TikTok bevorzugt rechte Inhalte

TokTok-App auf Smartphone

TikTok ist ein soziales Netzwerk, um kurze Videos hochzuladen Foto: Unsplash

In den erweiterten Suchvorschlägen der Videoplattform TikTok taucht die AfD häufiger auf als andere Parteien. Über 20 Prozent der Vorschläge sind extremistisch oder dessen verdächtig. Die Plattform tut wenig, um politische Inhalte zu moderieren oder Suchvorschläge zu sortieren. Das ist gerade im Kontext von Wahlen ein Problem, finden die Autor*innen einer aktuellen Studie.

Wer vor den Landtagswahlen am kommenden Sonntag in Sachsen und Thüringen auf TikTok beispielsweise nach „Grüne Sachsen“ sucht, landet schnell bei den Suchvorschlägen „afd sachsen“ oder „alice weidel über solingen“. Nach der Partei „Linke Sachsen“ gesucht, schlägt die Videoplattform neben Verweisen zur AfD vor, Videos zum Thema „linksgrünversifft“ zu suchen.

Das ist kein Zufall, zeigt eine aktuelle Studie der Nonprofit-Organisationen „AI Forensics“ und „Interface“. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass im parteienvergleich die AfD deutlich präsenter auf der Plattform ist als andere Parteien. In ihrer Studie haben die Autor*innen die vorgeschlagene Suchfunktion von TikTok untersucht. Sie führten im vergangenen Jahr eine Umfrage zur Suchfunktion unter jungen Menschen durch und vor dem Europwahlkampf in diesem Jahr haben sie über vier Wochen rund 90.000 Suchempfehlungen gesammelt. Überproportional oft wurden dabei bei Suchen zu Politikern anderer Parteien in den Suchvorschlägen Inhalte der Afd empfohlen.

Bei politischen Inhalten moderiert TikTok kaum

Als Erklärung ziehen die Autor*innen heran, dass die AfD und ihre Kandiat*innen die aktivste politische Partei auf TikTok ist. Demnach ist es folgerichtig, dass Videos und Inhalte ihrer Kandidat*innen vom Algorithmus der Videoplattform weiterempfohlen werden. „Das ist das klassische Populismus-Ding, was bei den sozialen Plattformen so gut verfängt. Dinge, die aufsehen erregen, führen zu Klicks und dadurch wird es vom Algorithmus bevorzugt“, sagt der Co-Autor der Studie, Dr. Martin Degeling, im Gespräch mit M. Der Informatiker arbeitet bei Interface, einem Thinktank für Informationstechnologien, früher Stiftung Neue Verantwortung. Problematisch findet er, dass TikTok keine Verantwortung dafür übernimmt, den politischen Diskurs auf ihrer Plattform zu moderieren. Auch wie der Algorithmus funktioniert sei intransparent.

Dass die Funktion der vorgeschlagenen Suchbegriffe die ungleiche Präsenz politischer Parteien auf der Plattform noch weiter verschärft, scheint TikTok egal zu sein. „Andere Soziale Medien wie YouTube haben beispielsweise verifizierte Inhalte hervorgehoben. TikTok macht das gar nicht – hier zählen likes und follower. Inhalte und Qualität spielen in der Sortierung der Suchergebnisse keine Rolle“, so Degeling.

Fake News bleiben hängen

Die Studie zeigt auch, dass in den Suchfunktionen Inhalte vorgeschlagen werden, die oftmals in die Richtung von Fake News gehen. So werden in den vorgeschlagenen Suchbegriffen prominente Menschen mitunter für tot erklärt etwa „dj ötzi tot“ – der österreichische Schlagerstar lebt allerdings noch. Oder es werden Verknüpfungen gezogen, die Botschaften aus dem Verschwörungsbereich suggerieren sollen. So zum Beispiel bei der Suche nach „Sozialdemokratische Partei Deutschland“. Eine vorgeschlagene Suche lautet: „Deutschland muss deutsch bleiben.“ Auch aus diesem Grund ziehen die Autoren der Studie das Fazit, dass das Suchempfehlungssystem eine systemische Gefahr für den öffentlichen Diskurs darstellt und damit für die Demokratie an sich.

Gerade bei jungen Menschen ist TikTok beliebt. Eine Umfrage von Adobe aus dem Jahr 2024 zeigt, dass 1 von 10 Menschen der Generation Z – also den Jahrgängen 1995-2010 – sich eher auf TikTok als Suchmaschine verlässt denn auf google. In der TikTok-Studie haben die Autor*innen einen Fokus auf die Meinungsbildung von jungen Menschen gelegt. Dazu haben sie bereits im vergangenen Jahr 1.647 junge Menschen nach ihrem Nutzerverhalten befragt. Was dort vor allem auffiel war, dass ihnen vorgeschlagene Suchfunktionen im Gedächtnis blieben – auch wenn sie inhaltsleer oder falsch waren. „Junge TikTok Nutzer*innen in Deutschland zwischen 18 und 25 Jahren bekommen ein verzerrtes Bild der Realität durch das Betrachten der vorgeschlagenen Suchbegriffe. Das hat einen negativen Effekt auf den öffentlichen Diskurs“, heißt es deswegen in einer Zusammenfassung der Umfrage.

Beeinflussung von Wahlen

Bei der jüngsten U18-Landtagswahl in Sachsen des Kinder- und Jugendrings ist die AfD bei mehr als 9000 Wähler*innen mit 34,5 Prozent deutlich stärkste Kraft im Freistaat geworden. Die zweitplatzierte CDU kam auf rund die Hälfte der Stimmen. Ob Menschen durch Suchvorschläge oder die Überpräsenz der AfD auf TikTok bei politischen Wahlen beeinflusst werden, ist wissenschaftlich nicht klar zu sagen. Studienautor Martin Degeling findet aber: „Dadurch dass die AfD so eine starke Präsenz auf der Plattform hat, führt es dazu, dass Menschen deren Inhalte vor den Landtagswahlen wahrnehmen – egal bei welcher Parteipräsenz“.

Da gebe es keine Chancengleichheit im Parteienwettbewerb wie etwa sonst bei den öffentlich-rechtlichen Medien, wo rechtlich geregelt ist, wer wie viel Sendezeit bekommt. Der öffentlich-rechtliche Sender MDR hat beispielsweise ein sogenanntes Wahlkonzept vor den Landtagswahlen veröffentlicht, um faire Berichterstattung zu gewährleisten. Bei TikTok entscheidet aber der Algorithmus. Laut dem Europäischen Digital Services Act sind Soziale Medien aber eigentlich dazu verpflichtet zu verhindern, dass die Plattform einen negativen Einfluss auf die öffentliche Debatte hat. Die vorliegende Studie bietet dafür Indizien und zeigt, dass TikTok nicht auf Ausgewogenheit der politischen Debatte auf ihrem Medium achtet. Auch deshalb findet Martin Degeling, dass TikTok besonders vor Wahlen wie den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, mehr moderieren und ausgeglichener agieren sollte. „Das tun sie aber nicht“.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Ansätze der Wahlberichterstattung

Berichten über Landtags- oder Kommunalwahlen. Wie geht das? Im M – Medienpodcast mit Danilo Höpfner erklärt der Journalist Benjamin Denes, Geschäftsführer der Electronic Media School in Potsdam-Babelsberg, welchen Herausforderungen sich Journalist*innen im Zuge von Wahlberichterstattung ausgesetzt sehen und wie sie mit diesen fachlich genau umgehen können.
mehr »

Immerhin gibt es Presse

Der Iran gehört zu den repressivsten Ländern weltweit für Journalist*innen. Hunderte wurden strafverfolgt, inhaftiert oder hingerichtet. Medien unterliegen systematischer staatlicher Kontrolle, das Internet wird umfassend zensiert und überwacht. Dennoch wird viel über den Iran berichtet und viele Iraner*innen nutzen soziale Medien. Es gibt einen öffentlichen politischen Diskurs. Ein Gespräch mit dem Historiker Arash Azizi.
mehr »

Schon entdeckt? Gazer

„Viel Spaß beim Gaffen!“ wünscht das Redaktionsteam des Hamburger queerfeministischen Erotikmagazins seinen Leser*innen. Soeben ist die dritte Ausgabe erschienen. Es gibt Interviews mit Drag Queens und Erotikfotograf*innen, Comics und empowernde Fotostrecken, Ratgeber zu Selbstbefriedigung und toys zur Selbstbefriedigung. Das Magazin will informieren, aufklären, anregen und Lust machen. Besonders wichtig ist es den Herausgeber*innen, Raum für diverse Körper und Lebensentwürfe zu schaffen.
mehr »

Filmtipp: Die Schule der Frauen

Für Marie-Lou Sellems dokumentarisches Debüt blicken fünf Kolleginnen, die in den Achtzigern an der Essener Folkwang-Schule Schauspiel studiert haben, auf ihre Karriere zurück. Erst spät, dann aber umso intensiver beschäftigt sich der Film mit der Frage, warum Schauspielerinnen ab einem gewissen Alter keine Rollen mehr bekommen.
mehr »