Flächentarifvertrag und Lohnfortzahlung gesichert

Zum Abschluß des Manteltarifvertrags in der Druckindustrie ein Gespräch mit dem Fachgruppensekretär Druckindustrie und Verlage in der IG Medien – Frank Werneke

?Was sind die wichtigsten Ergebnisse des Tarifabschlusses in der Druckindustrie?

Frank Werneke: Aus meiner Sicht ist der wichtigste Erfolg, daß es in der Druckindustrie gelungen ist, den Flächentarifvertrag zu verteidigen. Das mag auf den ersten Blick wie eine Selbstverständlichkeit klingen – ist es aber nicht. Es war das erkennbare Ziel von wesentlichen Teilen des Bundesverbandes Druck, die Tarifbindung in der Branche aufzuheben – auch als Vorreiter für andere Bereiche. Das Mindeste, was die Arbeitgeber in dieser Tarifrunde erreichen wollten war, als Preis für die Wiederinkraftsetzung des Manteltarifvertrags, tiefgreifende Verschlechterungen im Tarifvertrag durchzusetzen. In ihrem Forderungspaket standen bekanntlich Punkte wie die Verlängerung der Arbeitszeit durch die Abschaffung von Freischichten und umfassende materielle Verschlechterungen, so die durchgehende Kürzung der Jahressonderzahlung um 20 Prozent.

Dieser Versuch einer grundsätzlichen Tarifwende konnte abgewehrt werden. Das war aber nur durch massive Proteste in den Betrieben möglich. Begleitend zu den Verhandlungen am 4. und 5. Februar haben über 20000 Beschäftigte in der Druckindustrie die Arbeit niedergelegt. In 280 Betrieben fanden Warnstreiks statt.Diese hohe Warnstreikbeteiligung, übrigens auch in vielen Kleinbetrieben, wiegt um so mehr, wenn man bedenkt, daß in der Druckindustrie die Angst um den Arbeitsplatz allgegenwärtig ist. Über 30000 Arbeitsplätze sind bereits weggefallen. Und die Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes ist in den Betrieben an der Tagesordnung.In der Berichterstattung zum Tarifabschluß gab es teilweise sehr verkürzende Darstellungen, insbesondere zur Samstagsarbeit.

Deshalb die wesentlichen Ergebnisse:

  • Die Löhne werden ab dem 1. April um 1,5 Prozent erhöht.
  • Die Lohnfortzahlung bleibt bei 100 Prozent, bei Kuren werden keine Urlaubstage angerechnet, die gesetzliche Kürzung des Krankengeldes wird ausgeglichen.Dafür wird die Jahresleistung um 5 Prozent gekürzt. Bei der Berechnung der Lohnfortzahlung und des Urlaubslohnes werden Überstunden nicht mehr berücksichtigt.Nur bei zwingenden wirtschaftlichen Gründen wird Samstagsarbeit möglich. Voraussetzung ist, daß der Betriebsrat und die betroffenen Arbeitnehmer/innen zustimmen. Außerdem:- Es gilt weiter die 5-Tage-Woche. – Für Samstagsarbeit müssen Zuschläge bezahlt werden. – Die Arbeitszeit muß um 15.00 Uhr enden, nur bei dreischichtiger Produktion kann bis 23.00 Uhr gearbeitet werden. – Bei der Zeitungsproduktion ändert sich nichts.
  • Die sogenannten Maschinenbesetzungen werden wieder in Kraft gesetzt. Bis zu einer umfassenden Reform sind zwei Öffnungsklauseln vereinbart.
  • Die Härtefallklausel: Beim Vorliegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten kann in Betrieben mit bis zu 35 Beschäftigten, die Jahresleistung reduziert werden, Untergrenze sind 60 Prozent. Jedoch: Nur einmal in vier Jahren – außerdem muß der Betriebsrat zustimmen.Wenn die Jahresleistung gekürzt wird, darf der Betrieb im Folgejahr niemanden betriebsbedingt entlassen.?Wie wurde das Ergebnis in der Verhandlungs- und der Tarifkommission aufgenommen? Welche Teile waren besonders umstritten? Und gibt es Kritik oder Zustimmung aus den Betrieben?Das vorliegende Tarifergebnis ist kein Erfolg, es ist allerdings akzeptabel, wenn man berücksichtigt, daß die vom Bundesverband Druck geforderte Tarifwende verhindert werden konnte. Dieses Stimmungsbild bestimmte auch die Debatten in der Verhandlungs- und der Tarifkommission. In beiden Entscheidungsgremien wurde das Ergebnis mit deutlicher Mehrheit angenommen.Kritisch bewertet wurden insbesondere die Punkte Samstagsarbeit und die sogenannte Härtefallklausel für Kleinbetriebe.Mit der jetzigen Regelung wird der Samstag in der Druckindustrie nicht zum Regelarbeitstag. Allein die Tatsache, daß Samstagszuschläge höher sind als Überstundenzuschläge, wird dazu führen, daß bei Produktionsschwankungen in kleineren und mittleren Betrieben der Samstag teilweise zur Ableistung von Überstunden herangezogen wird. Das war auch in der Vergangenheit so.Auch das ist nicht zu beschönigen, denn die Möglichkeit, Überstunden in freie Zeit auszugleichen, und damit einen Beitrag zur Beschäftigungssicherung zu leisten, wird in der Druckindustrie in viel zu geringem Umfang realisiert. Der Versuch zu Einführung einer verpflichtenden Umwandlung von Überstunden in Freizeit ist übrigens während der Tarifverhandlungen am Widerstand der Arbeitgeber gescheitert.Regelmäßige Samstagsarbeit ist jedoch ein Thema für große Betriebe mit drei- und mehr als dreischichtiger Produktion, das trifft z.B. auf die Zeitschriftendruckereien zu. Hier werden sich Beschäftigte und Betriebsrat verstärkt mit dem Versuch konfrontiert sehen, den Samstag in die Schichtsysteme einzubauen. Auch hier gilt natürlich das Freiwilligkeitsprinzip, Betriebsrat und Beschäftigte können ablehnen. Doch der Druck auf die Belegschaften wird enorm sein.Zweiter Kritikpunkt am Abschluß ist die Härtefallklausel. Sie trifft die ohnehin starkem Druck ausgesetzten Beschäftigten in Kleinbetrieben bis 35 Beschäftigte. Auch hier bleibt natürlich der Freiwilligkeitsvorbehalt. Bei einer Kürzung der Jahressonderzahlung, dieses ist nur einmal in vier Jahren möglich, muß der Betriebsrat zustimmen. Der Betriebsrat kann u.a. Sachverständige zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage hinzuziehen. Dennoch, diese Härtefallklausel ist der vielleicht bitterste Preis für diesen Tarifabschluß.Entsprechend waren auch die Reaktionen aus den Betrieben: Keine Begeisterung, Unzufriedenheit insbesondere bei kleineren Betrieben, bei denen sich die Kolleginnen und Kollegen an Warnstreikaktionen beteiligt hatten. Insgesamt überwiegt in den betrieblichen Reaktionen jedoch Zustimmung.?Welche Aufgaben stehen jetzt zur Umsetzung des Tarifabschlusses in den Betrieben an?

    Zuerst besteht ein hoher Informationsbedarf. Bei der Anwendung, z.B. der neuen Regelungen zur Samstagsarbeit, brauchen die Beschäftigten und die Betriebsräte Unterstützung. Wir werden daher Veranstaltungen zur Umsetzung des Tarifvertrages durchfüh-ren, entsprechende Materialien sind in Vorbereitung. In den nächsten Tagen geht auch ein Schreiben an alle IG-Medien-Mitglieder in der Druckindustrie, um über die Ergebnisse zu informieren.?Wie schätzt ihr generell die Ergebnisse und die Erfahrungen dieser Tarifrunde ein? Welche Schlußfolgerungen kann man für andere – laufende – Tarifrunden mit den Verlegern ziehen?

    Das grundsätzliche Ziel von wesentlichen Teilen des Arbeitgeberlagers: den Tarifschutz aufzuheben oder zumindest auszuhebeln, bleibt. Ich bin sicher, daß wir uns zukünftig in jeder Tarifrunde, gleich ob es um einen Manteltarifvertrag oder um eine Lohn- und Gehaltsrunde geht, mit dem Verlangen auseinandersetzen müssen, die Tarifverträge zu verschlechtern. Dabei wird dann auch nicht mehr zwischen Lohn- und Mantelrunden unterschieden. In anderen Tarifbereichen, z.B. der Papierverarbeitung, haben wir jetzt schon die Situation, daß als Preis für jeden „reinen“ Lohnabschluß Verschlechterungen im Manteltarifvertrag gefordert werden – auch wenn dieser gar nicht gekündigt wurde.Interessant sind die Reaktionen des Zeitungsverlegerverbandes auf den Tarifabschluß in der Druckindustrie. Der BDZV begrüßt diesen ausdrücklich und sieht in ihm ein wichtiges Signal zur Tarifwende – nun mag man den Abschluß in der Druckindustrie unterschiedlich bewerten, das Signal für die Verlage ist jedoch klar. Hier sollen, obwohl die Verlage ohne wirtschaftliche Probleme darstehen, Tarifverschlechterungen durchgesetzt werden. Drei regionale Verlagstarife wurden bereits gekündigt – jeweils mit umfangreichen Forderungen der Arbeitgeber.Wie geht es weiter: Der Ausgang der Tarifrunden wird im Wesentlichen davon abhängen, ob und wie in Zukunft in den Betrieben Tarifverträge gehalten werden können. Nach dem Motto: „legal, illegal, scheißegal“ versuchen Unternehmensleitungen immer unverfrorener, bestehendes Tarifrecht zu brechen und damit natürlich auch in ihrem Sinne verbesserte Rahmenbedingungen für Tarifrunden zu schaffen. Wir müssen es als Gewerkschaften schaffen, durch eine verbesserte Betriebsarbeit und insbesondere Informationsarbeit, solche Erpressungsversuche gegenüber Betriebsräten und Beschäftigten zurückzudrängen. Wenn uns das gelingt, bin ich auch bezogen auf die Erhaltung des Tarifschutzes optimistisch.


  • Mit Frank Werneke sprach
    Ulrike Maercks-Franzen

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Games: Welcome to Planet B

Die Bürgermeisterin muss sich entscheiden: Soll zuerst ein Frühwarnsystem vor Springfluten eingerichtet oder neue Möglichkeiten zum Schutz vor Hitze geplant werden? Und sollen diese neuen Schutzmaßnahmen besonders günstig oder lieber besonders nachhaltig sein? Was wie Realpolitik klingt ist ein Computerspiel. Denn immer mehr Games setzten sich auch mit Umweltthemen auseinander.
mehr »

Neue Perspektiven für Klimajournalismus

Besondere Zeiten brauchen einen besonderen Journalismus – ein Motto, dass das im Juli gelaunchte deutschsprachige Medienprojekt „Neue Zukunft“ nicht aus werbestrategischen Gründen ausgegeben hat. Die Klimakrise und die Klimagerechtigkeitsbewegung erhalten in vielen Medien der Schweiz, Österreichs und Deutschlands ihrer Meinung nach nicht genügend Aufmerksamkeit. Gerade Gerechtigkeitsfragen erhöhen den Handlungsdruck im Zusammenhang mit den Folgen menschlichen Raubbaus an Ressourcen und Umwelt.
mehr »

Klimaleugnung in den Medien

Rechtspopulistische Bewegungen machen weltweit mobil gegen den Klimaschutz. Sie zeigen sich „skeptisch“ gegenüber dem Klimawandel und lehnen klima- und energiepolitische Maßnahmen ab. Ein Widerspruch: Obgleich „Klimaskepsis“ und die Leugnung des menschengemachten Klimawandels vielfach zentrale Positionen der politischen Rechten markieren, existieren auch gegenläufige Tendenzen in Bezug auf Umwelt- und Naturschutz. Denn auch Rechte waren stets in Umweltbewegungen zugegen. Das hat Tradition.
mehr »

Schwierige Neuanfänge für Exiljournalisten

Für Journalist*innen im Exil ist es schwer, in ihrem Beruf zu arbeiten. Gerade wenn sie aus Ländern kommen, die wenig im Fokus des öffentlichen Interesses stehen. „Ich gehöre zu den Privilegierten“, sagt Omid Rezaee im Gespräch mit M. Der heute 34-jährige ist 2012 aus dem Iran geflohen, weil er dort wegen seiner Berichterstattung verfolgt wurde.Um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, floh er zuerst in den Irak und dann nach Deutschland. Hier lebt er seit neun Jahren und arbeitet als Journalist.
mehr »