Bestandsaufnahme Neue Medien

Ein Aufruf zur Diskussion/Leserforum

Die Gründe, weshalb Journalisten zu Multimedia aufgebrochen sind, mögen vielfältig gewesen sein. Viele waren von der Technik begeistert. Andere nutzten die neue Möglichkeit, weil man vom Zeilenhonorar allein nicht leben kann. In den Redaktionen wurden die, die sich am Computer am geschicktesten anstellten, in den Online-Bereich „abkommandiert“. Und mancher glaubte auch an die euphorische Botschaft, das World Wide Web mache die Welt demokratischer.

Sehr schnell hatten sich die Freien daran gewöhnt, noch eben schnell am letzten Tage kurz vor Redaktionsschluss ihren Artikel zu mailen. Das Recherchieren im Internet gehört inzwischen zum journalistischen Handwerk. Und wenn man mal irgendwo im Urlaub keinen Internetzugang hat, um diese oder jene Verkehrsverbindung herauszufinden oder irgendeine Buchung gleich online zu erledigen, dann registriert man bereits Entzugserscheinungen. Multimedia ist längst selbstverständlicher Lebensbestandteil.

Nachdem wir angekommen sind, wird es Zeit für eine erste Bestandsaufnahme. Was haben die Neuen Medien, die inzwischen so neu nicht mehr sind, uns tatsächlich gebracht?

Längst finden Messen und Kongresse statt, da könnte man meinen, das Internet sei lediglich für den E-Commerce erfunden worden. Da die CD-ROM dafür nur wenig taugt, sei sie bereits überholt. Auf der Frankfurter Buchmesse konnte man sich vom Gegenteil überzeugen. Kinder-CD-ROMs, Lexika, Lernsoftware gehören mittlerweile zum Angebotsspektrum vieler Verlage.

Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Multimedia-Einsatzbereiche, die sich nicht aufs Internet beschränken, sondern Terminals, CD-ROMs, DVDs ebenfalls nutzen – in Museen, in der Kunst, für Leitsysteme, Firmenpräsentationen, Produktvorstellungen, Personalschulungen, Marketingkampagnen …

Nicht alles sind Aufgaben für Publizisten. Außerdem sind die Übergänge zwischen Journalismus und Public Relations in diesem Bereich noch fließender. Multimediaagenturen nehmen ihre Aufträge in Abhängigkeit von ihren Multimedia-Kernkompetenzen an und sortieren nicht nach journalistischem und PR-Anteil der redaktionellen Aufgaben. Da viele Journalisten ohnehin auch im PR-Bereich arbeiten, kann man damit sicherlich leben. Doch es gibt eindeutige Schattenseiten. Dass die Redaktionen und Verlage die Beiträge mittlerweile digitalisiert erhalten, ohne dass die immer teurer werdende technische Grundausstattung journalistischer Arbeit durch das Honorar ausgeglichen wird, wurde schon diskutiert. Aber nicht nur dort, wo der Sozialabbau die Journalisten selbst trifft, sollten sie aufmerksam bleiben. Was ist denn nun aus den Hoffnungen auf Demokratisierung durch das Internet geworden?

Das Sozialamt zahlt keinen Computer, einen Internetzugang erst recht nicht. Noch nicht, meinen Optimisten, einen Fernseher habe heutzutage auch jeder Sozialhilfeempfänger, und es gäbe ja schon manchmal Computer umsonst. – Allerdings sind Gratiscomputer meist mit bestimmten Werbeeinblendungen verbunden, und Werbung hat nur Sinn, wenn der Adressat die beworbenen Produkte auch bezahlen kann. Der Durchschnitts-Onlineshopper hat ein Nettoeinkommen von 4.000,- DM. Ohne die soziale Brisanz einer derartigen Entwicklung leugnen zu wollen, konstatierte Peter Kabel von Kabel New Media auf dem Fachkongress für digitale Marketing-Kommunikation „komm“: „Es gibt Leute, die haben viel Zeit und wenig Geld, die besorgen sich alles lieber selbst – die sind für den Verkauf uninteressant. Und es gibt Leute, die haben Geld, aber keine Zeit – die sind für den E-Commerce interessant.“ 150.000.000 Internet-Usern stehen 6.000.000.000 Menschen Gesamtweltbevölkerung gegenüber. Das heißt, nur 2,5 Prozent der Weltbevölkerung sind tatsächlich im Internet. – Kaum eine Basis für mehr Demokratie.

Es geht nicht darum, zu Spendenaktionen für Leute ohne Computer und E-Mail-Adresse aufzurufen. Wichtig ist vor allem, dass bei aller Freude über die neuen Möglichkeiten zum Brötchenverdienen man zunächst einmal sehr genau beobachtet, was sich da an gesellschaftlichen Trends abzeichnet. Journalisten sollten diese Trends erst einmal thematisieren, damit eine Diskussion darüber in Gang kommen kann.


  • Petra Strehle, Düsseldorf

 

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