Druckarbeitgeber pfeifen auf Flächentarifverträge
Was die Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen vor einem Jahr mit beachtlichem Erfolg gemeistert haben, steht den 400.000 Kolleginnen und Kollegen in den Druckereien, den Verlagen und den papierverarbeitenden Betrieben in diesem Frühjahr bevor: die Verteidigung grundlegender tarifpolitischer Errungenschaften gegen massive Übergriffe der zuständigen Unternehmerverbände. Und wie die Dinge stehen, wird das nicht ohne heftige Streiks abgehen.
In vielen Chefetagen sind in diesen Tagen Systemveränderer am Werk: Die Zeiten, in denen die lohnabhängig Beschäftigten und ihre Gewerkschaften sich gesellschaftspolitisch in der Defensive sehen und Millionen ohne Arbeit sind oder Angst vor Arbeitslosigkeit und Armut haben, wollen sie nutzen für einen radikalen Umsturz der tarifpolitischen Verhältnisse. 157 Jahre nach dem ersten Druckerstreik, 132 Jahre nach Abschluss des ersten Drucker-Tarifvertrags wollen viele Prinzipale offensichtlich aufs Ganze gehen und können sich allen Ernstes vorstellen, künftig ohne jegliche Flächentarifverträge auszukommen. Jedenfalls wollen sie ihn nur noch dann, wenn die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft sich ihnen bedingungslos unterwirft und Vereinbarungen akzeptiert, die nur noch eine inhaltsleere Hülle wären.
Vernichtung weiterer Jobs
Wenn Tarifrunden in der Vergangenheit so abgelaufen sind, dass die Gewerkschaften Forderungen erhoben und die Unternehmerverbände nach und nach Angebote machten, soll das heute umgekehrt funktionieren: Die Arbeitgeber stellen Forderungen, die – allerdings ziemlich phantasielos – über die Branchen hinweg auf das Gleiche hinauslaufen: Sie wollen in den Betrieben freie Hand bekommen für die Verlängerung der Arbeitszeiten – selbstverständlich auch ohne Lohnausgleich. Sie wollen je nach Kassenlage regeln, ob Urlaubsgeld und / oder Jahresleistung gezahlt werden und in welcher Höhe. Sie wollen Erschwerniszuschläge reduzieren oder abschaffen und den Samstag wieder zum zuschlagsfreien Normalarbeitstag machen. Und sie wollen die Belegschaften spalten, indem Beschäftigte, die nach dem 1. Mai 2005 eingestellt werden, grundsätzlich schlechtere Konditionen bekommen.
Würde ver.di die von den Unternehmern geforderten Öffnungsklauseln tarifvertraglich akzeptieren, hätten selbst starke, selbstbewusste Belegschaften und ihre Betriebsräte kaum noch Druckmittel, Arbeitszeitverlängerungen und Lohnsenkungen abzuwehren. Streiks dagegen wären juristisch jedenfalls kaum noch zulässig. Insgesamt läuft die aktuelle Tarifpolitik des Bundesverbandes Druck und Medien (bvdm), der Verlegerverbände und des Hauptverbands der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie (hpv) auf die Vernichtung von weiteren zigtausend Jobs hinaus, und die, die noch Arbeit hätten, müssten massive Einkommensverluste hinnehmen.
Jedes Kind kann sich das an fünf Fingern ausrechnen, aber die meisten Unternehmer und ihre Manager können offensichtlich keine zehn Meter mehr über den eigenen Betrieb und keine 14 Tage über den nächsten Quartalsabschluss hinausdenken, um zu erkennen, dass in einem wachstumsorientierten Wirtschaftssystem Lohndumping und Verarmung immer größerer Bevölkerungsschichten nur zu weiterer ökonomischer Depression führen. Nicht zuletzt aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es deshalb auch nur vernünftig, dass ver.di für die Beschäftigten der Druckindustrie und der Papierverarbeitung in diesem Jahr eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 3,7 Prozent fordert.
Gegen die skizzierte Politik der zuständigen Unternehmerverbände hilft im Zweifelsfall nur die aktive Ingebrauchnahme des verfassungsrechtlich garantierten Streikrechts. Auch hier verkehrte Welt: Wenn Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in früheren Zeiten das Wort Arbeitskampf in den Mund nahmen, drohte stets der Untergang des Abendlands. In der Druckindustrie sind es heutzutage die Unternehmer, die schon seit eineinhalb Jahren die Muskeln spielen lassen und davon reden, dass es im Frühjahr 2005 wohl auf einen Arbeitskampf hinauslaufen werde, den man aber um der guten Sache willen in Kauf nehmen, sprich: aussitzen wolle. Je näher allerdings der 30. April 2005, das Ende der so genannten tariflichen Friedenspflicht, heranrückt, desto stiller sind die Druck-Unternehmer in Sachen Arbeitskampf geworden.
Mutige Papierverarbeiter
Zehn Verhandlungsrunden sind 2004 und in diesem Jahr ohne nennenswerte Fortschritte über die Bühne gegangen, und wenn nicht noch ein Wunder geschieht, gibt es Anfang Mai die ersten Streiks in Zeitungsbetrieben und anderen Druckereien, die aber unter einem guten Vorzeichen stehen: In der Schwesterbranche Papierverarbeitung, die früher tarifpolitisch immer ein wenig im Windschatten der Druckindustrie segelte und wo die Friedenspflicht schon Ende Dezember 2004 ausgelaufen ist, hat sich im März und April 2005 die breiteste und kraftvollste Streikbewegung seit 1991 entwickelt. Vor dem Mut der Kolleginnen und Kollegen, in Zeiten wie diesen in den Ausstand zu treten, kann ich nur den Hut ziehen.