Meinung
Und doch haben viele Medien hierzulande davor zurückgescheut, die Fotos aus Butscha zu zeigen. Manche zeigten nur bestimmte Bilder, auf denen keine Toten zu erkennen waren. Andere verpixelten das Grauen, bis es erträglich war. Und auf Twitter, Facebook und Co waren ohnehin Filter und Warnungen automatisiert eingebunden. Viele Redaktionen diskutieren nun: Was kann, darf, soll und muss man vielleicht zeigen – und was nicht?
Es ist wichtig und richtig, diese presseethische Frage in diesen Tagen zu diskutieren. Eigentlich führt kein Weg daran vorbei. Dabei gibt es zwei wesentliche Argumente, die jede Journalistin und jeder Journalist verantwortlich gegeneinander abwägen muss:
Erstens, die Macht von Bildern ist oft größer als die von reinem Text. Erst die Bilder bringen die oft kaum fassbare Bedeutung einer Nachricht auf den Punkt. Vielen Menschen hat sich das Foto des nackten Mädchens Kim Phúc, das als “Napalm-Mädchen” in die Geschichte einging, fest ins Gedächtnis eingebrannt. Dieses Foto demonstrierte das Grauen des Vietnamkriegs wie kaum ein anderes. Zugleich überschreitet es so viele Grenzen, zeigt es doch ein kleines Mädchen, völlig nackt, die Scham ist gänzlich unbedeckt, völlig ausgeliefert in einer Gewaltsituation. Das Mädchen hat Todesangst, schreit, weint – ihr Gesicht ist gut erkennbar.
Immer wieder wird heute bei Beschwerden über die Veröffentlichung von Kriegsbildern in der Presse eine leidenschaftliche Diskussion im Deutschen Presserat über die Grenzen bei dieser presserechtlich heiklen Frage geführt. Immer wieder lautet die einhellige Antwort: Obgleich dieses Bild so vieles zeigt, das eigentlich nicht gezeigt werden sollte, so durfte es doch veröffentlicht werden. Weil seine Aussagekraft und Wirkung so viel stärker ist als alle anderen ethischen Gegenargumente. So lange das öffentliche Interesse, über die Ausmaße des Kriegs zu informieren, sowie das Informationsinteresse der Leserschaft überwiegt, ist eine Veröffentlichung zulässig. Es kommt auch immer auf den Kontext an. Denn laut Ziffer 11 des Pressekodex‘ sollen Redaktionen darauf achten, dass Opfer durch die mediale Darstellung nicht zusätzlich herabgewürdigt werden.
Aus diesem Grund durfte auch das Bild des toten Flüchtlingsjungen Alan Kurdi, der im September 2015 auf der Flucht ertrank und dessen Leichnam an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt wurde, veröffentlicht werden. Auch dieses Bild hatte Macht, zeigte es doch das gesamte Elend der Flüchtlingskrise und die Schuld des sich abschottenden Europas wie kaum ein anderes.
Fotos wie diese schmerzen. Es ist nicht leicht, in den Redaktionen die richtigen Entscheidungen zu treffen – auch und gerade angesichts der Bilderflut, gerade auch im Ukraine-Krieg.
Und das lenkt zweitens zum Argument, zurückhaltend zu sein: Denn die Vielzahl der wichtigen Bilddokumente führen beim Publikum zu einer Abstumpfung. Kriegsbilder aus Afghanistan, Syrien, dem Nahen Osten – sie berühren viele zwar immer noch. Aber sie erschrecken viele Menschen eben auch nicht mehr. Es besteht das Risiko, dass ein Gewöhnungseffekt eintritt – und das Interesse einem Desinteresse weicht. Genau das aber wäre fatal. Soll man auf das Zeigen der Kriegsbilder daher verzichten? Vielleicht sogar gar nicht mehr so genau hinsehen, weil auch jegliche Form der Berichterstattung das Publikum früher oder später ermüden wird? Auf keinen Fall! Und zwar nicht nur, weil Journalismus die Aufgabe hat, hinzusehen und Öffentlichkeit zu schaffen.
Aber es ist Aufgabe eines verantwortungsvollen Journalismus, genau abzuwägen. Von Einzelfall zu Einzelfall. Dazu zählt zu prüfen, ob der Persönlichkeitsschutz der abgebildeten Opfer über dem öffentlichen Interesse steht – und ob die Menschenwürde gewahrt bleibt. Ein Blick in den Pressekodex ist dabei unverzichtbar.