Kino-Arbeitgeber verweigern soziale Mindeststandards – Streiks und Aktionen der Beschäftigten bringen Bewegung in die Tarifrunde
Neues von den Kino-Arbeitgebern: Nach einer Satzungsänderung schließt eine Mitgliedschaft im Hauptverband Deutscher Filmtheater (HDF) nicht mehr automatische die Tarifbindung ein. Ein Großteil der Mitglieder hat die Regelung zur Tarifflucht genutzt. Die Großunternehmen Cinemaxx/Flebbe und Ufa haben den HDF schon vorher verlassen und vertreten ihre Interessen jetzt im Arbeitgeberverband Dienstleistungsunternehmen, abgekürzt ar.di. Mit dem ar.di laufen Verhandlungen seit Mitte Juli, inzwischen bereits in der fünften Runde.
Theaterleiter – nicht allein zu Hause, sondern (fast) einsam im Kino – eine völlig neue Erfahrung, die der Geschäftsführer des Bremer Cinemaxx am 29. September machen musste. Alle seine Beschäftigten streikten, außer der rechten und der linken Hand des Chefs – Assistenz und Saalschutzkräfte. Sie arbeiteten noch am Freitagabend – nicht sonderlich erfolgreich. Denn – ohne böse Worte gegen die streikenden Kinobeschäftigten – verzichteten viele Besucher auf einen Auftakt zum Weekend im Cinemaxx – sogar nach dem Angebot eines kostenlosen Besuches durch die Theaterleitung. „Das muss man sich nicht bieten lassen,“ ermunterte ein Besucher die Angestellten, nachdem er von den Plänen der obersten Cinemaxx-Geschäftsführung erfahren hatte.
Die wollten den Weg nach El Dorado hierzulande suchen und deshalb die Beschäftigten statt für einen Dollar mehr künftig für weniger Geld arbeiten lassen: keine Nacht der Abrechnung mehr: Nachtzuschläge nicht mehr ab 23 Uhr, sondern erst ab ein Uhr; Überstundenzuschläge erst ab der 50. Zusatzstunde innerhalb von drei Monaten – denn sie wissen nicht, was sie tun. Zudem wollte ar.di Regelungen zur Arbeitszeit so dehnbar gestalten, dass mit einem Arbeitszeitkonto von 200 Stunden je Monat ohnehin kaum noch Überstunden anfallen würden. Das hätte innerhalb eines Jahres summierte Verluste je Beschäftigtem von 1000 Mark und mehr zur Folge gehabt, hat IG-Medien-Verhandlungsführer Manfred Moos ausgerechnet.
Die Neinsager
Wer schon hart arbeiten muss, kann im Urlaub vom Himmel nur auf schlechte Gedanken kommen. Folglich lehnte ar.di auch die IG-Medien-Forderung nach Ausdehnung des derzeitigen Urlaubsanspruchs von 22 Tagen auf sechs Wochen ab. Und kein Weihnachtsgeschenk in Form eines verlässlich vereinbarten Weihnachtsgeldes, auch keine Aussichten auf Urlaubsgeld und ein Vermögen in Rosarot, sprich: keine vermögenswirksamen Leistungen für die Kino-Beschäftigten, deren Nettoeinkommen ohnehin durchschnittlich unter 1500 Mark im Monat liegen.
Zwischendurch spielte ar.di-Verhandlungsführer Friedrich-Wilhelm Lehmann den bewegten Mann und erklärte sich wenigstens bereit, den Beschäftigten künftig nicht mehr 40 pounds of trouble – auf deutsch: ein Rucksack voller Ärger – zumuten zu wollen. 39 Stufen der Wochenstundenzahl sollen künftig als Arbeitszeit auch reichen – und das sogar bei vollem Lohnausgleich. Das ist allerdings immer noch eine Stunde mehr als von den Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft gefordert. Bei den Überstunden will ar.di jetzt nach 23 Uhr zahlen, aber nicht mehr anteilig, sondern nur jeweils volle Stunden – keine halben Sachen.
Leben auf eigene Art
81/2 Prozent – das wäre eine Tariferhöhung, die den Beschäftigten in den Kinobetrieben in Deutschland Anschluss an den allgemeinen Lebensstandard gewähren könnte. Doch auch bei der Lohnforderung: Kein Hennen rennen – Cinemaxx und Ufa, die absoluten Giganten, bewegen sich nur im Kriechgang und bieten nicht gerade wild zero, aber real doch nur bescheidene zwei Prozent. Das wären für eine Thekenkraft gerade einmal 12,15 Mark im Monat mehr; jemand, die schon länger als zwei Jahre an der Kasse sitzt, würde allerdings darüber hinaus noch 160 Pfennige mehr bekommen – weit mehr als in einer Dreigroschenoper.
Allerdings: Die bisherige Einteilung in die Berufsgruppen Einlass, Platzanweisung, Verkauf und Kasse möchte ar.di abschaffen zugunsten einer einheitlichen „Tätigkeitsgruppe Service“. Das würde in der Praxis heißen – Ordnung ist das halbe Leben: zusätzliche Aufgaben wie Kontrolle von Ordnung und Sauberkeit und gegebenenfalls eben auch noch Putzen – der feudel- und eimerschwingende Kartenverkäufer, der in den anderen Händen Eisbox, Getränkekasten und Taschenlampe hält und gleichzeitig die Karten abreißt, am liebsten von der Vormittagsvorstellung bis zum Schluss der letzten Vorstellung nachts um drei. Die Beschäftigten fordern dagegen, dass Wechsel zwischen verschiedenen Tätigkeiten nur schichtweise möglich sein sollen.
Verrückt und gefährlich
Die Arbeitgeber rechnen offenkundig nicht mit einer Lösung am Verhandlungstisch, sondern auch mit einem Streik. Sie haben sich – vier Fäuste für ein Halleluja – schon vor der jüngsten Verhandlungsrunde darauf vorbereitet und die Theaterleiter zu einer zweitägigen Streikschulung zusammengerufen. Wohl nicht völlig zu unrecht: Einen Streik gab es inzwischen in Bremen, Hamburg und Aachen, Aktionen aber schon in Bielefeld, Freiburg, Hamburg, Hannover und Wuppertal. Auch nach der jüngsten Verhandlungsrunde im Kölner Filmhaus am 16. Oktober gingen die Verhandlungskommissionen am Ende ohne Ergebnis auseinander – kalt ist der Abendhauch. ar.di legte nur zwei Seiten „Positionspapier“ vor und wehklagte, „angesichts der wirtschaftlichen Situation der Filmtheaterunternehmen“ seien sie „nicht in der Lage, ihre bisherigen Angebote noch zu steigern“ – eine Klage mit bestenfalls Schatten der Wahrheit. ar.di beziffert zwar sein „Angebot“ auf fünf Prozent, sprach aber zugleich von „unterschiedlich leichten Einschnitten für jeden Mitarbeiter“ – crazy!
Bleibt noch der HDF: Die Unschuldigen mit den schmutzigen Händen hatten den Bundestarifvertrag zum 30. Juni gekündigt. Es begann im September mit einem ersten Verhandlungstermin, wo sich herausstellte, dass der überwiegende Teil der Kinobetreiber vor der Tarifbindung die Flucht ins Ungewisse angetreten hat – mit Ausnahme unter anderem der Betreiber UCI und Village sowie der Berliner Yorck-Kinos. Bei den nächsten Verhandlungsrunden mit dem HDF nach Redaktionsschluss werden die Kinobeschäftigten zeigen müssen, dass sie zum Salz der Erde gehören und dass sie sich nicht durch Parolen wie Reich wirst du nie zur Verzweiflung bringen lassen. Ein Streik ist keine Sonntagsschule, und wenn nichts anderes mehr hilft, gilt der Schlachtruf: Eat the rich!
* Kursiv gesetzt sind Filmtitel oder Teile von ihnen