Info-Offensive mit Personalrochaden

Portrait von Günter Herkel

Günter Herkel lebt in Berlin und arbeitet als freier Medienjournalist für Branchenmagazine in Print und Rundfunk.
Foto: Jan-Timo Schaube

Meinung

Der Weggang einiger bekannter TV-Nachrichtengesichter von der ARD zu den Privaten erregt die Branche. Schon ist in der Qualitätspresse von „Aderlass“, „Brain Drain“, gar von einer Krise der öffentlich-rechtlichen Anstalten die Rede. Die Wahrheit ist – wie oft – um einiges banaler.

Eine „Spiegel“-Headline vom 8. Juni lässt aufhorchen: „RTL greift an, die ARD blutet aus.“ Nanu! Was ist da passiert? Wurde der Rundfunkbeitrag auf Betreiben des Privatsenders und einem Bündnis von CDU-AfD Sachsen-Anhalt endgültig gekippt? Verliert die ARD ihr weltweites Korrespondentennetz an die Kölner? Gemach, liebe Freunde des öffentlich-rechtlichen Qualitätsjournalismus, ganz so schlimm kommt es vorläufig nicht. „Tagesthemen“-Moderatorin Pinar Atalay zieht es von den Öffentlich-Rechtlichen aus Hamburg zum Privatsender nach Köln. So what? Dort ist inzwischen auch der einstige „Tagesschau“-Chefsprecher Jan Hofer gelandet – er möchte sich wohl im Alter noch etwas dazuverdienen.

Gleichzeitig gab sein neuer Sender kurz hintereinander die Trennung von DSDS-Zampano Dieter Bohlen und Zotenreißer Oliver Pocher bekannt. Hofer statt Bohlen? Atalay statt Pocher? Ausgerechnet bei RTL? Wie das? „Information und gesellschaftliche Relevanz sind seit Jahrzehnten starke Programmfarben bei RTL und werden in Zukunft eine noch wichtigere Rolle für uns spielen“, belehrt uns RTL-Geschäftsführer Henning Tewes. Ach so. Und wir dachten immer, Kernkompetenz der Kölner seien Geschichten über ungezieferspeisende Dschungelbewohner*innen, Bauern, die Frauen suchen und magersüchtige Kleiderständer. Luft nach oben gibt es bei RTL in Sachen Information allemal. Laut Programmanalyse 2020 machten Angebote dieser Sparte bei den Kölnern gerade mal 21 Prozent der Gesamtsendezeit aus, bei der ARD waren es 43 Prozent.

Fast zeitgleich gab auch „Tagesschau“-Sprecherin Linda Zervakis ihren Abschied zu ProSieben bekannt. Dass eine Journalistin, deren Job bislang hauptsächlich darin bestand, Nachrichten einigermaßen unfallfrei vom Blatt oder Teleprompter vorzulesen, sich auch mal einer anderen beruflichen Herausforderung stellen möchte, ist verständlich. Deshalb aber gleich von einem „Brain Drain“ beim Ersten zu schwadronieren, erscheint doch reichlich übertrieben. Vielleicht ist es einfach so, dass die Kolleg*innen bei den werbefinanzierten Privaten mehr verdienen können als bei den nach der Gebührenblockade gegenwärtig etwas gehemmten Öffentlich-Rechtlichen. Würden ARD und ZDF sich an einem überhitzten Transferpoker beteiligen – das Geschrei wäre groß: Verschwendung von Beitragsgeldern, unlauteres Konkurrenzverhalten gegenüber Marktabhängigen – man kennt das.

Was steckt tatsächlich hinter der „Informationsoffensive“ der Privaten? Der Schlüssel für diesen Strategiewechsel könnte in einem Passus des Ende 2020 verabschiedeten neuen Medienstaatsvertrags liegen. Paragraf 84 („Auffindbarkeit in Benutzeroberflächen“) sieht vor, dass Sender, „die in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt im Bundesgebiet leisten, …leicht auffindbar zu sein“ haben. Weniger Trash und mehr Info gleich mehr Sichtbarkeit auf der Fernbedienung – so das leicht durchschaubare Kalkül von RTL und ProSieben. Erst recht in einem Superwahljahr.

Die offenbar kurzfristig angesteuerte Mutation vom Krawallsender zum mehr oder weniger seriösen Infoprogramm birgt allerdings Risiken. Die bisherige werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen könnte da möglicherweise nicht mitspielen. Liebhaber von Proll- und Reality-TV lassen sich schließlich nicht so einfach in die Oper locken. Sollten die Quoten aufgrund dieser Schocktherapie in den Keller gehen, dürfte der Info-Offensive der Privaten schnell der Stecker gezogen werden.

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