Topthemen können über krautreporter.de finanziert werden
Die Initiative Nachrichtenaufklärung kooperierte in diesem Jahr erstmals mit dem journalistischen Crowdfunding-Projekt krautreporter.de – mit Erfolg: Drei von zehn Themen aus der Top-10-Liste der von den Medien am meisten vernachlässigten Themen konnten sich eine Finanzierung sichern.
Zu den drei geförderten Themen gehört mit 1.272 Euro „In Spendierroben“. Dabei geht es um die Verteilung der millionenschweren Bußgeldzahlungen durch Richter und Staatsanwaltschaften. Außerdem wird die weitere Recherche des Themas „E-Discovery: Aufwand bis in den Bankrott“ mit 1.220 Euro finanziert. Beleuchtet wird die Datenoffenlegung von sensiblen elektronischen Geschäftsunterlagen, die Unternehmen vornehmen müssen, wenn sie Geschäftsbeziehungen in die USA pflegen. Das dritte Thema schließlich ist die mit 2.000 Euro geförderte „Ausbeutung von Au-Pairs“, die angeblich in Deutschland als moderne Haussklaven missbraucht werden.
Die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) veröffentlicht in jedem Jahr eine Liste mit den zehn am meisten vernachlässigten Themen. Nominiert werden diese Themen von einer Jury aus Journalisten und Wissenschaftlern, aufgearbeitet werden sie von studentischen Rechercheseminaren an mehreren Hochschulen, unter anderem an der TU Dortmund und der Macromedia-Hochschule für Medien und Kommunikation. Die Themenvorschläge selbst stammen von Bürgern und zivilgesellschaftlichen Organisationen.
Die Studierenden überprüfen, ob ein Vorschlag sachlich richtig und relevant und inwieweit das Thema vernachlässigt ist. Gründe für die Vernachlässigung gibt es viele: Meist scheitert eine Veröffentlichung an den klassischen Nachrichtenfaktoren. Die Themen sind entweder nicht aktuell, zu komplex oder zu aufwändig zu recherchieren. Insofern lag es nahe, sich in Kooperation mit den Krautreportern darum zu bemühen, dass die nominierten Themen weiter journalistisch bearbeitet werden. Auf diese Idee kam Björn Bendig vom Online-Magazin Pressefreiheit-in-Deutschland.de, der beide Organisationen zusammenbrachte.
Üblicherweise finanzieren die Krautreporter 80 Prozent der vorgeschlagenen journalistischen Projekte, weiß Sebastian Esser, der Geschäftsführer der Crowdfunding-Plattform. Dass nun nur drei der zehn INA-Themen eine Finanzierung gefunden haben, ist für die INA dennoch nicht enttäuschend. „Drei Journalistenteams von Krautreporter bearbeiten drei der Topthemen jetzt mit einer immerhin vierstelligen Finanzierung. Das ist auf jeden Fall ein Erfolg und ein Gewinn für die INA“, sagt Miriam Bunjes, die seit Jahren an der TU Dortmund das Rechercheseminar leitet. Die Hoffnung der INA war, so Bunjes, über die Plattform Menschen zu finden, „die sich entscheiden, unabhängigen Journalismus zu unterstützen – weswegen sie ja eigentlich den Nicht-Mainstream-Themen zugeneigt sein müssten.“ Sowohl Esser als auch Bunjes wollen jedenfalls das Experiment im nächsten Jahr wiederholen.
Zeit für Recherche
Miriam Bunjes freut sich darüber, dass mit „Die Spendierroben“ ein Thema eine Finanzierung gefunden hat, das den gängigen Nachrichtenfaktoren nicht entspricht. Das Thema sei „eines, von dem die Redaktionen wegen seiner Komplexität und Langatmigkeit die Finger lassen“. Die Autorin könne nun die Zahlungspraxis an Gerichten in verschiedenen Gerichtsbezirken überall in Deutschland beobachten und vergleichen. Da sie innerhalb der Bundesrepublik durchaus unterschiedlich sei, könne ein Vergleich eine öffentliche Diskussion darüber anstoßen, wie Gelder aus Strafprozessen transparent und sinnvoll verteilt werden können und wo es Probleme gibt. Bunjes: „Das wird Zeit kosten, die durch die Finanzierung jetzt da ist. Offensichtlich hat es viele Spender überzeugt, was sicherlich daran liegt, dass das Thema an vielen Orten spielt und die breite Bevölkerung angeht.“ „Dass Themen aufwändig zu bearbeiten sind, sehen wir bei der INA häufig als Grund für Vernachlässigung“, so Miriam Bunjes. Außerdem: „Viele für die Bevölkerung relevante Sachverhalte sind Zustände und keine Ereignisse. Fehlt die Aktualität, kann es einem Thema leichter passieren, in einer Redaktionskonferenz unterzugehen.“ Crowdfunding sei daher eine gute Möglichkeit, Themen zu realisieren, die möglicherweise aufgrund journalistischer Routinen unter den Tisch fallen. Bunjes: „Hier entscheidet das Publikum – auch nach unjournalistischen Kriterien.“
Nicht finanziert werden konnte beispielsweise das Thema „Deutsche Waffen in Krisengebieten“. Autor Rico Grimm hatte sich vorgenommen „eine deutsche Waffe zu finden – sei es in Mexiko, Georgien, Indien, die dort nicht sein dürfte, und ihren Weg zurückzuverfolgen.“ Dafür hatte er drei Monate Recherche veranschlagt, für die er 3.750 Euro einsammeln wollte. Tatsächlich wurden nur zehn Prozent der Summe gespendet – die Gelder der anfinanzierten Vorschläge werden an die Spender wieder zurückgezahlt. Bunjes meint: „Dieses Thema erfüllt viele Nachrichtenfaktoren und hat trotzdem nicht viele Spenden bekommen, brauchte allerdings auch viel … sicher auch für die Redaktionen ein Grund, die fertige Recherche dann gerne zu publizieren, aber nicht selbst zu zahlen.“
Dass das Thema E-Discovery es geschafft hat, hängt nach Ansicht von Bunjes damit zusammen, dass es im Zuge der Snowden-Enthüllungen sehr aktuell geworden ist. So sei die Speicherung von sensiblen Unternehmensdaten in IT-Systemen seit der Ausspäh-Affäre deutlich geworden.
Rechercheergebnisse nutzen
Über die Gründe, warum es so viele Themen bei krautreporter.de nicht geschafft haben, lässt sich nur spekulieren. Bunjes: „Die Motivation der Spender und vor allem auch die Gründe eines Plattformbesuchers eben nicht zu spenden, kenne ich nicht. Vielleicht war es ungünstig, alle zehn Themen gleichzeitig zu bewerben?“ Dass sieben Themen bei krautreporter.de keine Unterstützung gefunden haben, bedeute aber nicht, dass über sie nicht berichtet werden könne, meint Bunjes: „Jeder Journalist kann sich aus unseren Rechercheergebnissen bedienen.“
Krautreporter-Chef Sebastian Esser zeigt sich gleichwohl ein bisschen enttäuscht: „Wir hätten mit mehr Resonanz gerechnet.“ Er glaubt, dass man die Themen zu einer anderen Jahreszeit hätte bewerben müssen: „Der Sommer hat nicht geholfen – da sind viele Leute in Urlaubslaune und wollen ihr Geld lieber für andere Sachen ausgeben.“ Außerdem eigne sich Crowdfunding dann besonders gut, Journalismus zu finanzieren, „wenn es eine klare Zielgruppe gibt, die sich sehr intensiv für ein Thema interessiert.“ In den Massenmedien und damit auch bei der INA seien es aber häufig Themen, „die alle ein bisschen interessieren, aber nicht sehr intensiv“.
Esser betont aber auch: „Grundsätzlich hängt der Erfolg jeder Crowdfunding-Kampagne fast ausschließlich vom Engagement der Starter ab.“ Er könne aber nicht nachvollziehen, wer wie viele Emails an potenzielle Unterstützer geschrieben habe oder wer wie aktiv bei Facebook gewesen sei. Die Rolle der Crowdfunding-Plattform, wenn es darum gehe, die Unterstützer zu einem Medienprojekt zu bringen, werde jedenfalls „grundsätzlich überschätzt“. Ihre Aufgabe sei es vor allem, den Crowdfunding-Prozess „möglichst reibungslos zu machen und ihn für die Journalisten effektiv durchzuführen.“ Er sei den Autoren jedenfalls „dankbar, dass sie sich überhaupt auf dieses Experiment eingelassen haben, ohne große Vorlaufzeit und ohne das Thema zu kennen.“