Gundelsheim und die Pressefreiheit

Grundgesetzartikel für drei Wochen außer Kraft

3.500-Einwohner zählt die Gemeinde Gundelsheim bei Bamberg. Sie hat mit dem 25jährigen Jonas Merzbacher (SPD) einen der jüngsten Bürgermeister Bayerns, der seit 2008 im Amt ist. Merzbecher muss gegen eine „bürgerliche“ Mehrheit im Gemeinderat regieren.

Viele Gundelsheimer freuen sich über den frischen Wind, mit dem „der Jonas“ den Gemeindealltag aufwirbelt. Die meisten Beschlüsse werden im Gundelsheimer Rat einstimmig durchgewunken. Auch als Merzbacher im Juli 2008 vorschlug, die Tageszeitung Fränkischer Tag (FT) solle die Berichterstattung über die Ortsaktivitäten in die Hände eigener Mitarbeiter legen. Bis dahin wurden Gemeindeprotokolle im FT abgedruckt. Doch dann berichtete die neue FT-Reporterin hintergründig; nannte Ross und Reiter, wer in Sitzungen was sagte.
Das war scheinbar nicht, was CSU, Freiwähler (FW) und Bürgergemeinschaft (BG) als „sachlich und objektiv“ betrachteten. Deshalb stellten sie in der Sitzung am 11. Februar den Antrag, „die Berichterstattung des FT zu beenden und unsere Archivarin mit der Berichterstattung der Gemeinde Gundelsheim in der Tagespresse zu beauftragen.“ Der wurde angenommen – mit neun zu sechs – Mehrheitsvotum.
Dagegen stimmten SPD, Grüne und ein BG-Rat. Bürgermeister Merzbacher hatte zuvor erklärt: Ein solcher Beschluss sei weder von der Gemeindeordnung – die schreibt öffentliche Ratssitzungen vor – noch vom Grundgesetz (GG) gedeckt.
Doch der GG-Artikel 5 zur Meinungs- und Pressefreiheit war FW, BG und CSU scheinbar nicht geläufig. Und dem jungen Bürgermeister glaubten sie nicht: So musste die Rechtsaufsicht einschreiten. „Selbst ein Gemeinderatsbeschluss kann einem Zuhörer, auch der Presse, nicht verbieten, jedes gesprochene Wort mit zu stenographieren“, schrieb das Landratsamt Bamberg den Gundelsheimer Bürgervertretern ins Stammbuch.
Darüber haben die Räte intensiv diskutiert. Wohl auch, „weil sie diese Reaktion nicht erwartet hatten. Selbst die Bild hat über unser Dorf ohne Pressefreiheit berichtet“, hört man. Ein 25-Jähriger dazu: „Die wollten dem Bürgermeister zeigen, wo der Bartl den Most holt.“
Als Jonas Merzbacher am 4. März aufruft, die Pressefreiheit wieder einzuführen, schnellen alle 17 Gemeinderatshände in die Höhe. Doch die Gesichter der CSU-, FW- und BG-Räte ließen ahnen, dass dies eher aus Angst geschah, in der Zeitung zu stehen. Dazu sagen wollten sie in der Sitzung nichts!

Weitere aktuelle Beiträge

Smart-Genossenschaft für Selbstständige

Smart klingt nicht nur schlau, sondern ist es auch. Die solidarökonomische Genossenschaft mit Sitz in Berlin hat seit ihrer Gründung im Jahr 2015 vielen selbstständig Tätigen eine bessere und stärkere soziale Absicherung verschafft – genau der Bereich, der bei aller Flexibilität und Selbstbestimmtheit, die das selbstständige Arbeiten mit sich bringt, viel zu oft hinten runterfällt.
mehr »

Medienkompetenz: Von Finnland lernen

Finnland ist besonders gut darin, seine Bevölkerung gegen Desinformation und Fake News zu wappnen. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Schulen, aber die Strategie des Landes geht weit über den Unterricht hinaus. Denn Medienbildung ist in Finnland eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die auf vielen Ebenen in den Alltag integriert ist und alle Altersgruppen anspricht. Politiker*innen in Deutschland fordern, sich daran ein Beispiel zu nehmen. Kann das gelingen?
mehr »

Beim Tatort selbst ermitteln

Ein Zocker sei er nicht. So sagte es Kai Gniffke, Intendant des Südwestrundfunks (SWR), als er im August vorigen Jahres auf der Gamescom in Köln zu Gast war. Am ARD-Stand hat sich der damalige Vorsitzende des Senderverbunds dennoch zum Zocken eingefunden, zu sehen auch im Stream auf der Gaming-Plattform Twitch. Erstmals hatte die ARD einen eigenen Auftritt auf der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele – ein deutliches Signal, dass die ARD auch auf Games setzt. Und das hat maßgeblich mit dem SWR zu tun.
mehr »

Die unendliche Krise des RBB

Der Schock sitzt nach wie vor tief. „2025 wird ein Schicksalsjahr für den RBB“, so die unfrohe Botschaft von Intendantin Ulrike Demmer Ende Januar auf einer Informationsveranstaltung vor der fassungslosen Belegschaft. Was folgte, war ein radikales Sanierungsprogramm für den Sender. Insgesamt 22 Millionen Euro will die Geschäftsleitung am Personal- und Honoraretat einsparen. Das entspricht 10,2 Prozent der bisherigen Aufwendungen und ziemlich genau 254 Vollzeitstellen.
mehr »