahl unterschiedlicher Zwecke einsetzbar ist. Auch wenn diese Kontextwandel und Bedeutungsveränderungen schon immer Teil der Zirkulation fotografischer Bilder waren, ist durch die Digitalisierung und Social Media jedes Maß verloren gegangen.

Aber wer will sich angesichts dieses möglichen Kontrollverlusts noch fotografieren lassen? Denn die Dargestellten können nicht mitentscheiden, ob sie als Fotomotiv an einer Museumswand hängen oder zum Werbebild für einen Preis werden. Selbst wenn Fotojournalist*innen sich bildrechtlich, wie im Beispielfall, auf der sicheren Seite wissen, ist die grenzenlose Verbreitung aus ethischer Perspektive problematisch. Jede Fotojournalist*in muss sich die Frage des Teilens und Verkaufens journalistischer Fotografie bei jedem einzelnen Bild neu stellen. Darüber steht die Frage, ob die bestehenden rechtlichen und berufsständischen Instrumente noch adäquate Antworten auf die hier formulierten Herausforderungen geben. Denn die multiplen und letztlich fast unendlichen Verbreitungs- und Verwertungsmöglichkeiten digitaler Bilder waren zur Entstehungszeit des Kunsturheberrechts vor mehr als 100 Jahren als bis heute gültigem Rechtsrahmen nicht absehbar. Deswegen müssen wir über neue, zeitlich auf konkrete journalistische Publikationskontexte begrenzte, Verwertungsrechte diskutieren.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »

Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen

Bereits Ende Mai haben die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Zeitungsverlegerverband BDZV begonnen. Darin kommen neben Gehalts- und Honorarforderungen erstmals auch Regelungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Sprache.
mehr »

Für mehr Konfrontation

Die Wahlen zum EU-Parlament endeten – nicht unerwartet – in vielen Mitgliedsstaaten mit einem Rechtsruck. In Frankreich, Italien, Österreich, Belgien, den Niederlanden und anderswo wurden eher euroskeptische, nationalistische, migrationsfeindliche Kräfte der extremen Rechten gestärkt. Auch in Deutschland haben 16 Prozent der Bürger*innen, mehr als sechs Millionen Menschen für die rechtsextreme, völkische AfD gestimmt – trotz NS-Verharmlosungen, China-Spionage und Schmiergeldern aus Russland. Immerhin sorgte die große Protestwelle der letzten Monate, die vielen Demonstrationen für Demokratie dafür, dass die AfD-Ausbeute an den Wahlurnen nicht noch üppiger ausfiel. Noch Anfang…
mehr »