Auf der Suche nach Stabilisierung – fast 500 Arbeitsplätze in Gefahr
Der Insolvenzantrag der Frankfurter Rundschau schockiert die Zeitungsbranche. Bis Anfang nächsten Jahres muss sich entscheiden, ob und wie das Blatt erhalten werden kann. Auf dem Spiel stehen 487 Arbeitsplätze. Betroffen vom Konkursantrag ist auch die Redaktionsgemeinschaft mit der Berliner Zeitung.
Die Nachricht vom drohenden Aus ihrer Zeitung erreichte die FR-Belegschaft zuerst über Spiegel Online. Erst danach stellten sich die Hauptgesellschafter – das Medienhaus DuMont Schauberg und die SPD-Holding Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG) auf einer Betriebsversammlung. Sie teilten den konsternierten Beschäftigten mit, dass für sie „keine Perspektive der Fortführung des Unternehmens“ mehr in Sicht sei. Als vorläufiger Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt Frank Schmitt eingesetzt. Der beeilte sich, zumindest gedämpfte Zuversicht zu verbreiten. „Wesentliches Ziel ist derzeit, den Geschäftsbetrieb fortzuführen“ hieß es in einer Mitteilung. Löhne und Gehälter seien bis Ende Januar 2013 über das Insolvenzgeld abgesichert. Im FR-„Newsroom“ regte Schmitt ein „großes Brainstorming“ an mit dem Ziel, zu klären, „ob und wie wir das Produkt Frankfurter Rundschau neu aufstellen können“. Dabei solle „kein Vorschlag tabu“ sein. „Worst case“ wäre es aber, wenn Mitarbeiter entlassen werden müssten. Der FR-Betriebsrat gibt sich kampfeslustig. „Die Belegschaft ist hochmotiviert, Betrieb und Arbeitsplätze zu erhalten“, sagt Betriebsrats-Vorsitzender Marcel Bathis, „bei uns steckt keiner den Kopf in den Sand“.
Heftige Leserreaktionen
Das öffentliche Echo auf den Konkursantrag war und ist nach wie vor enorm. Vertreter nahezu aller Parteien und auch die überregionalen Wettbewerber bedauerten die dramatische Entwicklung beim Traditionsblatt FR. Hunderte von Lesern reagierten mit bestürzten Briefen und E-Mails. „Die Bundesrepublik braucht eine Zeitung mit links-liberalem Zuschnitt“, schrieb beispielsweise ein 84jähriger langjähriger Leser und nahm gleichzeitig „reumütig“ seine offenbar kurz zuvor erfolgte Abo-Kündigung zurück.
„Die traditionsreiche FR ist Garant für Meinungsstärke und journalistische Qualität und vom deutschen Zeitungsmarkt nicht wegzudenken“, heißt es in einer Solidaritätsadresse des ver.di-Fachbereichs Medien, die auch vom Journalistentag der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) am 24. November in Berlin einmütig verabschiedet wurde. „Die verlegerischen Fehlentscheidungen der letzten Jahre“, so argumentiert ver.di weiter, „dürfen nicht auf dem Rücken der Beschäftigten und ihrer Familien ausgetragen werden“.
„Im Bewusstsein vieler altgedienter Redakteure mischte sich eine gewisse Zaghaftigkeit mit der durch nichts gedeckten Gewissheit, eher werde der Main austrocknen als die Rundschau untergehen“, erinnerte sich FAZ-Redakteur Peter Körte an seine Zeit bei der FR in den neunziger Jahren. Dass es nun doch zum Insolvenzverfahren komme, sei angesichts der politischen Bedeutung und des intellektuellen Formats, das die Zeitung in der Nachkriegspublizistik erworben hatte, „sehr bitter und traurig“.
Pflichtlektüre
Lange war die FR eine Zeitung mit überregionaler, weit über Hessen hinausreichender Ausstrahlung. In den 70er und 80er Jahren galt sie in studentischen Milieus und in im weitesten Sinne linksliberalen Kreisen als Pflichtlektüre.
Spätestens seit der Jahrtausendwende ging es wirtschaftlich rapide bergab. 2004 drohte erstmals die Pleite. Damals sprang die SPD-Medienholding DDVG als Retter ein und übernahm 90 Prozent der Anteile an der Druck- und Verlagshaus Frankfurt/M. GmbH. Dabei war klar, dass es – schon aus Imagegründen – nicht auf Dauer bei diesem sozialdemokratischen Mehrheits-Engagement bleiben würde. Zwei Jahre später stieg das Kölner Medienhaus M.DuMont Schauberg (MDS) als Mehrheitseigner ein. Seither halten die Kölner 50 Prozent plus eine Aktie, die DDVG rund 40 Prozent, die übrigen Anteile liegen bei der Karl-Gerold-Stiftung.
Unter der Regie von MDS wurde einiges versucht, die ökonomische Schieflage der Zeitung zu korrigieren. Doch auch unter den neuen Eignern rutschte die FR immer weiter in die Krise. Immer neue Sparrunden brachten nicht die erwünschte Erholung für die Bilanz. Radikalste Maßnahme war die 2007 erfolgte Umstellung auf das Tabloid-Format, für die FR eine Art Alleinstellungsmerkmal unter den überregional verbreiteten Tageszeitungen. Eine kostenpflichtige iPad-Version heimste zwar Preise ein, kam aber zu spät, um das Blatt noch zu wenden. Derweil sackte die Verkaufsauflage weiter ab. Wurden vor gut zehn Jahren noch etwa 190.000 Exemplare abgesetzt, so war dieser Wert im dritten Quartal 2012 auf 118.000 geschmolzen. Gleichzeitig stiegen die Verluste. Allein in den beiden Jahren der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/9 wurden 41,3 Millionen Euro Miese eingefahren. Die FR mutierte zu einem Fass ohne Boden. Auch 2012 soll bis zum Konkursantrag ein weiteres Minus in Höhe von 16 Millionen Euro aufgelaufen sein.
Zu den strukturellen Faktoren gesellten sich hausgemachte Fehler. Gravierend erscheint der fortwährende Schlingerkurs, was die überregionalen Ambitionen des Blatts angeht. Der seit Herbst 2002 amtierende Chefredakteur Wolfgang Storz hatte 2005 der Zeitung einen stärkeren Regionalisierungskurs verordnet. Eine sinnvoll erscheinende Strategie – schließlich verkauft die FR seit langem mehr als zwei Drittel ihrer Auflage im Rhein-Main-Gebiet. Das Konzept wurde jedoch von Nachfolger Uwe Vorkötter bei Dienstantritt 2006 gleich wieder über den Haufen geworfen.
Inhaltlich wurde das Profil der FR mehr und mehr verwässert. Seit April 2010 ist die Rundschau Teil der „DuMont-Redaktionsgemeinschaft“, der auch die Berliner Zeitung, der Kölner Stadtanzeiger und die Mitteldeutsche Zeitung angehören. Dieser Redaktionspool beliefert alle vier Blätter mit Texten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In Vorkötters Amtszeit fiel im Sommer 2011 auch die Entscheidung, die überregionalen Mantelteile der Rundschau in Berlin zu produzieren. Eigens dafür wurde damals das Personal der Berliner Zeitung um ein knappes Dutzend Redakteure aus Frankfurt aufgestockt. Am Frankfurter Standort mussten dagegen 58 KollegInnen aus Verlag und Redaktion gehen. Eine weitere fatale Weichenstellung, urteilt der stellvertretende ver.di. Vorsitzende Frank Werneke. Der Insolvenzantrag sei „das Ende einer traurigen Entwicklung, die damit begonnen hat, dass der eigene Charakter des Blattes in den Gemeinschaftsredaktionen von Hauptanteilseigner MDS bis zur Unkenntlichkeit geschliffen und das Blatt auf regionale Bedeutung herabgestuft wurde“.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Die Insolvenz müsse nicht das Ende sein, erklärtes Ziel sei eine Stabilisierung des Geschäftsbetriebs von Zeitung und Verlag, äußerte Karlheinz Kroke, Geschäftsführer des Druck- und Verlagshauses in Frankfurt. Zeitgleich teilte er allerdings mit, dass zwei Wochen nach der Insolvenz der FR auch sechs Tochtergesellschaften für Anzeigen und Vertrieb einen Konkursantrag gestellt haben. Betroffen sind rund 80 Mitarbeiter.
Der Betriebsrat kämpft weiter für den Erhalt von Zeitung und Arbeitsplätzen, richtet sich aber auch auf ein mögliches „worst-case-Szenario“ ein. Der Konkurs wäre „ein sozialpolitischer Supergau für die Belegschaft“, sagt Betriebsrat-Vorsitzender Bathis. Falls jedoch der schlimmste Fall eintrete, müsse wenigstens ordentlich abgefunden werden. „Die Gesellschafter stehen in der Pflicht, uns zu unterstützen“, fordert er.
Derweil sucht Insolvenzverwalter Frank Schmitt nach einem neuen Investor. Dem Radiosender hr-info sagte er, es gebe „namhafte Interessenten“ für die FR. Nach seinem Eindruck handle es sich um „wirklich ernst gemeinte Anfragen und Angebote“. Genaueres verriet er begreiflicherweise noch nicht. Bekannt wurden allerdings einige Absagen. So ließen die Ippen-Verlagsgruppe und die „Rheinische-Post“-Mediengruppe durchblicken, sie hätten kein Interesse an einem Einstieg bei der FR.
Auch im Berliner Verlag schlug die Nachricht vom FR-Konkursantrag hohe Wellen. „Das ist ein bitterer Moment“, klagt Frank Herold, Politikredakteur und Betriebsrat der Berliner Zeitung. Schließlich hätten sich auch die Berliner im Rahmen der Redaktionsgemeinschaft über anderthalb Jahre „unglaublich engagiert“.
Scherbenhaufen
In den Redaktionen beider Zeitungen war seinerzeit diese Kooperation durchaus umstritten. Denn es ging darum, Kosten einzusparen, was in der Anfangsphase für manche Reibungsverluste sorgte. Dazu kam, dass der gemeinsame Autorenpool für die Blätter von DuMont – dazu gehört neben dem Stammblatt Kölner Stadtanzeiger auch noch die Mitteldeutsche Zeitung in Halle – unterm Strich eher ein Weniger an Meinungsvielfalt produzierte. Jetzt steht man vor einem Scherbenhaufen.
Von Anfang an wurde befürchtet, die Vorgänge bei der FR würden auch massive negative Auswirkungen auf Berlin haben. Dass diese Ängste mehr als berechtigt waren, erfuhren die Beschäftigten des Berliner Verlags auf einer kurzfristig einberufenen Betriebsversammlung Ende November. In Anbetracht der roten Zahlen, die der Verlag in diesem Jahr schreiben werde, sei die „Zeit der Sanierungen in kleinen Schritten“ definitiv vorüber, sagte Geschäftsführer Michael Braun. Und konfrontierte die geschockte Belegschaft mit einem Horrorszenario. Verwaltung: minus 27 Stellen, Redaktion Berliner Kurier: minus 13 Stellen. In der Redaktion der Berliner Zeitung stehen im schlimmsten Fall 48 Jobs zur Disposition, was etwa 30 Prozent der Gesamtzahl der Mitarbeiter entspricht. Wie viele es am Ende sein werden, hängt vom Ausgang des FR-Konkursverfahrens ab. So könnte die Hälfte der Jobs im „Autorenpool“, der Redaktionsgemeinschaft 1, wegfallen. Sollte die FR in Konkurs gehen, trifft es auch alle 20 Redaktionsmitglieder, die bislang den Mantel für FR und Berliner produzieren. Weitere 12 Stellen bei der Berliner sollen unabhängig vom Schicksal der FR gestrichen werden – allein aus Spargründen.
Erst wenige Tage zuvor hatte der Verlag der Berliner Zeitung per Mail den „lieben Mitarbeiterinnen“ und „lieben Mitarbeitern“ Aufhebungsverträge angeboten. Verknüpft mit der unverhohlenen Drohung, bei Nichtannahme dieser „freiwilligen“ Abfindungsangebote seien betriebsbedingte Kündigungen „nicht auszuschließen“. Das Ganze geknüpft an den Vorbehalt, „dass die frei werdende Stelle „nach Ausscheiden betriebsbedingt wegfällt. „Wir lehnen diese Personalpolitik ab!“ protestierte Betriebsrätin Susanne Rost in einer Betriebsrats-Information. Der Arbeitsdruck auf die verbleibende Belegschaft werde mit dieser Kahlschlagpolitik nur noch weiter erhöht. Um mit den Zeitungen und dem Online-Angebot gegen die Konkurrenz in Berlin zu bestehen, bedürfe es nicht nur Investitionen in die Technik: „Wir brauchen auch Köpfe.“
Kritik am „geplanten Stellenkahlschlag“ im Berliner Verlag äußerte auch ver.di. Es bleibe völlig unklar, „wie nach diesem Personalabbau die von der Geschäftsführung und den Verlegern beteuerte Wahrung der publizistischen Qualität ermöglicht werden soll“, sagte ver.di-Konzernbetreuer Matthias von Fintel.