Eine unheilige Allianz

Presse und Justiz contra freie Meinungsäußerung in Frankfurt

Der Verein „Business Crime Controll“ (BCC) hat zu Solidaritätsaktionen aufgerufen, um das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit zu verteidigen. Ökonomisch potente Unternehmen überzögen Bürgerrechtler mit Prozessen, um sie in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben und mundtot zu machen, so der Vorsitzende von BCC und Wirtschaftskriminologe an der Frankfurter Fachhochschule, Hans See.

Die aktuelle Kampagne des Vereins kritisiert die Berichterstattung über den Vorsitzenden des Frankfurter Mieterbündnisses City West, Ralf Harth. Jahrelang wehrte sich Harth gegen den Abriss einer Frankfurter Arbeitersiedlung, und wurde in der Folge von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft ABG mit gerichtlichen Klagen zum Schweigen verdonnert.
Die Berichterstattung über den Konflikt des Bürgerrechtlers Harth mit der ABG in der Frankfurter Lokalpresse hat bedenkliche Formen angenommen. „Die meisten Journalisten sind eingeschüchtert“, so der Vorsitzende von BCC See. Wenige Berichterstatter trauten sich, sachlich über den Frankfurter Mietervertreter zu berichten, der antrat um die Zerstörung der gewachsenen Infrastruktur und profitgierige Mieterhöhungen zu verhindern. In der Tat, vom loyalen Freundschaftsdienst für den Geschäftsführer der Wohnungsbaugesellschaft, Frank Junker, bis zur Stiefelleckerei sind dieser Tage viele Schattierungen journalistischer Interpretationen zu lesen. Offenbar stelle es für Journalisten eine Versuchung dar, sich mit einem Mann wie Junker gut zu stellen, der mit 50.000 Wohnungen dealt und überall in der Stadt Beziehungen hat, meint See. Von besonders eifrigen „Hofberichterstattern“ wurde Mietervertreter Ralf Harth, nachdem er einen für ehemalige AGB-Mieter akzeptablen Kompromiss durchgesetzt hatte, gar als „Abzocker“ beschimpft. Harth, der selbst in der Siedlung Mieter war, wolle sich persönlich bereichern, hieß es.
Besondere Brisanz hat dieser Fall, weil es um den Erhalt von erschwinglichen Wohnungen mitten im Zentrum Frankfurts geht. Die andere Seite aber, die städtische Wohnungsbaugesellschaft, will hier einen Neubau hinstellen, um an der allgemeinen Boden- und Immobilienspekulation zu verdienen. Im Aufsichtsrat sitzt obendrein Oberbürgermeisterin Petra Roth. Zudem beherrscht der AGB-Geschäftsführer Junker vorzüglich die Klaviatur, mit Unterstützung von Presse und Justiz unliebsame Gegner, die bei solchen Geschäftsvorhaben stören, in den ökonomischen Ruin zu treiben.

Personalisierung anstelle sachlicher Berichterstattung

Ein unüberlegtes Wort aus deren Mund – und die von Junker beauftragten Rechtsanwälte Danckelmann und Kerst streben gerichtliche Auseinandersetzungen mit hohem Streitweit an. Ein Fall für Business Crime Controll. Mittlerweile müsse Harth rund 12.000 Euro Gerichtskosten zahlen, so Hans See. Schlimmer noch, Harth, der die Auseinandersetzungen doch in seiner Funktion als Vereinsvorsitzender des Mieterbündnisses führte, soll jetzt persönlich haften. Die ABG hat Harths Wohnung gekündigt. Weil er „seine Persönlichkeitsrechte verletzt“ habe, wie Junker gern der Presse Auskunft gibt.

Und so sucht der ABG-Geschäftsführer in jedem Interview und bei jeder Äußerung Harths nach einem Grund, persönlich verletzt worden zu sein. So geschehen, als Harth kürzlich im Interview mit der Frankfurter Rundschau äußerte, er habe den Geschäftsführer bei rechtswidrigen Mieterhöhungserklärungen „erwischt“. Lachhaft findet indes See, wenn hier das Wörtchen „erwischt“ zum justi­ziablen Fallstrick gerate. Der Vorsitzende von BCC sieht das Recht auf freie Meinungsäußerung gefährdet, wenn nicht die üblichen Mittel in einer politischen Auseinandersetzung wie Richtigstellung oder Gegendarstellung genutzt würden: „sondern mit dem Knüppel der Justiz drauf­gehauen wird“. Zunehmende Personalisierung in der Presse sei mit einer inhaltlich sachlichen Berichterstattung oft nicht zu vereinbaren.
Unverhältnismäßig sei diese Ausei­nandersetzung zwischen dem Vorsitzenden einer Immobilien-Holding, dessen Prozesskosten von dem Unternehmen getragen seien, und einem Bürgerrechtler, der diese selbst zahlen muss, so Hans See. In einer Demokratie müsse sich ein Mensch gegen Obrigkeiten äußern dürfen. Der politische und herrschaftsfreie Dis­kurs im Habermaschen Sinne dürfe nicht auf diese Weise eingeschränkt werden. Journalisten seien oft voreingenommen, entweder weil sie befürchteten, selbst mit juristischen Folgen rechnen zu müssen, oder weil sie sich Vorteile ausrechneten, wenn sie auf Menschen von Rang und Namen Rücksichten nähmen, die eine Vormachtstellung genießen. Der Verein BCC kritisiert, dass die am Tropf der Wirtschaft hängenden Wissenschaftler, Publizisten und Journalisten stets forsch die Rede führten, wenn sie Missbrauch von Sozialhilfe-Empfängern mutmaßten. Jedoch knickten sie ein, wenn Aufdeckung von Korruption und Amtsmissbrauch anstehe, konstatiert See.

Im Visier von Hofberichterstattern

Was aber passieren kann, wenn Journalisten sich unbeugsam nicht als Handlanger der Machthabenden missbrauchen lassen, musste der renommierte Dokumentarfilmer Martin Kessler nach Veröffentlichung seines WDR-Films „Frankfurter Häuserkampf“ erleben. Er geriet ins Visier der „Hofberichterstatter“. So hatte sich das Feuilleton der FAZ hinreißen lassen, statt eines Medienkritikers den Immoblien-Berichterstatter Matthias Alexander den Film rezensieren zu lassen. Einen, der einst im Lokalteil eine von Junker in Auftrag gegebene Baumfällaktion im Innenhof der Arbeitersiedlung und den Protest der Bewohner höhnisch kommentierte: „Das Vorhaben rief Anwohner auf den Plan, die ihre Trauer um die Bäume vor laufenden Kameras rührselig inszenierten“. Auch er übernahm in der Filmrezension die Position des Konzerns, und bezichtigte Kessler der „Denunziation statt Dokumentation“.

Ein anderer immer wieder der ABG-Holding freundschaftlich zugetaner Berichterstatter, namens Thomas Remlein, präsentierte in der Frankfurter Neuen Presse das Konterfei Ralf Harths unter der Überschrift „Clever oder unverschämt?“ und der Dachzeile „Der Fall Ralf H. oder Wie einer die ABG unter Druck setzt – auf Kosten von Sozialmietern“.
Wer setzt hier eigentlich wen unter Druck? Hat AGB-Chef Junker die Wohnung gekündigt bekommen oder Ralf Harth? Verkehrte Welt. Um ein Gegen­gewicht zu bieten, hat BCC einen Preis für Zivilcourage an Ralf Harth verliehen. Derzeit werden auf der Frankfurter Einkaufsmeile Unterschriften zu einem offenen Brief an die Oberbürgermeisterin gesammelt, um kritische Mieter, sowie das Recht auf bezahlbaren Wohnraum zu schützen.

Existenziell bedroht

Hans See schlägt vor, dass Petra Roth sich einmal die Position des Bürgerrechtlers anhören möge. Es gehe um mehr als nur den Abriss einer Siedlung: Ein ehrenamtlich Engagierter werde existenziell bedroht, nur weil er sein Recht auf freie Meinungsäußerung wahrnehme. Und zwar „unterstützt von linientreuen Journalisten seriöser Blätter“, heißt es in einer Erklärung des BBC-Vorstands. Unter anderem um solchen Machenschaften entgegen zu wirken, hat BCC den Rechtshilfefonds Pro Veritate gegründet.

Infos über die Kampagne gibt es unter www.wirtschaftsverbrechen.de/frankfurt/
nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Schutz vor zu viel Stress im Job

Immer weiter, immer schneller, immer innovativer – um im digitalen Wandel mithalten zu können, müssen einzelne Journalist*innen wie auch ganze Medienhäuser sich scheinbar ständig neu erfinden, die Belastungsgrenzen höher setzen, die Effizienz steigern. Der zunehmende Anteil und auch Erfolg von KI-basierten Produkten und Angeboten ist dabei nur das letzte Glied in der Kette einer noch nicht abgeschlossenen Transformation, deren Ausgang vollkommen unklar ist.
mehr »

Für eine Handvoll Dollar

Jahrzehntelang konnten sich Produktionsfirmen auf die Bereitschaft der Filmschaffenden zur Selbstausbeutung verlassen. Doch der Glanz ist verblasst. Die Arbeitsbedingungen am Set sind mit dem Wunsch vieler Menschen nach einer gesunden Work-Life-Balance nicht vereinbar. Nachwuchsmangel ist die Folge. Unternehmen wollen dieses Problem nun mit Hilfe verschiedener Initiativen lösen.
mehr »

Tarifverhandlungen für Zeitungsjournalist*innen

Bereits Ende Mai haben die Tarifverhandlungen zwischen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di und dem Zeitungsverlegerverband BDZV begonnen. Darin kommen neben Gehalts- und Honorarforderungen erstmals auch Regelungen zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) zur Sprache.
mehr »

Für mehr Konfrontation

Die Wahlen zum EU-Parlament endeten – nicht unerwartet – in vielen Mitgliedsstaaten mit einem Rechtsruck. In Frankreich, Italien, Österreich, Belgien, den Niederlanden und anderswo wurden eher euroskeptische, nationalistische, migrationsfeindliche Kräfte der extremen Rechten gestärkt. Auch in Deutschland haben 16 Prozent der Bürger*innen, mehr als sechs Millionen Menschen für die rechtsextreme, völkische AfD gestimmt – trotz NS-Verharmlosungen, China-Spionage und Schmiergeldern aus Russland. Immerhin sorgte die große Protestwelle der letzten Monate, die vielen Demonstrationen für Demokratie dafür, dass die AfD-Ausbeute an den Wahlurnen nicht noch üppiger ausfiel. Noch Anfang…
mehr »