Dubiose Haltung von Ermittlern zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Eigentlich sollte dies eine knappe Meldung über einen Teilerfolg werden: Der Verdacht einer Straftat, der seit April 2003 auf dem Dortmunder Journalisten und Landessprecher der VVN-BdA Ulrich Sander lastete, ist jetzt ad acta gelegt. Das Ermittlungsverfahren, in dessen Verlauf sämtliche Computerdaten beschlagnahmt wurden, ist nach mehr als zwei Jahren sang- und klanglos eingestellt worden. Und weitere Fälle der amtlichen Daten Freibeuterei sollten hellhörig machen.
Es ist amtlich, dass Ulrich Sander mit gefälschten Schreiben auf dem Kopfbogen des Leiters einer staatsanwaltlichen Zentralstelle, die an ehemalige Gebirgsjäger verschickt worden waren, nichts zu tun hat. Dass es sich bei der Anzeige um eine Retourkutsche gegen den engagierten Antifaschisten handeln könnte, der seit Jahren Material zu ungesühnten Greueltaten der Gebirgsjägertruppe im zweiten Weltkrieg sammelt, lag von Beginn an nahe. „Die verlorene Ehre des Rechercheurs“, wie unser Bericht in «M»3 / 05 überschrieben war, ist nun zumindest soweit wiederhergestellt. Allerdings: Die „illegale Ausforschung von Rechercheergebnissen unter strafrechtlichem Vorwand“, die die dju im Falle Sander angeprangert hatte, ist nicht vom Tisch. Im Zuge der Ermittlungen gegen Sander wegen vermeintlicher Amtsanmaßung, später Verleumdung, hatte die Polizei bei einer Hausdurchsuchung dessen Computer beschlagnahmt. Die Daten wurden von der Staatsanwaltschaft kopiert „und das Gerät zügig wieder zurückgegeben“, wie sich die Justiz später zugute hielt. Die Festplattenkopie, deren Rückgabe Sander vehement forderte, sollte schließlich vernichtet werden. Jetzt wird sie nach Aussage von Oberstaatsanwältin Dr. Ina Holznagel bei den Ermittlungsakten verbleiben, weil sie „legal erhoben“ worden sei, berichteten die „Ruhrnachrichten“. Sander hat mehrfach die Befürchtung geäußert, dass die Daten, die sein eigenes Archiv, aber auch die Namen von über Tausend Mitgliedern der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Landesverband Nordrhein-Westfalen enthielten, zwischenzeitlich nach § 18 Bundesverfassungsschutzgesetz an die Geheimdienste weitergegeben worden sein könnten. Ein Verdacht, den die Justiz bis heute nicht ausgeräumt hat.
Eingriff in die journalistische Schaffensfreiheit
Dem Fall von amtlicher Daten-Freibeuterei, speziell in linken Gewässern, fügen sich mittlerweile zwei weitere an. Nummer 1: Der Historiker und Journalist Dr. Nikolaus Brauns, der im Auftrag der Tageszeitung „junge welt“ am Abend des 2. Juni ein Wahlkampfvorbereitungstreffen der NPD in München beobachtet hatte, das von jungen Antifaschisten mit lauten „Nazis raus!“-Rufen gestört wurde, bekam – nachdem er zunächst von der Polizei als Zeuge befragt worden war – noch in der Nacht Besuch des Staatsschutzes. Wegen „Gefahr im Verzuge“ beschlagnahmte man ohne richterlichen Beschluss seinen Computer, Notebook, Handy und Terminkalender sowie zahlreiche dienstliche und private Notizen. Der Journalist wurde unter dem Vorwurf des Haus- und Landfriedensbruchs zeitweilig festgenommen. Die Justiz hatte sich offenbar binnen Stunden die Sicht von vorbestraften NPD-Funktionären zu eigen gemacht, die verbreiteten, Brauns habe das störende linke „Rollkommando per Handy zusammengetrommelt“. Er wird seither von Neonazis massiv bedroht. Die Justiz, die Nikolaus Brauns jetzt „versuchte gefährliche Körperverletzung“ vorwirft, machte ihn zudem über Wochen nahezu arbeitsunfähig, weil ihm Hard- und Software als „Original-Beweisstücke“ weiter vorenthalten werden. Als sich der Beschuldigte vom eigenen Rechner wenigstens eine CD mit unverzichtbaren Unterlagen brennen durfte, erkannte er, wonach die Ermittler offenbar seine Daten durchstöberten, darunter auch Suchbegriffe wie „Rote Hilfe“, SDAJ und SAM (Sozialistische Aktion München). Brauns‘ Rechtsanwalt Michael Sack hält die Beschlagnahme, die „offensichtlich mit dem Ziel, Hintergrundmaterial über linke Strukturen zu sammeln“ erfolgt sei, für „unverhältnismäßig“ und einen „Eingriff in die journalistische Schaffensfreiheit“.
Fall Nummer 2: Am 5. Juli wurde in Bochum morgens um 6.30 Uhr zeitgleich eine Hausdurchsuchung bei drei Machern des Internetportals LabourNet Germany gestartet. Bei Chefredakteurin Mag Wompel, Redakteur und Vorstandsmitglied Ralf Pandorf sowie Wolfgang Schaumberg, Vorstandsvorsitzender des Trägervereins, wurden sämtliche Computer, CDs, Disketten und Teile des archivierten Schriftverkehrs beschlagnahmt. Der Durchsuchungsbeschluss war mit dem Verdacht auf Urkundenfälschung begründet. Nur, dass das Corpus delicti, ein offenbar gefälschtes Schreiben, das bereits im Dezember 2004 als Postwurfsendung verteilt worden war, gar keinen Hinweis auf LabourNet enthält.
Furcht um Informantenschutz
Zu diesem Schluss musste Ralf Pandorf eine Woche später bei seiner ersten polizeilichen Vernehmung kommen. Da waren die Computer zwar schon zurückgegeben. Denn die LabourNet-Macher – ihr Netzwerk für Bildung und Kommunikation mit Internetplattform und Newsletter ist ein erklärter Treffpunkt der gewerkschaftlichen Linken – förderten in eigenen Recherchen binnen kurzem das Bekennerschreiben eines „Kommandos Paul Lafargue“ vom Dezember 2004 zutage. Es belegt, dass die Arbeitsagentur Bochum Opfer einer Fälschung geworden war. LabourNet wird von den Bekennern nur in einem Verweis erwähnt. Die beschlagnahmten CDs, Disketten und die wichtige Korrespondenz mit Mitgliedern und Sympathisanten liegen aber immer noch bei den Ermittlern. Die Beschuldigten sehen das „Recht auf Freiheit der Presse in höchstem Maße verletzt“ und fürchten, so Pandorf, auch um den Informantenschutz. Diese Befürchtung teilt die dju in ver.di. Sie sieht in dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft einen Verstoß „gegen Rechtsgrundsätze, insbesondere der Presse- und Informationsfreiheit“. „Mit seinem Informations- und Diskussionsangebot leistet LabourNet Germany einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Öffentlichkeit sozialer und politischer Initiativen, die sonst in den Medien kaum oder gar kein Gehör finden. Die dju in ver.di versichert Verein und Redaktion von LabourNet Germany ihre Solidarität und fordert die umgehende Einstellung des Verfahrens und Rückgabe aller einbehaltenen Unterlagen und sowie die nachweisliche Vernichtung aller eventuell gefertigten Kopien“, heißt es in einer Pressemitteilung.
Zusätzliche Brisanz gewinnen die Fälle von München und Bochum, weil sie nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts datiert sind, das den Zugriff auf Computerdaten im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen sinnvoll beschränkt. Die Karlsruher Richter wiesen die Behörden darin an, nur Daten zu beschlagnahmen, die für das jeweilige Verfahren von Bedeutung sind. Speziell sahen die Verfassungshüter in der „Durchsuchung und Sicherstellung des vollständigen Datenbestandes von Berufsgeheimnisträgern“ – geklagt hatten Rechtsanwälte und Steuerberater – einen erheblichen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung. Auch um die Rechte Dritter zu schützen, sei bei Ermittlungen „eine sorgfältige Sichtung und Trennung der Daten je nach ihrer Verfahrensrelevanz geboten“. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, so die Richter, müsse „strikt beachtet“ werden. (Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 12. April 2005, 2 BvR 1027/02).