Gehste mit – bleibste heil?

Drei Jahre Outsourcing-Debatte beim WDR – hat sich der Kampf gelohnt?

Drei Jahre dominierte ein Thema die Diskussion bei der größten ARD-Anstalt: Die Auslagerung von Abteilungen, ihre Ausgründung als privatrechtlich verfaßte GmbH, die Überleitung der Mitarbeiter. Die Pläne trafen auf erbitterten Widerstand der Belegschaft, der freilich die Auslagerungen allenfalls begrenzen konnte. Nach einem Warnstreik – dem ersten in der Geschichte des Senders – wurde im März ein Tarifvertrag für die Tochter abgeschlossen.

Nun soll das Kind auch einen Aufsichtsrat erhalten und – man höre und staune – die Arbeitnehmer Sitz und Stimme darin erhalten. Der Personalratsvorsitzende des WDR, Wendelin Werner, über die Ergebnisse und die Lehren der Auseinandersetzung:

Am Anfang stand ein KEF-Bericht, indem dieses umstrittene Gremium den ARD-Anstalten nahelegte, Betriebsteile abzutrennen und auszulagern. WDR-Intendant Pleitgen erkannte in diesem „Rat“ wohl eine gute Möglichkeit, der ewigen Kritik an dem unbeweglichen „Schlachtschiff WDR“ mit seinen vielen Planstellen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Er beauftragte die Unternehmensberatung Kienbaum mit Untersuchungen, die „die Möglichkeiten zum Outsourcing“ feststellen und entsprechende Vorschläge machen sollte.

Fast einhellig waren wir – Personalrat und Gewerkschaften – der Meinung, daß eine solche Untersuchung von der ganzen Richtung her den Interessen der Beschäftigten entgegen läuft. Wir beschlossen, uns nicht an den diversen Arbeitsgruppen dieser Untersuchung zu beteiligen. Es ging, da waren wir uns sicher, weniger um wirtschaftliche Vorteile als um ein politisches Signal. Die wirtschaftlichen Überlegungen und Untersuchungen sollten lediglich Argumente liefern.

Für die Beschäftigten selbst spielten neben diesen Argumenten die verständliche Sorgen um die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze, aber auch eine große Wut darüber, daß man sie nach Jahren der Tätigkeit für den WDR offensichtlich in eine GmbH abschieben wollte, eine große Rolle.

Nicht auf Kosten der Beschäftigten

Immer wieder wurde der Intendant auf Belegschaftsversammlungen aufgefordert, den Weg der Auslagerung zu verlassen. Die Untersuchung empfahl schließlich die Auslagerung von zwei Bereichen: Dem sogenannten „Gebäudemanagement“ (frühere Abteilungen Haus- und Liegenschaftsverwaltung, Bau und Elektrotechnik) sowie der „Betriebsausrüstung“, der Planungsabteilung für Produktionstechnik. Auf die Auslagerung der letzteren verzichtete Pleitgen, erklärte aber im Januar 1998, er wolle die drei Abteilungen mit etwa 250 Mitarbeitern in eine „Gebäudemanagement“ GmbH überführen.

Die Personalversammlung beim WDR am 8. Mai 1998 faßte daraufhin den folgenden Beschluß:

„Die Personalversammlung am 8. Mai 1998 bestärkt den Personalrat in der Ablehnung der Auslagerungspläne der WDR-Geschäftsleitung.

Für den Fall, daß die Geschäftsleitung an diesen Plänen festhält, fordert die Personalversammlung den Personalrat und die Gewerkschaften auf, gemeinsam mit den Beschäftigten dafür zu sorgen, daß dies nicht auf Kosten der MitarbeiterInnen geschieht.

Das bedeutet:

Erhalt der einheitlichen Arbeits- und Tarifbedingungen wie beim WDR

  • Übergang vom WDR in eine Tochtergesellschaft ausschließlich auf freiwilliger Grundlage“

Damit verlagerte sich die Auseinandersetzung vom Personalrat, der natürlich auch an die Friedenspflicht gebunden ist, auf die Gewerkschaften. Sie hatten es abgelehnt, über den bereits im Vorfeld vom WDR angebotenen „Überleitungstarifvertrag“ auch nur zu verhandeln und verwiesen den WDR auf das noch nicht abgeschlossene Mitbestimmungsverfahren.

Selbst-Entmündigung der Gewerkschaften?

Dieser Überleitungstarifvertrag (den der WDR später selbst in „Rechtesicherungsvertrag“ umtaufte…) bedeutete jedoch die Selbst-Entmündigung der Gewerkschaften:

Er sicherte den bisher beim WDR beschäftigten Mitarbeitern die Fortwirkung aller Tarifverträge des WDR zu – diese wären praktisch individuell auf diese Mitarbeiter zur Anwendung gebracht worden.

  • Er ließ jedoch völlig offen, wie die Tarifbedingungen der zukünftigen Tochter insgesamt geregelt werden und insbesondere in welchen Tarifbereich sie fallen solle.
  • Die betroffenen Kollegen wären damit jeder Tariffreiheit beraubt gewesen – denn mit ihren ehemaligen WDR-KollegInnen hätten sie nicht streiken dürfen, obwohl ja deren Tarifbedingungen für sie weiter wirken. Und mit den neuen, von der GmbH eingestellten MitarbeiterInnen auch nicht – denn deren Tarifbedingungen gelten ja nicht für sie.
  • Die Gewerkschaften hätten die betroffenen Kolleginnen und Kollegen mit diesem Vertrag sozusagen aus dem gewerkschaftlichen Schutz entlassen.

Demgegenüber legte die IG Medien im Juni 1998 einen Entwurf für einen sogenannten Rahmentarifvertrag vor. Er sollte für alle WDR-Töchter gelten und ein für allemal die Tarifeinheit festschreiben. Zugleich sah er einen enge Zusammenarbeit der Personal- und Betriebsräte und die gegenseitige Anerkennung der Dienst- und Beschäftigungszeiten vor.

Es war klar, daß der WDR darauf nicht in vollem Umfang eingehen würde. Damit war jedoch die Zielrichtung der Gewerkschaften klar umrissen: Es ging darum, die Tochterfirma mit Tarifverträgen und Arbeitsbedingungen möglichst nah an der Mutter anzubinden um so den Druck auf die ehemaligen WDRler möglichst klein zu halten und vor allem die Tarif- und Gewerkschaftseinheit der Gesamtbelegschaft zu wahren.

Die Geschäftsleitung versuchte mit dem Argument, die IG Medien wolle ja nur ihren Tarifeinfluß verteidigen, einen Keil in die Belegschaft zu treiben.

Wo WDR draufsteht – muß auch WDR drin sein!

Mit dem Slogan „Wo WDR draufsteht – muß auch WDR drin sein“ konterte die IG Medien und es gelang im folgenden immer wieder, die Betroffenen zu mobilisieren. Besonders das Argument, die Gewerkschaften wollten einen Kampf für „zukünftige Beschäftigte“ führen, die „man noch gar nicht kennt“, mußte immer wieder widerlegt werden.

Schließlich schien der WDR sich zu bewegen. Er gestand in den Verhandlungen zu, einen Tarifvertrag für die neue Gesellschaft mit den Gewerkschaften zu verhandeln und legte dafür einen – freilich ziemlich unverschämten – Entwurf vor.

Der kombinierte alle „Schlechtigkeiten“ des Flächentarifvertrages Gebäudewirtschaft mit allen Mängeln des WDR-Manteltarifvertrages.

Dennoch erklärten sich die Gewerkschaften bereit, darüber zu verhandeln. Sie legten ihrerseits Eckpunkte für die Rechtesicherung vor, die über die bereits zugestandene Fortwirkung aller tariflichen und betrieblichen Abmachungen hinaus ging und besonders Verfahrensregeln für die Durchsetzung dieser Rechte festschrieben.

An die Rahmenregelungen jedoch, besonders die darin vorgesehene, institutionalisierte Zusammenarbeit des WDR-Personalrates mit dem GmbH-Betriebsrat wollte der WDR nicht heran.

Mit der Ernennung des Geschäftsführers für die Gebäudemanagement-Tochter änderte sich jedoch das Verhandlungsklima schlagartig: Nun waren sich WDR und der neue Geschäftsführer plötzlich gar nicht mehr sicher, ob man überhaupt mit den WDR-Gewerkschaften über Tarifregelungen sprechen wolle. Verwaltungsdirektor Seidel und Justitiarin Michel sahen plötzlich überall Schwierigkeiten und forderten kategorisch den Abschluß des Überleitungsvertrages.

Warnstreik bringt Bewegung

Dies änderte sich erst nach dem Warnstreik am 23. März wieder. In einem darauffolgenden „Spitzengespräch“ einigte man sich darauf, daß WDR und WDR-Gebäudemanagement GmbH die im WDR vertretenen Gewerkschaften als Verhandlungspartner anerkennen und einen Mantel- und Vergütungstarifvertrag für die neueingestellten GmbH-Mitarbeiter schließen wollen. Gleichzeitig solle ein Rechtesicherungsvertrag, dem indirekt auch die WDR-Gebäudemanagement GmbH beitritt, geschlossen werden.

Innerhalb von zwei Verhandlungsrunden stand schließlich ein Mantel- und ein Vergütungstarifvertrag sowie die Regelungen zur Sicherung der Rechte der übergeleiteten Mitarbeiter.

Das Ergebnis ist natürlich zwiegespalten. Dem großen Erfolg – nämlich die Gewerkschafts- und Tarifeinheit innerhalb der WDR-Gebäudemanagement GmbH und mit dem WDR gesichert zu haben, stehen Zugeständnisse für die neueinzustellenden Mitarbeiter, die langfristig natürlich auch Rückwirkungen auf den WDR selbst haben können.

Respektable Ergebnisse

Insgesamt aber können sich die Ergebnisse sehen lassen:

Die Rechte der übergeleiteten Mitarbeiter sind sehr weitgehend und auch durchsetzbar gesichert:

  • Alle Tarifwerke, Dienstvereinbarungen und Dienstordnungen gelten für sie weiter. Wo sich der Sinn der jeweiligen Bestimmungen nur aus der Geltung für den ganzen Be- trieb ergibt, wird sie für die gesamte WDR-Gebäudemanagement GmbH gelten (z.B. Frauenförderplan, Nichtraucherschutz). Soweit die Bestimmungen nur im Gesamtzusammenhang des WDR anwendbar sind (z.B. Rationalisierungsschutz), werden die übergeleiteten wie WDR-Mitarbeiter behandelt. Über eine Klausel ist die WDR-Gebäudemanagement GmbH Partner dieser Sicherung, die Anwendung der Tarifverträge kann also durch den Betriebsrat der GmbH überwacht werden.
  • Es gibt eine sehr weitgehende Rückkehrgarantie, die faktisch insbesondere einen weiteren Betriebsübergang ausschließt. Dadurch sind die übergeleiteten MitarbeiterInnen in Hinsicht auf die Arbeitsplätze so gestellt wie beim WDR.
  • Sie sind bezüglich Bewerbungen ebenso gestellt wie WDR-Mitarbeiter.
  • Zur praktischen Anwendung der Rechtesicherung wird es eine paritätisch besetzte „Clearingstelle“ geben, die von den Belegschaftsvertretungen angerufen werden kann.

Aber auch der Manteltarifvertrag und die Vergütung für die neueinzustellenden Mitarbeiter sind nicht soweit unter dem Niveau des WDR, daß ein starkes Gefälle und ein entsprechender Druck auf die Stammbelegschaft zu erwarten wäre:

  • Die Vergütungsstruktur (12 Vergütungsgruppen) folgt den Tätigkeitszuordnungen des WDR-Tarifvertrages. Damit bleiben die Tätigkeiten und die Eingruppierung vergleichbar.
  • Jede Vergütungsgruppe hat 6 Stufen – damit orientiert sich auch das System deutlich am WDR. Die Vergütung selbst unterscheidet sich im 20-Jahres-Vergleich um deutlich weniger als 10%. Die Eingangsgehälter liegen zum Teil über denen des WDR.
  • Einschnitte mußten bei sozialen Leistungen hingenommen werden. So wird es für neue Mitarbeiter der GmbH weder einen Kinderzuschlag noch Beihilfe geben.
  • Arbeitsbefreiung wird nur noch bei Krankheit von Angehörigen gewährt. Arbeitsbefreiung für gewerkschaftliche Termine allerdings bleibt weiter tarifvertraglich garantiert.
  • Der GmbH-Mantel läßt wesentlich mehr Spielraum zum Abschluß von Zeitverträgen. Allerdings beschränkt er Aushilfsverträge, auf die der Manteltarifvertrag nicht angewandt wird, auf drei Monate bei Beschäftigung, für die keine Ausbildung notwendig ist. Beim WDR hingegen werden ausufernd auch Redakteure als „Aushilfen“ verpflichtet.
  • Der Kündigungsschutz orientiert sich an der Gebäudewirtschaft. Die Fristen sind deutlich verkürzt, eine tarifliche Unkündbarkeit gibt es erst nach 10 Beschäftigungsjahren und einem Lebensalter von 50 Jahren. Allerdings gelten die längeren Kündigungsfristen nur für die Kündigung durch den Arbeitgeber.
  • Die Arbeitszeitregelungen entsprechen denen des WDR. Vereinbart ist, hier paralell zum WDR in Verhandlungen über eine Umgestaltung einzutreten.
  • Ebenfalls verhandelt werden soll über eine Altersversorgung für neue Mitarbeiter. Dabei erkennt die WDR-Gebäudemanagement GmbH an, daß die Arbeitnehmer bereits etwa 4% der Gehaltssumme eingebracht haben – dies ergibt sich aus der in der Gebäudewirtschaft deutlich kürzeren Wochenarbeitszeit (37 Stunden gegenüber 38,5 beim WDR).
  • Bis zur Wahl eines Betriebsrates ist dem WDR-Personalrat ein Übergangsmandat zugestanden. Nachdem zunächst gar kein Aufsichtsrat für die neue Firma vorgesehen war, schlägt der WDR nun einen solchen vor, darin sollen auch die Arbeitnehmer mit Stimmrecht vertreten sein.

Lust auf’s Outsourcen

Insgesamt konnten so beim WDR Regelungen erreicht werden, die die Folgen der Auslagerung und Privatisierung für die Beschäftigten so gering wie möglich halten. Zufrieden kann man freilich nicht sein: Es bleibt der bittere Nachgeschmack, daß der „politische Side-Step“, von dem Fritz Pleitgen im Zusammenhang mit der Ausgründung gerne spricht, auf Kosten der Arbeitnehmer geht. Die Gewerkschaften mußten schlußendlich sogar zusagen, für die vorgesehenen Einsparungen auf Grund Tarifänderung (ca 10 % der prognostizierten Gesamteinsparungen, etwa 1 Promill des WDR-Haushaltes im ersten vollen Geschäftsjahr!) mit zu sorgen.

Was schwerer wiegt, ist das gewonnene Selbstbewußtsein bei der Belegschaft – den ausgelagerten Teilen wie den „Rest-WDRlern“. Der erfolgreiche Streik hat die Gewerkschaften gestärkt, er hat gezeigt, daß man mit der WDR-Belegschaft (und es bleibt im Kern eine Belegschaft) nicht Schlitten fahren kann. Der intensive und breite Widerstand gegen die Auslagerung, der zum Teil quälende Prozeß von immer neuen Diskussionen und Protesten hat aber auch die Lust der Geschäftsleitung auf neue Outsourcing-Abenteuer deutlich gedämpft: So schwer und so schwierig hatte man es sich wohl nicht vorgestellt. Mittlerweile hat der WDR in einer Dienstvereinbarung zur Pilotphase der Internen Leistungsverrechnung den ausdrücklichen Verzicht auf Auslagerungen, mindestens mal für die Dauer dieser Pilotphase bis Ende 2000 erklärt.

Nach drei Jahren rücken nun auch andere Fragen wieder ins Blickfeld von Personalrat und Gewerkschaften. Gottseidank!


  • Wendelin Werner ist Personalratsvorsitzender beim WDR
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