„Die Medien profitieren von der Lage der Freiberufler, die sie so engagiert beschreiben“

Offener Brief an die Redaktion der Wochenzeitung „Die Zeit“

Sehr geehrte „Zeit“-Redaktion,

mit Interesse haben wir den Artikel Ihres Redakteurs Dr. Uwe Jean Heuer über Selbständigkeit und Scheinselbständigkeit in der Ausgabe 24 vom 6. Juni gelesen. Ausführlich kommen Betroffene zu Wort, eindringlich schildern Sie, wie Menschen heute mit der Auflösung traditioneller Arbeitsverhältnisse zurecht kommen oder es wenigstens versuchen. Nun wollen wir nicht über die Schlechtigkeit der Zeitläufe lamentieren, die manchen unter dem Mantel der Selbständigkeit in neue Ausbeutungsverhältnisse zwingen.

Gelegen ist uns vielmehr daran, daß „Die Zeit“ ihrerseits einiges dazu beitragen könnte, das Los der Selbständigen, besonders das von freien Journalisten und Autoren, zu verbessern. Aus diesem Grunde wenden wir uns an Sie mit diesem offenen Brief, den wir gleichzeitig an die Redaktion der IG-Medien-Zeitschrift für die Fachgruppe Journalismus, „M“, senden.

Herr Heuer führt den Fall der Lehrerin Birgit Schulte beispielhaft an, weil offenbar ihre Lage (und auch ihr Einkommen: „gut 21000 Mark“ im Jahr) unter anderem der von freien Journalisten entspricht. Die Germanistin, so schreiben Sie, gehört zur „Mehrheit der neuen Selbständigen – ohne tägliche Existenzangst, aber auch ohne langfristige Absicherung oder die Chance auf eine stabile Karriere“. Weiter heißt es: „Immer mehr Journalisten arbeiten so, Übersetzer, EDV-Fachleute, technische Zeichner oder eben Lehrer“. Lassen wir einmal die Frage außer acht, ob jemand bei einem Jahreseinkommen von 21000 Mark tatsächlich frei von Existenzangst ist. Tatsache ist, daß die Mehrheit der freien Autoren, Journalisten und Publizisten ein zu versteuerndes Bruttoeinkommen von unter 50000 Mark pro Jahr hat, davon 26,3 Prozent sogar unter 30000 Mark. Zu diesem Ergebnis kam vor zwei Jahren die Honorarumfrage der IG Medien. Daran dürfte sich bis heute kaum etwas verändert haben. Der Grund: Die beschämenden Honorare der Verlage, darunter auch die der „Zeit“. Nach unserer Kenntnis erhalten freie Autoren 3 Mark pro Zeile, wohlgemerkt einer Zeile mit 48 Anschlägen.

Als freier Autor hätte Herr Heuer für seinen 363 Zeilen langen Artikel etwa 1089 Mark plus 7 Prozent Mehrwertsteuer erhalten. Unterstellt, daß Herr Heuer gründlich recherchiert hat, also persönlich nach Aachen fuhr, um den Transportfahrer Herrn Manfred Hartmann zu treffen, ferner zwei Termine vor Ort in Hamburg hatte, dürften zwei Recherchetage realistisch sein. Womöglich ist Herr Heuer ein außerordentlich schneller Schreiber. Dennoch bezweifeln wir, das 363 Zeilen à 48 Anschläge binnen eines Tages zu schaffen sind. Vier Arbeitstage scheinen also realistisch. Mit anderen Worten: Als freier Autor hätte er pro Tag 272,25 Mark (plus 7 Prozent Mehrwertsteuer) verdient. Zum Glück ist Herr Heuer fest angestellt, was seinem Einkommen gewiß besser tut und vor möglichen Existenzängsten feit.

Noch beschämender fallen die Honorare der „Zeit“ bei den Dossiers aus, die vielfach von freien Autoren geschrieben werden. Diese Dossiers glänzen in der Regel durch exzellente Recherche und ihren guten Stil. Der Umfang beträgt leicht 900 Zeilen und mehr. Das entspricht, nachvollziehbar für Ihr akademisches Publikum, einer Seminararbeit von fast 30 DIN A4-Seiten. Publikationen dieses Umfangs dürfte kaum jemand aus den Ärmeln schütteln.

Das Honorar scheint aber genau davon auszugehen. Denn die Autoren erhalten in der Regel 3500 Mark, mitunter auch 4000 Mark (plus 7 Prozent MwSt.). Das klingt zunächst viel. Vergegenwärtigt man sich jedoch, daß vier Wochen für Recherche und Schreiben veranschlagt werden müssen, bleibt nur noch das Urteil: beschämend wenig. Für die Arbeit eines Monats erhalten Ihre Autoren also ein Honorar, das wir „Taschengeld“ zu nennen nicht umhin kommen.

Sehr einfach könnte „Die Zeit“ Ihren Beitrag zu Verbesserung der Selbständigen leisten, wenn Sie Ihrem Namen gerecht würde und Zeit statt Zeilen bezahlen würde. Was auch immer Herr Heuer unter einer „stabilen Karriere“ versteht – auf sie können sicher viele Freiberufler verzichten, auf ein vernünftiges Einkommen jedoch nicht. Der Tagessatz, den die IG-Medien und die Mittelstandsgemeinschaft Journalismus fordern, betrug bereits 1995 mindestens 520 Mark (plus MwSt.). Würde „Die Zeit“ den freien Autoren Ihrer Dossiers die investierte Zeit vergüten, würde sich die wirtschaftliche Lage dieser Autoren endlich auch der von Ihnen (zu Recht) geforderten Qualität ihrer Arbeit annähern:
Klasse.

Nun scheint sich in einem so ehrwürdigen Haus wie der „Zeit“ das Maß der Ehre, für Sie arbeiten zu „dürfen“, höchst ungünstig auf die Honorarhöhe auszuwirken. Lassen wir es einmal dahingestellt sein, ob mit Ehrbegriffen heute noch viel Staat, geschweige denn eine Zeitung von der Qualität der „Zeit“ zu machen ist.

Inakzeptabel ist für uns jedoch, daß die vermeintliche Ehre für lausige Honorare entschädigen soll.

Die Beziehung ist im übrigen nicht so einseitig. Schließlich gewinnen nicht nur die für Sie arbeitenden Autoren an Reputation. Umgekehrt verdankt auch „Die Zeit“ ihren Ruf der hervorragenden Arbeit dieser Autoren. Außerdem: Würde in den Gehaltsverhandlungen auch der festbestallten Redakteure die Ehre die Höhe des Salärs bestimmen, müßte Ihr neuer Chefredakteur der am schlechtesten bezahlte Mann im Hause sein, wird ihm doch mit der Leitung eines derart bedeutenden Blattes ein Höchstmaß an Ehre zuteil.

Kurzum: Das Lamento vieler Zeitungen über die neuen Freiberufler erscheint uns höchst überflüssig. Zu großen Teilen profitieren die Medien eben von der Lage, die sie mehr oder weniger engagiert beschreiben, indem sie zuerst an den Honoraren der freien Journalisten sparen. Wir fordern Sie daher auf: Zahlen Sie ordentliche Honorare. Das würde Ihnen wirklich zur Ehre gereichen. Dann könnten wir demnächst auch in Ihrer Zeitung lesen, daß es außerhalb der „Zeit“-Redaktion ein glückliches und von Existenzängsten freies Leben für Journalisten gibt.

Mit freundlichen Grüßen
Der Ortsvorstand der IG Medien, Frankfurt
i.A. Dirk Dietz

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