Ballast abwerfen

DSF bisher am härtesten betroffen / Premiere von Insolvenz bedroht

Nach der Zahlungsunfähigkeit von Kirch-Media meldete Anfang Mai auch Kirch Pay TV Konkurs an. Beim Abofernsehen Premiere und anderen Betrieben sind Massenentlassungen in vollem Gang. Der Zerfall der Kirch-Gruppe ist offenbar nur noch eine Frage der Zeit.

Auf Rupert Murdoch dürfte Leo Kirch derzeit nicht gut zu sprechen sein. Mitte Mai teilte Murdochs britischer Abo-Sender BskyB mit, man mache gegenüber der Kirch-Dachgesellschaft Taurus Holding eine Option auf Rückzahlung von rund 1,7 Milliarden Euro geltend. Diese Summe hatte BskyB in den gemeinsam mit Kirch betriebenen Abosender Premiere investiert und sich dabei ausbedungen, das Geld zurückzubekommen, falls die ehrgeizigen Geschäftsziele nicht erreicht würden. Dieser Fall ist nun eingetreten.

Vor der Bankübernahme

Spätestens im Herbst läuft die Zahlungsfrist ab. Aber die Taurus Holding, die jeweils die Mehrheit an den Gesellschaften Kirch Media, Kirch Pay TV und Kirch Beteiligungen hält, ist selbst nicht liquide. Zudem ist soeben ein Kredit der Dresdner Bank in Höhe von 460 Millionen Euro fällig geworden. Als Sicherheit für diese Summe hatte sich die Bank unlängst die 25prozentige Beteiligung von Kirch Media an dem profitabelsten spanischen Privatsender Telecinco gesichert. Dem Vernehmen nach stand bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe eine Übernahme durch die Dresdner Bank unmittelbar bevor. Etwas Luft verschaffte sich der Kirch-Konzern durch den Verkauf seiner 23prozentigen Beteiligung an der Constantin Film. Ob dies ausreicht, um das erwartete Ende der Taurus Holding mehr als nur ein wenig zu verzögern, erscheint zweifelhaft. Betroffen wären von einem Konkurs rund 80 Beschäftigte.

Dramatisch schon jetzt die Lage beim Abo-Sender Premiere. Am 8. Mai – exakt einen Monat nach dem Konkurs von Kirch Media – meldete auch die Premiere-Muttergesellschaft Kirch Pay TV Insolvenz an. Dieser Schritt sei nötig geworden, weil weder aktuelle Gesellschafter noch neue Investoren oder Banken „Mittel zur Finanzierung der derzeitigen Firmenstruktur einbringen wollten“, heißt es in einer Premiere-Mitteilung. Der Konkurs verschaffe, so Premiere-Geschäftsführer Georg Kofler reichlich euphemistisch, „die einmalige Chance, den Ballast der Vergangenheit abzuwerfen und Premiere auf gesunde Beine zu stellen“. Ballast der Vergangenheit – den 1.000 der insgesamt 2.400 Beschäftigten des Teilkonzerns, die im Zuge einer „Radikalkur“ (Kofler) bis Ende 2002 ihren Job verlieren sollen, dürfte diese Wendung bitter aufstoßen. 800 Mitarbeiter müssen allein bei Premiere gehen, damit der Sender „für künftige Gesellschafter interessante Investmentchancen bietet“.

Ein Bericht des Nachrichtenmagazins „Focus“, wonach sogar 1.400 Stellen auf der Streichliste stehen, wurde vom Unternehmen dementiert. Die auf Initiative von connexx.av auf den Weg gebrachte Gründung eines Betriebsrats dürfte für die meisten Premiere-Kollegen zu spät kommen.

ver.di-Bundesvorstandmitglied Frank Werneke kritisierte die Insolvenz von Kirch Pay TV als „Filetierung des Kirch-Konzerns auf dem Rücken der Beschäftigten“. Nachdem die Gesundschrumpfung des von der Insolvenz ausgenommenen Senders Premiere durch massiven Arbeitsplatzabbau bereits beschlossene Sache sei, müssten nun weitere Beschäftigte der anderen Unternehmensteile „die verfehlte Konzernpolitik büßen“.

Zu teuere Lizenzrechte

In die Bredouille geraten war der Sender vorwiegend durch eine riskante, auf eine unrealistische Wachstumsdynamik des Pay-TV-Sektors setzende Geschäftspolitik: durch viel zu teuer eingekaufte Lizenzrechte für Sport und Spielfilme (M 5/02). Jetzt versucht Kofler, die nicht refinanzierbaren Verträge mit dem Deutschen Fußballbund und den Hollywood-Studios neu zu verhandeln. Zugleich buhlt Premiere mit Schnäppchen und Schlüpfrigem um neue Abonnenten: mit einem Fünf-Euro-Schnupperangebot und mit Erotikstreifen im Pay-per-View-Modus. In den ersten zwei Mai-Wochen seien bereits an die 5.000 neue Kunden gewonnen worden, verbreitet Kofler Zweckoptimismus.

Arbeit hinter den Kulissen

Skepsis erscheint jedoch angebracht. In Branchenkreisen wird damit gerechnet, dass auch Premiere im Juni einen Antrag auf Insolvenz stellt. Hinter den Kulissen werde schon an einer Auffanggesellschaft aus Bayerischer Landesbank und Hypo-Vereinsbank gearbeitet. Eine Gesellschaft, in der die bestehenden 2,4 Millionen Abos und das Rechteportfolio integriert werden sollen. Dies könnte die Neuverhandlungen bei Film- und Sportrechten erleichtern.

Unterdessen gehen die Sanierungsarbeiten bei der Kirch Media und Kirch Beteiligungen weiter. Am härtesten trifft es derzeit die Kollegen des Deutschen Sportfernsehens (DSF). Nach Angaben der Geschäftsleitung soll bis zum Jahresende mehr als jede vierte der insgesamt 400 Stellen abgebaut werden. 35 derzeit schon unbesetzte Arbeitsplätze werden gestrichen, dazu sollen in der zweiten Jahreshälfte 77 Beschäftigte den blauen Brief erhalten. Es gelte, ein erwartetes Jahresdefizit von 15 Millionen Euro aufzufangen. Die Zukunft des Spartensenders entscheidet sich vor allem an der Frage, ob die Bundesliga-Rechte auch künftig bei der Muttergesellschaft Kirch Media verbleiben. Kirch war bekanntlich mit den Ratenzahlungen für die abgelaufene Saison in Verzug geraten. Falls keine Einigung erzielt wird, erwägt die Deutsche Fußball-Liga die Kündigung des bis 2004 laufenden TV-Vertrages.

Aufatmen können einstweilen die Beschäftigten von zwei der drei TV-Lokalsender des Kirch-Imperiums. Bei tv.münchen hat das österreichische Unternehmen „Kanal“ Interesse an einer Übernahme von 40 Prozent der Gesellschaftsanteile angemeldet. In Hamburg formiert sich für Hamburg 1 eine Auffanggesellschaft unter Beteiligung der Deutschen Fernsehnachrichtenagentur (DFA) und der Verlegerfamilie Jahr. Dagegen musste TV.Berlin, das zu 100 Prozent Leo Kirchs Sohn Thomas gehört, Ende April Konkurs anmelden. Vorerst wird weitergesendet, aber die Zukunft der rund 100 Festangestellten erscheint alles andere als rosig.

Unklarheit herrschte bis zuletzt über das Schicksal des 40prozentigen Kirch-Anteils am Axel-Springer-Verlag. Der Versuch der Commerzbank, ein Konsortium für den Verkauf des Pakets auf die Beine zu stellen, scheiterte. Unter anderem an dem Bestreben von Hauptgesellschafterin Friede Springer, unliebsame Investoren – etwa aus der deutschen Medienwirtschaft – fernzuhalten. Jetzt ist mit der Deutschen Bank ein anderer Kirch-Gläubiger am Zug. Die Bank hatte einen 615-Millionen-Euro-Kredit an Kirch mit dessen Springer-Anteil gesichert. Nach Informationen des „Handelsblatts“ will die Bank das 40-Prozent-Paket nach der Sommerpause in Form von vinkulierten Aktien an die Börse bringen. Vinkulierte Aktien würden, da sie nur mit Zustimmung der Gesellschaft veräußert werden dürfen, Friede Springer weiterhin die Kontrolle über den Verlag garantieren.

Fürstliches Honorarfür Insolvenzverwalter

Unterdessen hat Leo Kirch gegen den ehemaligen Vorstandschef der Deutschen Bank, Rolf E. Breuer, eine Strafanzeige wegen „Kreditverleumdung“ gestellt. In einem Interview mit dem TV-Sender Bloomberg hatte Breuer Anfang Februar in New York die Kreditwürdigkeit von Kirch in Frage gestellt. Dies war von Kirch als „Klientenverrat“ und als Auslöser des Konkurses der Kirch Media gewertet worden.

Zugleich wächst die Kritik an Plänen der Insolvenzverwalter, Leo Kirch gegen ein fürstliches Honorar als Berater zu verpflichten. Angesichts der öffentlich diskutierten Honorarzahlungen in Millionenhöhe warnte ver.di-Vorstand Werneke vor einer „absoluten Schieflage zwischen Kapitalinteressen und den Interessen der Beschäftigten“. Weder dem Gesamtkonzern noch einzelnen Unternehmensteilen dürfe auf diesem Weg Substanz für künftige Aktivitäten entzogen werden. Diese Mittel würden dringlicher auch für Sozialpläne zugunsten von Beschäftigten benötigt, die im Zuge der Insolvenzverfahren ihre Arbeit verlören.

„Die Beschäftigten sind das eigentliche Zukunftskapital des Unternehmens, sie dürfen kein Spielball fortgesetzter unternehmerischer Eskapaden werden“, so Werneke. Er erneuerte die gewerkschaftliche Forderung nach einem „Tarifvertrag, der möglichst viel qualifizierte Beschäftigung garantiert statt Millionen in Beratungsleistungen zu investieren“.


Vier Betriebsräte aus der Kirch-Holding haben im Mai in München die „Interessengemeinschaft der Betriebsräte aus der Kirch-Unternehmensgruppe (IG)“ gebildet. Ihr Ziel sei, die Interessen der Betriebsräte gemeinsam wahrzunehmen sowie deren abgestimmtes Vorgehen bei der Neustrukturierung des Unternehmens sicherzustellen, so Peter Völker, Bundesgeschäftsführer für Rundfunk und Film in ver.di. Die Bildung der IG wird auch vom Deutschen Journalistenverband (DJV) unterstützt. Erster Schritt soll die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft der Betriebsräte (ARGE) sein, die als Verhandlungspartner der Arbeitgeber fungieren soll. Erste Gründungsmitglieder der IG sind: Deutsches Sportfernsehen München, TV Berlin, Johannisthal Synchron in Berlin und Plaza Media in München.

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