Digitalcourage klagt gegen Staatstrojaner

Am Dienstbriefkasten des Bundesverfassungsgerichts: Rena Tangens, padeluun, Prof. Dirk Roggenkamp und Prof. Frank Braun (v.l.)
Foto: Digitalcourage/Mischa Burmester

„Die Große Koalition hat Staatstrojaner in die Strafprozessordnung gebracht, wir klagen dagegen“, heißt es bei Digitalcourage. Der Verein hat am 7. August in Karlsruhe eine entsprechende Verfassungsbeschwerde eingereicht.
 Die Beschwerdeführer_innen fordern, mehrere Absätze in den Paragraphen 100a, 100b und 100d der Strafprozessordnung (StPO) für verfassungswidrig und nichtig zu erklären, da sie unverhältnismäßig in das IT-Grundrecht und das Fernmeldegeheimnis eingriffen.

Die Beschwerdeführer_innen fühlen sich selbst potentiell durch den Einsatz von Staatstrojanern bedroht. Es sind:
 Rena Tangens und padeluun als Digitalcourage-Gründer und Netzpionier_innen, die sich für Verschlüsselung einsetzen,
 und der Rechtsanwalt und Publizist Dr. Rolf Gössner aus Bremen, der fast 40 Jahre rechtswidrig durch den Verfassungsschutz überwacht wurde. Außerdem der Fachanwalt für Strafrecht Christian Mertens aus Köln
, der Strafverteidiger Prof. Dr. jur. habil. Helmut Pollähne aus Bremen und schließlich
 der Autor Marc-Uwe Kling aus Berlin. Sie wenden sich gegen § 100a Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 3 bis 6, § 100b sowie § 100d Abs. 1 bis 3 und Abs. 5 StPO in der Fassung nach dem „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“.

Der Liedermacher, Kabarettist und Autor Marc-Uwe Kling erklärt seine Betroffenheit von dem Gesetz mit seinen Publikationen: Seine Känguru-Trilogie handele ausführlich von seinem Zusammenleben in einer Wohngemeinschaft mit einem kommunistischen Känguru. Dieses habe nach eigener Aussage auf Seiten des Vietcong gekämpft, will das System umstürzen und betreibt einen Boxclub („Nazis boxen“). Auf Grund einiger absurder Erlebnisse anderer Beschwerdeführer mit der Polizei liegt für Kling die Befürchtung nahe, dass Strafverfolgungsbehörden das Känguru nicht als Romanfigur erkennen, sondern es als Täter einer der so genannten Anlasstaten einstufen und es dann Betroffener einer Online-Durchsuchung oder Quellen-Telekommunikationsüberwachung wird.

Trotz des bitteren Humors – Staatstrojaner seien eine ernste Bedrohung für die freiheitliche Demokratie. Die Beschwerdeführer_innen warnten bei einer Pressekonferenz vor dem Abbau des Rechtsstaats durch ausufernde Überwachung und vor Gefahren für die IT-Sicherheit. Um die Schadsoftware zu installieren, würden Sicherheitslücken in Hard- und Software von Geräten ausgenutzt. Diese stehen dann weiterhin offen – auch für Geheimdienste und Kriminelle. „Das Gesetz dient nicht der Sicherheit, es gefährdet sie. Der Staat sollte Sicherheitslücken nicht ausnutzen, sondern dafür sorgen, dass sie geschlossen werden.“ meinte padeluun. Rena Tangens kommentierte: „Wer Smartphones heimlich beobachtet, forscht letztlich die Gedankenwelt der Nutzer aus und kann Persönlichkeitsbilder erstellen, die umfangreicher, gläserner nicht sein können.“ „Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und die Online-Durchsuchung überschreiten die äußerste Grenze (rechts)staatlicher Ausforschung der Intimsphäre zum Zweck der Strafverfolgung bei weitem“, ergänzte Prof. Dr. Jan Dirk Roggenkamp. Ausgearbeitet wurde die Verfassungsbeschwerde von den Klagevertretern Meinhard Starostik †
, Prof. Dr. Jan Dirk Roggenkamp
 und Prof. Dr. Frank Braun.

Beim Verfassungsgericht ist bereits eine andere Beschwerde gegen den Staatstrojaner anhängig (dpa). Der Bundesverband IT-Sicherheit (TeleTrust) hatte 2017 eine Klage angekündigt. Auch die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) bereitet eine Verfassungsbeschwerde vor. Die FDP will ebenfalls klagen, wie Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte.

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