Freie im Rundfunk: Bessere Einsichten

Manfred Kloiber, Bundesvorsitzender der Fachgruppe Medien in ver.di Foto: Murat Tueremis

Manfred Kloiber, Bundesvorsitzender der Fachgruppe Medien in ver.di Foto: Murat Tueremis

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung und Die Linke Bundestagsfraktion haben sich eingehend mit der Situation freier Mitarbeiter*innen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschäftigt. Das gefällt mir! Doch dies unbedingt mit einer Studie über die soziale und psychosoziale Situation der weit über 20.000 freien Mitarbeiter*innen machen zu wollen, ist zwar ein gut gemeinter, am Ende aber ein vielleicht wirkungsloser, hoffentlich nicht kontraproduktiver Versuch, notwendige Reformen anzustoßen. 

Denn gerade bei Freien im Rundfunk, spiegeln statistische Durchschnittswerte zu Einkommen, Arbeitszeit oder Work-Life-Balance Verhältnisse wider, die es in dieser Homogenität gar nicht gibt. Medien-Insider wissen, dass keine freie Mitarbeiter*in der oder dem anderen gleicht, kein Sender der ARD wie der andere ist, schon gar nicht wie das ZDF oder das Deutschlandradio. Und ganz außen vor bei dieser Betrachtung sind die vielen Freien, die über Produktionsfirmen indirekt für die Anstalten arbeiten. Die Spanne – gerade bei den Rundfunk-Freien reicht von Hartz-IV-Aufstockern bis hin zu Umsatz-Millionären. Viele Freie (ich auch!) sind es aus tiefstem Herzen, und wollen es auch immer bleiben. Viele aber nicht, sie hätten lieber eine ganz normale feste Stelle.

Vielleicht bin ich – neben meiner Identität als freier Journalist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – zu sehr Gewerkschafter, denn für mich steht fest: Bei diesem Thema bringt nur der kollektive Blick auf die Verhältnisse neue Einsichten. Nur diese Perspektive bringt etliche Schieflagen in der freien Mitarbeit beim Rundfunk ans Tageslicht –  jene, die systemisch sind, und nicht individuell. Das fängt schon bei der einfachen Frage an, wozu eigentlich der öffentlich-rechtliche Rundfunk freie Mitarbeiter*innen benötigt. Zuerst die schöne, reine Lehre: Freie sind dazu da, die Vielfalt in den Programmen der Sender zu gewährleisten, das kulturelle Leben zu spiegeln, guten Journalismus und Kunst unter die Leute zu bringen. Dafür sollen sie ordentlich und auskömmlich, bei Spitzenleistungen sogar hervorragend honoriert werden – übrigens mit ein tragender Grund für den Rundfunkbeitrag. Der Rundfunk und die Kulturlandschaft in Deutschland – sie würden blühen.

Freie zum Löcher stopfen im Stellenplan

Jetzt die Realität: Freie sind dazu da, die Löcher zu stopfen, die die Medien-Politik in die Stellenpläne der Sender schlägt (und die sich die Sender-Mächtigen vorauseilend gefallen lassen). Immer weniger werden die individuellen Kompetenzen von Journalist*innen, Publizist*innen oder Künstler*innen in Form von hochwertigen Beiträgen, Reportagen oder Features und exzellenten Hör- oder Fernsehspielen nachgefragt. Immer mehr werden Kolleg*innen aus allen Medienberufen, egal ob wirklich selbstständig oder nicht, zu freien Mitarbeiter*innen erklärt, damit sie eben keinen regulären Arbeitsplatz belegen, wie es in den allermeisten Fällen eigentlich richtig wäre.

Ich kann es mir nicht anders erklären: Als Ausweichmanöver gegen die völlig überzogene Stellenplankritik der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) sowie der Medienpolitik wurden immer mehr Feste zu Freien erklärt. Statt selbstbewusste, gut abgesicherte, angstfreie und mit allen Rechten ausgestattete Feste in Produktion und Redaktion werden immer mehr prekär beschäftigte Freie mit geringen Rechten, großen Unsicherheiten und manchmal auch großen Ängsten eingesetzt. Diese Arbeitsteilung ist falsch und schadet der Qualität.

Honorare immer mehr gedrückt

Und seitdem der Sparwahn auf dem gefühlten Höhepunkt tobt, werden obendrein noch die Honorare gedrückt. So können nicht nur der Stellenplan aufgehübscht, sondern auch noch die Kosten gesenkt werden, statt die zunehmende Unsicherheit wenigstens mit höheren Honoraren zu kompensieren.

Und um es ganz perfide zu machen, tragen die Personalverantwortlichen auch noch das verfassungsmäßig eingeräumte Abwechslungsbedürfnis des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bei den Arbeitsgerichten wie eine Monstranz vor sich her, um diese Zustände zu legitimieren. Gleichzeitig wird das Abwechslungsbedürfnis in den Programmen zur echten Rarität – allein die Talkshows mit den immergleichen Köpfen sprechen hier Bände. Selten wurden und werden notwendige Grundrechte so arg überstrapaziert, nur um die Schutzrechte von Arbeitnehmer*innen auszuhöhlen.

Denn die schrumpfen mit der Umwandlung eines regulären Arbeitsplatzes in einen prekären ganz gewaltig – nicht nur beim Kündigungsschutz. Jedes noch so normale Recht der Angestellten im öffentlich-rechtlichen – egal welches – schmilzt auf Bonsai-Niveau, wenn der Arbeitsplatz von fest auf frei wechselt. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte wenigstens die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt das Problem erkannt, und wegen der strukturellen wirtschaftlichen und sozialen Abhängigkeit vieler Rundfunkfreien den Paragraphen 12a in das Tarifvertragsgesetz gebracht. In der Folge schafften es die Gewerkschaften, für die arbeitnehmerähnlichen Freien tarifliche Mindeststandards in Sachen Vergütung, Sozialschutz und Kündigungsschutz einzuziehen. Sie alle liegen weit unter den Standards der Festen.

Bei Mitbestimmungsrechten ist noch viel Luft nach oben

Nicht geschafft haben es die Gewerkschaften, überall Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsrechte durchzusetzen. In vielen Sendern, überall dort, wo das Bundespersonalvertretungsrecht gilt, haben freie Mitarbeiter*innen keinerlei wirksame institutionelle Vertretung. Es gibt weder betriebliche Konfliktlösungen, noch offizielle Ansprechpartner*innen auf der Arbeitnehmerseite. Für Freie gelten oftmals nicht die einfachsten Rechte wie das Urlaubs-, das Arbeitszeit- oder das Arbeitsschutzgesetz. Wenn es sich tatsächlich um gutverdienende, echte Selbständige handeln würde, die als Unternehmer*innen auf Augenhöhe mit den Sendern agieren und Honorare wie Rechtsanwält*innen oder Ärzt*innen durchsetzen könnten, dann wäre das ja alles kein Problem. Aber das sind die Freien beim Rundfunk ja nicht. Die Wahrheit ist, dass die meisten Freien wie Feste eingesetzt, vom Sender aber nicht so behandelt werden. Sie bekommen zwar halbwegs vernünftige Honorare (dank der Gewerkschaften), sind aber in großen Teilen schutzlos der Willkür des Senders ausgeliefert.

Dies ist hauptsächlich ein Problem der Politik. Denn erst der Gesetzgeber hat es zugelassen, dass die Rundfunkanstalten schlecht gemachte oder hoffnungslos veraltete Sozialgesetze für die ausufernde und völlig sachfremde Beschäftigung in freier Mitarbeit bis aufs Letzte ausnutzen. Die Politik verhindert es nicht, dass der Selbstständigen-Begriff immer weiter auf eindeutig abhängige Arbeitsverhältnisse ausgeweitet wird. Sie lässt es zu, dass arbeitnehmerähnliche Personen nicht den Arbeitnehmer*innen ähnlich behandelt werden, weil sie in den Gesetzen gar nicht vorkommen. Dabei sind sie – siehe 12a Tarifvertragsgesetz – seit Jahrzehnten als schutzwürdige Gruppe von Erwerbstätigen bekannt. Trotzdem lässt es die Politik in Berlin zu, dass arbeitnehmerähnliche Personen und auf Produktionsdauer Beschäftigte in geradezu skandalöser Art und Weise im Bundespersonalvertretungsgesetz mit den Intendant*innen und den Direktor*innen der Sender gleichgestellt werden und deshalb aus dem Geltungsbereich fallen. Das hätte ich mir als Gegenstand einer Situationsanalyse gewünscht, um endlich in der Bundespolitik für Verbesserungen sorgen zu können. Denn nicht für alles beim Rundfunk sind die Länder zuständig.

Kein kritischer Blick auf die eigenen Bedingungen für Freie

Dass diese Schwächen und die Trägheit des Gesetzgebers von ach so cleveren und auf Rendite getrimmten Unternehmen schamlos ausgenutzt werden, liegt auf der Hand. Sie allein sind ja für rasche Änderungen Grund genug. Dass die Rundfunkanstalten mit gleicher Masche agieren und Freien die einfachsten Mitbestimmungsrechte verwehren, einen sozialen Schutz weitab der üblichen Standards bieten – daran habe ich mich schon fast gewöhnt, auch wenn das für eine öffentlich-rechtliche Anstalt nun wirklich nicht würdig ist. Aber mein Fremdschämen ist kaum noch zu unterdrücken, wenn eben diese Sender ach so investigative und kritische Berichte über Scheinselbständigkeit, Betrug mit Leiharbeitnehmer*innen, Missbrauch von Werkverträgen oder sonst wie prekären Arbeitsverhältnissen bringen – dann wird es wirklich kritisch, um es harmlos auszudrücken.

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