Rechtsbiegung

Der kritische Journalismus in Deutschland ist in Gefahr. Wer das sagt? Eine Reihe von Autoren, Ressort- und Redaktionsleitern – und Anwälte wie Harro Schultze, Köln. Er verteidigt den Kapitalismuskritiker Werner Rügemer gegen die Privatbank Sal. Oppenheim. Und weiß: „Das ist ein Kampf: Der Schutz der Persönlichkeitsrechte einerseits und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit andererseits.“

Nur ist Letzteres gesetzlich nicht verankert. Juristisch gibt es lediglich die Meinungs- und Pressefreiheit, und deren Grenzen werden enger. Weil die gesetzlich garantierten Persönlichkeitsrechte – ob von Individuen oder von Firmen – einen immer höheren Stellenwert im juristischen Gefilde bekommen.
So entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nicht nur, dass man den Politiker Manfred Stolpe nicht als IM der Stasi bezeichnen dürfe. In einer ziemlich ausschweifenden Erklärung befand das höchste deutsche Gericht auch, dass jede nahe liegende Deutung einer Äußerung wahr und belegbar sein müsse.
Und genau diese neue Richtlinie lässt sich nun dehnen wie ein Nylonstrumpf, der auf den Kopf eines Bankräubers gestülpt wird. Sie vernebelt auch genauso die Sicht. Denn entgegen der „Variantenlehre“, nach der es reicht, wenn eine mögliche Deutung nicht rechtsverletzend ist, gilt nun: Es reicht für schlaue Filous, einfach mal zu behaupten, man fühle sich falsch dargestellt und werde geschädigt – schon wird die entsprechende einstweilige Verfügung durchgewunken. Beweise werden von Gerichten erst im Widerspruchs- oder Klageverfahren verlangt. So sind die Landgerichte vor allem in Hamburg und Berlin flink darin, bei Androhung von hohen Geld-, auch Haftstrafen Maulkörbe zu verhängen. Für die betroffenen Autoren und Verlage oder Sender ist das oft ein Schock. Und billig ist die neue Rechtsbiegung auch nicht. Je nach Streitwert werden pro Verfügung Hunderte von Euros von der Justizkasse abkassiert. Zusätzliche Gerichts- und Anwaltskosten erreichen vier- und fünfstellige Summen. Der Persönlichkeitsschutz wird so zu einer Kneifzange, gern genutzt, um unliebsame Kritik zu verhindern. Betroffene Kollegen glauben zudem oft, sie seien Ausnahmen. Aber während über spektakuläre Fälle, wie die Schwärzungen in Rügemers tatsächlich stark fehlerhaftem jüngsten Buch, berichtet wird, bleiben viele andere schamvoll verschwiegen. Dabei lohnt es sich auch für Verlage, um ihre Freiheit zu kämpfen: Mit den Mitteln der Justiz und den Mitteln der Journaille. Damit der Trick mit den Verfügungen irgendwann sogar den Richtern zuviel wird.

Weitere aktuelle Beiträge

Rechte Influencerinnen im Netz

Rechtextremismus und rechte Parolen verbinden viele Menschen automatisch mit testosterongesteuerten weißen Männern. Diese Zielgruppe füttert AfD-Politiker Maximilian Krah mit simplen Parolen wie: „Echte Männer sind rechts.“ Das kommt an bei Menschen, die im Laufe der Zeit irgendwann beim „Gestern“ stecken geblieben sind. Inzwischen verfangen solche rechten Klischees auch bei Frauen. Vor allem im Internet.
mehr »

Sicher ist sicher: Eigene Adressen sperren

Journalist*innen sind in den vergangenen Jahren vermehrt zum Ziel rechter Angriffe geworden. Die Zahl tätlicher Übergriffe erreichte 2024 einen Rekordwert, so eine aktuelle Studie des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF) in Leipzig. Die Autoren benennen die extreme Rechte als strukturell größte Bedrohung für die Pressefreiheit. Einschüchterungen oder sogar körperliche Übergriffe geschehen mitunter direkt an der eigenen Haustür. Den damit verbundenen Eingriff in das Privatleben empfinden Betroffene als besonders belastend.
mehr »

RTL schluckt Sky Deutschland

Mega-Fusion in der TV- und Streaming-Branche: Mit dem Kauf des Bezahlsenders Sky schickt sich die Bertelsmann-Tochter RTL Deutschland an, den großen US-Plattformen Netflix & Co. Paroli zu bieten.
mehr »

Compact-Urteil: Wehrhaft aber unwillig

Das Verbot des rechtsextremen Compact-Magazins ist vom Tisch. Am Dienstag entschied dies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Der Chefredakteur des Magazins Jürgen Elsässer feierte die Entscheidung als eine Sternstunde für die Pressefreiheit, verglich den Fall gar mit der Spiegel-Affäre von 1962. Triumphierend erklärte er: „Sie konnten uns nicht verbieten, also können sie auch die AfD nicht verbieten.“
mehr »