Recherche unter Verdacht

Manchmal kann man es kaum noch fassen, wie autistisch in Berlin vor sich hinregiert wird. Na schön, bei der sogenannten Gesundheitsreform musste irgendein gemeinsames Ergebnis auf den Weg gebracht werden, das bei sich widersprechenden Grundpositionen der Koalitionsparteien naturgemäß nur unausgegoren sein kann.
Spätestens seit dem Allgemeinen Gleichbehandlungs-Gesetz (AGG), dessen einzelne Paragrafen sich zum Teil widersprechen, weiß der Bürger, dass es der Großen Koalition wichtiger ist, einen Gesetzesbeschluss als Ergebnis vorweisen zu können, als sachgerechte Einwände zu berücksichtigen.

„Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.“ – dies scheint insbesondere im Bundesjustizministerium zur Handlungsmaxime geworden zu sein. Bereits beim „Zweiten Korb“ der Urheberrechtsreform schaffte es Ministerin Zypries auch die einvernehmlichen Ergebnisse von einem Dutzend eigens eingesetzter Arbeitsgruppen im Gesetzentwurf nahezu völlig unberücksichtigt zu lassen.
Nun also auch beim „Stalking-Bekämpfungsgesetz“. Getrieben durch eine Initiative des populistischen damaligen hessischen Justizministers Christean Wagner zögerte die Bundesjustizministerin zunächst ein Jahr, bis sie einen eigenen Gesetzentwurf zum Schutz von Stalking-Opfern vorlegte – mit dem selben Manko.
Ob eine derartige Vorschrift im Strafrecht überhaupt sinnvoll ist, soll hier nicht erörtert werden, wohl aber, dass bei dem neuen Straftatbestand in § 238 StGB die Gefahr besteht, dass „beharrlich“ recherchierende Journalisten künftig als Stalker angeklagt und verurteilt werden.
Auf diese Gefahr haben die Journalisten- und Verlegerverbände rechtzeitig bereits beim Gesetzentwurf des Bundesrates und wiederholt beim Bundesjustizministerium aufmerksam gemacht – zuletzt mit einer gemeinsamen Stellungnahme bei der Anhörung des Bundestag-Rechtsausschusses am 18. Oktober. Die dringliche und gut begründete Forderung, Journalisten in Ausübung ihres Berufs ausdrücklich vom Geltungsbereich des Gesetzes auszunehmen, wurde ignoriert, das Stalking-Bekämpfungsgesetz unverändert am 30. November vom Bundestag beschlossen.
Das Einfügen eines kurzen Satzes hätte zur Klarstellung genügt und eine Beeinträchtigung der grundgesetzlich geschützten Presse- und Rundfunkfreiheit verhindert. Warum darauf verzichtet wurde, ist nicht nachzuvollziehen. Es sei denn, man unterstellt, dass im Regierungsviertel mittlerweile generell jeder sachgerechte Einwand als unbefugte Nachstellung beharrlich ignoriert wird.

Weitere aktuelle Beiträge

Im Fokus: Justiz und Rechtspopulisten

Ein mildes Urteil ist es tatsächlich geworden: David Bendels, Chefredakteur des AfD-nahen „Deutschland-Kuriers“, ist am Montag vom Amtsgericht Bamberg zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Er soll die geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit einem Post auf dem Kanal des „Deutschland-Kuriers“ der Plattform X verunglimpft haben. Faeser war mit einem Schild vor dem Körper zu sehen, auf dem steht: „Ich hasse die Meinungsfreiheit.“
mehr »

Die unendliche Krise des RBB

Der Schock sitzt nach wie vor tief. „2025 wird ein Schicksalsjahr für den RBB“, so die unfrohe Botschaft von Intendantin Ulrike Demmer Ende Januar auf einer Informationsveranstaltung vor der fassungslosen Belegschaft. Was folgte, war ein radikales Sanierungsprogramm für den Sender. Insgesamt 22 Millionen Euro will die Geschäftsleitung am Personal- und Honoraretat einsparen. Das entspricht 10,2 Prozent der bisherigen Aufwendungen und ziemlich genau 254 Vollzeitstellen.
mehr »

Gleichstellung im Journalismus

Lag vor 10 Jahren der Frauenanteil im Journalismus noch bei knapp über 40 Prozent, sind mittlerweile 44 Prozent der Journalist*innen weiblich. Das hat das Leibniz-Institut für Medienforschung ermittelt. In wenigen Jahren kann man möglicherweise von einem Gleichstand sprechen, was die Anzahl der Journalistinnen betrifft. Doch Frauen verdienen auch in den Medien noch immer weniger als Männer. Politischer und gewerkschaftlicher Druck sind noch immer notwendig.
mehr »

Quellenschutz in Gefahr 

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) verurteilt die Wochenzeitung  Kontext, weil sie den Namen des Mitarbeiters von AfD-Abgeordneten genannt hat, der sich in Chats rassistisch geäußert hatte, und ihre Quellen nicht preisgeben wollte. Das Frankfurter Urteil widerspreche guter journalistischer Praxis, kritisierte der verdi-Vorsitzende Frank Werneke.
mehr »