Guten Journalismus gibt es nicht zum Schnäppchenpreis

Bundesweite Streiks an Tageszeitungen gegen Einschnitte bei Urlaubsgeld und Gehalt

Tagelange bundesweite Streiks an Tageszeitungen, sichtbar an eingeschränkten Umfangen und zusammengelegten Lokalteilen. Aber es war offenbar noch nicht genug, auch in der sechsten Verhandlungsrunde mauerten die Verleger. Mit tiefen Einschnitten im Manteltarifvertrag wollen sie das Rad zurückzudrehen.

Inakzeptabel für die Gewerkschaften, die mit eher moderaten Forderungen in den Tarifstreit getreten waren: Den Manteltarif wieder in Kraft setzen, angemessene Gehaltserhöhungen und einen Beschäftigungssicherungsvertrag. Die Streiks wurden ausgeweitet. Bis Redaktionsschluss gab es noch keinen neuen Verhandlungstermin, Mitte Februar wurde anvisiert.

An den Streiks hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt bereits 3.000 Kolleginnen und Kollegen von über 100 Zeitungstiteln beteiligt, in der Spitze sind an einem Tag über 2.300 im Ausstand gewesen. Nach dieser eindrucksvollen Meinungsdokumentation bewertete der dju-Vorsitzende Malte Hinz das Autreten der Verleger am 4. Februar als „unverschämt“ und „Schlag ins Gesicht“ der Streikenden. Auch ver.di Verhandlungsführer Frank Werneke sah in der Weigerung, ein vernünftiges Angebot vorzulegen und die Verhandlungen kurzfristig weiter zu führen, einen „Affront“. „Die Verleger wollen offensichtlich auf Zeit spielen“, so Werneke.

In kleiner Sondierungsrunde hatte der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) nach achtstündigen Gesprächen ein gering verändertes Paket auf den Tisch gelegt. Das letzte Wort des Verhandlungsführers des BDZV, Werner Hundhausen, war: 20 Prozent weniger Urlaubsgeld, bis zu 5 Tage weniger Urlaub und eine Verschlechterung der Urheberrechtsregelung. Die Berufsjahresstufen bleiben zunächst unangetastet, aber sie sind den Verlegern weiter ein Dorn im Auge. Spätestens mit dem nächsten Tarifabschluss soll eine Änderung der Berufsgruppenstruktur vollzogen werden. Und beim Einkommen? Nullrunde! Erst ab August 2004 soll es ein mageres Prozent geben. Insgesamt also ein Minusgeschäft. Als Krönung kann die Drohung bezeichnet werden: Wenn die Gewerkschaften darüber nicht verhandeln wollten, werde der BDZV intensiver als bisher in der Öffentlichkeit darauf hinweisen, dass Redakteure fast 14 Monatsgehälter und bis zu 35 Tage Urlaub hätten.

Unter dem Deckmantel der Krisenbewältigung

Ein Geheimnis gibt er damit nicht Preis. Was die Herren um Hundhausen in diesem Zusammenhang zu erwähnen vergessen, sind Fakten wie die Vernichtung von etwa 1.000 redaktionellen Arbeitsplätzen in den letzten zwei Jahren, die starke Kürzung der Honorartöpfe in zahlreichen Redaktionen, die unzähligen Überstunden der Redakteure neben ihren Wochenenddiensten und, in Folge dieser Tendenzen, die ungeheure Arbeitsverdichtung in den Redaktionen und Verlagen. Auch die guten Gewinne einer Reihe von Großverlagen über Jahre, die sich nicht zuletzt durch die Expansionen auf dem internationalen Medienmarkt und Übernahmen im eigenen Land dokumentieren lassen, werden an dieser Stelle nur ungern benannt.

„Immer mehr arbeiten mit immer weniger Leuten. Das ist auf Dauer nicht zu machen, ohne die Qualität Ihrer Zeitung zu gefährden“, wandten sich Redakteure in Flugblättern an ihre Leser und gingen in den Streik. Mehr als 95 Prozent der befragten Blattmacher hatten bereits in der ersten Urabstimmung dafür votiert. Eine Streikbewegung brach sich Bahn, wie sie zuletzt 1990 zu verzeichnen war. Und sie nahm ihren Lauf nach der Blockadehaltung der Verleger Anfang Februar. Die Urabstimmung in Bayern mit 98 Prozent Zustimmung führte weitere sechs Verlage in den Streik. Darunter zum Beispiel die Münchner Zeitungen „Abendzeitung“, „tz“ und die „Süddeutsche Zeitung“. Unter dem Deckmantel der vermeintlichen Krisenbewältigung werde die dauerhafte Senkung von Arbeitnehmereinkommen versteckt, eine Einschätzung von ver.di-Chef Frank Bsirske, die auf breite Zustimmung während der Streikversammlung im brechendvollen Saal des Münchener Hofbräuhauses traf.

Skandieren von Streikparolen verboten

„Wir knacken die Nuss“, lautete der Slogan der Redakteure der „Norddeutschen Rundschau“ während des Streiks. Zur Verdeutlichung der Botschaft verteilten sie Erdnüsse und Flugblätter an Passanten in der Itzehoer Innenstadt. Vom Verlagshaus Madsack beteiligten sich rund 300 Redakteure von vier Zeitungsverlagen, darunter zahlreiche kleine Lokalredaktionen in Niedersachsen und Bremen am unbefristeten Ausstand. In Oldenburg gingen die Volontäre mit auf die Straße. Beim „Schwarzwälder Boten“ in Baden-Württemberg traten sieben Außenredaktionen gemeinsam in den Ausstand und produzierten eine Streikzeitung. In Nordrhein-Westfalen waren die Streikaktivitäten seit Beginn der Warnstreiks ungebrochen. Rund 600 Journalisten legten in NRW an 16 Tageszeitungen die Arbeit nieder. Unmut gab es über Streikbrecher: „Schön, dass Sie derzeit so fleißig unsere Arbeit mitmachen,“ bedankten sich die Streikenden bei ihnen in einem Brief, verbunden mit einer Einladung ins nächste Streiklokal, „denn was wir während dieser Zeit in den Tarifverhandlungen erstreiken, dürfen sie später selbstverständlich mit in Anspruch nehmen.“

Konkurrenzzeitungen nicht bestreikter Verlage versuchten außerdem durch Werbeexemplare in den Briefkästen, Leser der zum Teil eingeschränkt erschienenen Zeitungen abzuwerben. Deshalb bauten die Dortmunder ihr großes Sreikzelt vor dem Verlagshaus Lensing-Wolff auf. Das ärgerte den Verleger, der auf die Kollegen der „Ruhr-Nachrichten“ massiv Druck ausgeübt hatte, damit sie sich nicht an den Aktionen beteiligen. Er ließ Ordnungskräfte aufmarschieren und das lautstarke Skandieren von Streikparolen unter den Fenstern seiner Redakteure untersagen. Mit der „Aktion Aussetzer“, deren Formulare auch im Internet zu erhalten waren, wurden die Leser in NRW aufgefordert die Abos ihrer Zeitungen für die Zeit der Streiks auszusetzen, um die Redakteure zu unterstützen. Auch in Rheinland-Pfalz führte das provokante Ansinnen der Verleger bereits in den Morgenstunden nach der Urabstimmung 100 Redakteure in Mainz und Trier auf die Straße.

Solidaritätsstreiks

Eine weitere wertvolle Unterstützung erhielt die Streikbewegung der Journalistinnen und Journalisten durch zunehmende Solidaritätsstreiks. So sind zuerst beim Madsack-Verlag in Hannover am 5. Februar die Tagschicht der Rotation und über 50 Verlagsangestellte in den befristeten Solidaritätsstreik getreten. Im AZ / Verlag Rhein Main ging die gesamte Nachtschicht in eine gemeinsame Streikversammlung mit den Redakteuren. Die Technik der SZ / Verlagsgruppe „Saarbrücker Zeitung“ unterstützte die Redakteure mit Aktionen.

Solidaritätsadressen kamen unter anderem von der IG Metall, befreundeten Gewerkschaften aus der Schweiz und Zypern und vom Auschuss für Kulturpolitik in ver.di-NRW. Auch die ver.di-Kollegen der Deutschen Welle erklärten sich mit den Printkollegen solidarisch. „Ihr setzt ein Signal auch für uns“, hieß es.

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