Wird Medienhäusern vor Beschluss von presserechtlichen Unterlassungsanordnungen ohne sachlichen Grund das rechtliche Gehör verwehrt, können sie dagegen unmittelbar eine Verfassungsbeschwerde erheben. Das geht aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. Juni 2017 hervor (Az..: 1 BvQ 16/17, 1 BvR 770/17, 1 BvR 764/17, 1 BvQ 17/17), der jetzt veröffentlicht wurde.
Die Verfassungsbeschwerde hatte der Verlag des Nachrichtenmagazins Der Spiegel erhoben.
Im Verfahren ging es um zwei im Dezember 2016 im Spiegel veröffentlichte Beiträge, die sich mit dubiosen Geschäfts- und Steuerpraktiken im Profifußball beschäftigten, sowie um einen Artikel über die Zustände in einem Heim für jugendliche Flüchtlinge in Norddeutschland vom Januar 2017. In beiden Fällen untersagte die Pressekammer des Landgerichts (LG) Hamburg auf Antrag per einstweiliger Verfügung ohne mündliche Verhandlung die Veröffentlichung und Verbreitung mehrerer Passagen der beanstandeten Artikel. Gegen diese Beschlüsse legte die Verlagsgesellschaft Widerspruch ein und beantragte die einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung. Das LG Hamburg beraumte zwar Termine zur mündlichen Verhandlung an, lehnte die Anträge, die Zwangsvollstreckung einstweilen einzustellen, jedoch ab.
Hiergegen wendet sich die Verfassungsbeschwerde. Die Verlagsgesellschaft beantragt die Aufhebung der Beschlüsse sowie die Einstellung der Zwangsvollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung. Sie rügt die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, der Meinungs- und Pressefreiheit sowie der Rechte auf prozessuale Waffengleichheit und auf ein faires Verfahren. Außerdem betont der Verlag, dass die Pressekammer des LG Hamburgs seit fünf Jahren in ständiger Praxis ohne vorherige mündliche Verhandlung entscheide, auch wenn keine besondere Dringlichkeit bestehe.
Die Karlsruher Verfassungsrichter haben die Verfassungsbeschwerden und die damit verbundenen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als unzulässig abgewiesen. Das Landgericht habe mittlerweile in beiden Verfahren mündlich verhandelt und durch Urteil entschieden. Damit sei das Rechtsschutzinteresse entfallen. Auch sei dadurch die mögliche Grundrechtsverletzung durch das nicht gewährte rechtliche Gehör geheilt. Allerdings – so heißt es in ihrer Pressemitteilung – „soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte auf prozessuale Waffengleichheit und ein faires Verfahren rügt, hat sich dies durch die mündliche Verhandlung vor dem Landgericht nicht erledigt und kommt eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen die Unterlassungsverfügung selbst grundsätzlich in Betracht.“
Damit haben Medienhäuser künftig bei Verfahren über presserechtliche Unterlassungsanordnungen die Möglichkeit, Verfassungsbeschwerde einzulegen, wenn ihnen vom Gericht wesentliche Verfahrensrechte verweigert werden. Im konkreten Fall wurde die Verfassungsbeschwerde allerdings nicht zur Entscheidung angenommen, da sie erst nach Ablauf der Monatsfrist eingelegt worden war.