Urteil mit Signalwirkung

Niederlage für DPA – Auslagerung als Betriebsübergang definiert

In einem Arbeitsgerichtsprozess gegen die Deutsche Presse Agentur (DPA) hat der Engländer John Purdy einen wichtigen Sieg erstritten: Das Landesarbeitsgericht Hamburg erkennt die Ausgliederung der englischsprachigen Redaktion nach Irland letztinstanzlich als Betriebsübergang an – jetzt muss der DPA-Redakteur wieder angestellt werden. Das Urteil hat auch für andere Betriebsauslagerungen Signalwirkung.

Als John Purdy 1992 von seinem Korrespondentenjob in London nach Hamburg zu DPA wechselte, kam er als einer der jüngsten Redakteure in ein gewachsenes Team, in dem die meisten Kollegen schon seit vielen Jahren arbeiteten. Und die DPA-Geschäftsleitung wurde nicht müde zu bekunden, wie erfolgreich der englischsprachige Auslandsdienst, der Kunden in den USA, Skandinavien, Osteuropa, Naher Osten und Afrika belieferte, doch sei. „Noch Anfang 2001 hieß es, es würden jetzt 20 neue Stellen geschaffen“, erinnert sich der heute 45-Jährige. Zu Halloween des Jahres, am 31. Oktober, hörte sich das dann ganz anders aus: „Wir überlegen zu schließen“. Einen Monat später wurde der Hauptbelegschaft, etwa 20 Redakteuren und Sekretärinnen, gekündigt.

Purdy, mit damals zehn Jahren Betriebszugehörigkeit immer noch einer der Neuesten in dem Team, setzte sich mit dem Betriebsrat und den Kollegen zusammen und entwickelte ein Konzept, wie bis zu eine Million DM jährlich erspart werden könnten. Doch das interessierte die DPA-Geschäftsführung anscheinend schon lange nicht mehr: „Wir machen eine neue Redaktion in Irland auf, unter der Schirmherrschaft einer Tochtergesellschaft“, hieß es nun. Dort seien die steuerlichen Vorteile für den Betrieb immens und die Mitarbeiter würden aufgrund niedrigerer Lebenshaltungskosten auch einen besseren Schnitt machen. Dem, so hat sich jetzt herausgestellt, ist nicht so. „Die Kollegen sagen, dass sie dort über ihre Verhältnisse leben müssten“, sagt Purdy.

Aus dem vorherigen gemeinsamen Suchen nach Lösungen wurde ein individuelles. Einige sollten in Hamburg mit den schlechteren irischen Verträgen weiterarbeiten, andere wechselten übergangslos zum 1. Juli 2002 nach Cork in Irland, wo die neu gegründete DPA News International (DPA-NI) jetzt so ziemlich das gleiche Produkt für die gleichen Kunden herstellte, das die englische Redaktion vorher in Hamburg gemacht hatte.

Kündigung unrechtmäßig

Diese und weitere Gründe hat das Landesarbeitsgericht jetzt in seiner letztinstanzlichen Entscheidung dazu bewogen, John Purdys Klage gegen die Kündigung und auf Weiterbeschäftigung, die er seit Ende 2001 betrieben hat, positiv zu bescheiden. So sei über die Funktionsnachfolge hinaus die „Führungsstruktur des ehemaligen Betriebsteils des Beklagten im wesentlichen von der DPA-NI übernommen“ und auch die „Anbindung der den englischen Dienst erstellenden Einheit“ an den Auslandschef unverändert geblieben. Ergo: die Kündigung wegen Stilllegung ist unrechtmäßig, da es sich um einen Betriebsübergang gehandelt hat. Die Beschäftigten hätten allesamt zu den Bedingungen ihres alten Arbeitsvertrages übernommen werden müssen.

Für Reino Gevers, den DPA- Betriebsratsvorsitzenden, hat das Urteil Signalcharakter, auch für andere Redaktionen und die betroffenen Mitarbeiter. „Nach diesem Urteil ist es eben nicht mehr egal, wo der Standort eines Betriebes ist.“ Die Strategie von DPA und Verlagen, die betrieblichen Standards mithilfe von Standortverlegung erheblich zu unterlaufen, sei damit zum ersten Mal durchbrochen. „DPA hat aber vorher auch schon die spanische Redaktion aus Deutschland verlegt, um auf Kosten der Mitarbeiter erhebliche Lohnsenkungen durchzusetzen.“ Das Gleiche passiere mit Pauschalisten, die im Ausland arbeiten. „Wo früher deutsche Korrespondenten zu unseren Tarifen arbeiteten, sitzen heute immer mehr Kollegen aus den Ländern mit frei ausgehandelten, weit schlechteren Bedingungen.“

DPA-Personalchef Matthias Mahn hat sich im Gespräch mit „M“ weitgehend geweigert, auf Fragen zu den Vorgängen um die englische Redaktion zu antworten. Das irische Outsourcing von DPA, der man unterstellen kann, die Verlagerung vor allem auch betrieben zu haben, um die Redakteure im Tausch gegen nicht so gute Konditionen aus ihren deutschen Tarifverträgen herauszukicken, wird sich für DPA erheblich ausgezahlt haben: John Purdy ist der Einzige, den die Nachrichtenagentur jetzt zu den alten Bedingungen weiterbeschäftigen muss.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten for Future

Menschen jeden Alters machen sich Sorgen um die Zukunft unseres Planeten. Carla Reemtsma ist Klimaschutzaktivistin und Mitorganisatorin des Schulstreiks Fridays for Future („Klimastreik“) in Deutschland. Als Sprecherin vertritt sie die Bewegung auch in der medialen Öffentlichkeit. Wir sprachen mit ihr über Kommunikationsstrategien, Aktivismus und guten Journalismus.
mehr »

Keine Auskunft zu Pegasus

Auch Onlinemedien fallen unter die vom Grundgesetz gedeckte Pressefreiheit. Das erkannte das Bundesverwaltungsgericht  erstmals an. Arne Semsrott, Chefredakteur der Transparenz- und Rechercheplattform FragDenStaat, hatte nach Presserecht vor dem Bundesverwaltungsgericht geklagt. Nun erkannte das Gericht grundsätzlich an, dass Presseauskunft Onlinemedien genau so wie Printmedien erteilt werden muss. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist aber nicht verpflichtet, einem Journalisten Auskünfte über den Erwerb und Einsatz der Software "Pegasus" zu erteilen.
mehr »

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »