Editorial: Zu enger Blickwinkel

Das Selbstverständnis der Auslandsberichterstattung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist in den Fokus öffentlicher Debatten geraten. Aber auch in den Anstalten selbst wird der Blick in die Welt durch das eigene, im Vergleich große Korrespondentennetz diskutiert (Titel S. 8 bis 12). Erfahrene langjährige Reporter meldeten sich in den letzten Monaten kritisch zu Wort. In einer vom Dortmunder Erich-Brost-Institut finanzierten Studie beschreiben 300 deutsche Auslandskorrespondenten der Presse und des Rundfunks die Ecken und Kanten deutscher Berichterstattung aus aller Welt. Da ist die Rede von „zu engem Blickwinkel“, „Regierungstreue“, „Agenturgläubigkeit“, „Verflachung und Beliebigkeit“, „weißen Flecken“ und von Auslandsreportagen vornehmlich zu nächtlichen Sendezeiten. Die Konzentration auf die drei K´s: Krise, Krieg und Katastrophen scheint auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk fest im Griff zu haben. Hintergründe zum gesellschaftlichen Leben, zu Land und Leuten, der politischen Entwicklung vieler Nationen bleiben jenseits sensationeller Schlaglichter oft im Verborgenen. Viele Länder, ganze Kontinente kommen – so kein „K“ aufblendet – lange Zeit nicht in TV und Radio vor. Nachrichten über unvorstellbare Zahlen von Hungertoten in Afrika können angesichts eines solch engen Weltbildes am europäischen Wohlstand nur abprallen. Aber auch die durchaus verbreitete Sicht: Negatives bringe mehr Quote, scheint das Angebot für den Gebührenzahler tendenziell zu bestimmen. Verkannt wird bei alledem nicht, dass die Öffentlich-rechtlichen jedem Vergleich mit den Privaten standhalten. ARD und ZDF strahlen durchaus journalistisch ansprechende Auslandssendungen aus wie den „Weltspiegel“ der ARD oder das „Auslandsjournal“ des ZDF.
Dennoch: Ausgehend vom umfassenden Informationsauftrag der Öffentlich-rechtlichen ist die Kritik nicht von der Hand zu weisen. Es gibt erste Schlussfolgerungen. So durch den WDR-Rundfunkrat, der unter anderem anregt, das Format „Weltweit“ in seinem Dritten „verstärkt zu einer Marke für Hintergrundinformationen auszubauen“. Das Gremium sprach sich zudem für einen festen Korrespondentenplatz in Westafrika aus, da dieser Teil des Kontinents vor wichtigen politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen stünde.
Mehr als einen kritischen Blick verdient hierzulande auch der Medienjournalismus. Auf der einen Seite gibt es immer mehr Medien mit immer mehr Content, der in immer schnellerem Takt auf Leser, Hörerinnen und Zuschauer einstürmt, begleitet von einem unermesslichen technischen Angebot an Empfängern und Verbreitungswegen. Auf der anderen Seite haben wir einen Medienjournalismus, der sich eher zurückzieht, als rundherum für Klarheit zu sorgen. Damit lässt er die Medienkonsumenten im Regen stehen (S. 6) Qualitätsjournalismus sieht anders aus! Vielleicht sollten wir auch darüber auf dem 22. Journalistentag am 29. November diskutieren (S. 4).

Karin Wenk,
verantwortliche Redakteurin

Weitere aktuelle Beiträge

Kriminalität nicht mit Migration verknüpfen

Kriminelle Migranten bedrohen die Sicherheit in Deutschland“ – dieses alte rechte Narrativ wird von der AfD neu belebt und verfestigt sich in der Mitte von Gesellschaft und Politik. Medien, die diese realitätsverzerrende Erzählung bedienen, weil sie meinen, die laute Minderheit repräsentiere ein öffentliches Interesse, spielen mit dem Feuer.
mehr »

Mit BigTech gegen Pressefreiheit

Der Vogel ist frei“ twitterte der US-Milliardär und Big Tech-Unternehmer Elon Musk am 28. Oktober 2022, dem Tag seiner Übernahme des Kurznachrichtendienstes Twitter, der damals noch den blauen Vogel als Logo hatte. Der reichste Mann der Welt wollte nach eigener Aussage den Dienst zu einer Plattform der absoluten Redefreiheit machen: „Freie Meinungsäußerung ist die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter ist der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert werden“, hatte er zuvor erklärt.
mehr »

Vernetzte Frauen im Journalismus

Sich als Frau in einer Branche behaupten müssen, in der Durchsetzungskraft und Selbstbewusstsein entscheidende Faktoren sind: Für Generationen von Journalistinnen eine zusätzliche Belastung im ohnehin schon von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten Beruf. Angesichts dieser Herausforderung sind Netzwerke und solidarische Bündnisse von großer Bedeutung. Der Journalistinnenbund (JB) hatte hierbei seit seiner Gründung im Jahr 1987 eine Vorreiterrolle inne. Sein Anliegen: Geschlechtergleichstellung in den Medien erreichen.
mehr »

In den eigenen Räumen etwas bewegen

Stine Eckert forscht zu Geschlechterkonstruktionen in den Medien am Institut für Kommunikationswissenschaft an der Wayne State University in Detroit. Ihr Buch „We can do better“ versammelt  „feministische Manifeste für Medien und Kommunikation“. Mit Ulrike Wagener sprach sie für M über die Verbindung zwischen Universitäten und Aktivismus und die Frage, wo Medien und Medienschaffende etwas verändern können.
mehr »