Internet, DVD, Flut und andere Katastrophen

Multiplexe in Bedrängnis – Tarifverhandlungen werfen ihre langen Schatten voraus

Das Kino ist in Schwierigkeiten. Externe Faktoren beeinflussen das Geschäft, aber manche Probleme sind auch hausgemacht. Die große Zeit der Multiplexe, das so genannte Overscreening – neudeutscher Ausdruck für ein Überangebot von Kinoleinwänden an einem Ort – scheint vorbei zu sein.

Dabei spielt nicht nur der Jahrhundertsommer des Jahres 2003 eine Rolle: Schon der 11. September 2001 und die Flut an Elbe und Mulde im letzten Jahr hatten ihre negativen Auswirkungen auf das Kinogeschäft – in Ost- und Westdeutschland. Sie hielten die Menschen davon ab, ins Kino zu gehen. Auch bei den Premieren habe es in letzter Zeit „nicht die richtigen Impulse“ gegeben – die letzten, die wirklich Geld eingespielt haben, waren „Titanic“ und „Der Schuh des Manitu“.

Eine weitere Schwierigkeit, die von außen kommt, ist der Siegeszug von DVD und Internet. Zunehmend kommen die Filme aus dem Netz, auch junge Leute machen sich eher einen gemütlichen Abend zuhause, als ins Kino zu gehen. Bei den Werbeeinnahmen hat es Einbrüche gegeben, auch wenn sich hier ersten Beobachtungen zufolge eine Trendwende abzuzeichnet. Hinzu kommt: Der Nebenumsatz an der Süßwaren- und Getränketheke ist unter Druck geraten. Letztlich lässt negative Presse über Premierenfilme viel Marketing ins Leere laufen.

Offensichtlich drohende Kosteneinsparungen sind allerdings nur schwer zu verwirklichen. Die Multiplexe sind alles Neubauten, so genannte Spezialbauten, die mit Hilfe von Immobilienfonds errichtet wurden. Die „etwas höheren“ Mieten lassen sich meist nicht reduzieren – es sei denn, eine Insolvenz steht im Raum. Ausnahmefall ist das ehemalige Ufa am Freiburger Hauptbahnhof: Hier zog nach der Schließung des Kinos ein Planetarium ein.

Dass derartige Probleme bei den Beschäftigten „ankommen“, liegt auf der Hand. „Derzeit geltende Tarifverträge laufen zum Jahresende aus, die Haustarifvertragsverhandlungen werden sich schwierig gestalten“, so ver.di-Tarifsekretär Matthias von Fintel. Im Unterschied zu anderen Branchen haben sich in den Kinos bundesweit gleiche Verhältnisse eingestellt: Die Beschäftigten sind vor allem Minijober – studentische Teilzeitkräfte, geringfügig Beschäftigte und häufig auch Schüler. Und nicht selten würden auch noch Leute zum Personal gehören, die auf Abruf bereit stünden, erläutert von Fintel. „All das erschwert die Organisation der Beschäftigten ungeheuer.“

Die Multiplexe haben die Städte komplett eingenommen. Für neue Investitionen fehlt Geld, auch bei der digitalen Projektion. Im Bereich Marketing ist offenbar Einiges verschlafen worden, vor allem was Kundenbindung und Preise angeht.

Cinemaxx-Sprecher Arne Schmidt spricht von einem branchenweiten, „immensen“ Rückgang der Kassenzahlen. Die Probleme mit DVD-Kopien und Internet sind „für uns nicht angenehm“. Es gebe bei der Ahndung aber erste Erfolge, wodurch die Abschreckung steigen werde. Schmidt zufolge beziffert die Filmförderungsanstalt (FFA) den Verlust durch DVD-Piraterie auf 350 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Die Umsetzung der digitalen Projektion ist ins Stocken geraten, da es noch „keine einheitliche Technik“ gibt. Auch die Bildqualität lasse bislang noch zu wünschen übrig, sagt Schmidt – hier allerdings gäbe es erste Ansätze einer Verbesserung.

Flexible Arbeitszeiten

Bislang hat es angesichts der Schwierigkeiten noch keine personelle Konsequenzen gegeben, auch keine Kündigungen, so Schmidt. Einige Stellen seien nicht neu besetzt worden. Ziel müsse sein, ein wirtschaftliches und einsatzfähiges Unternehmen zu führen. Dafür müssten die Personalkosten angepasst werden, ist Schmidt überzeugt. Man könne nicht im Sommer bei der Hälfte der Besucher mit demselben Personal wie im Win- ter arbeiten. „Darüber muss es grundsätzliche Gespräche geben.“

Eine „deutlich erkennbare Konfliktstrategie“ im Umgang mit den Arbeitgebern sieht Jörg Reichel, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates bei Cinemaxx. 17 der rund 35 Lichtspielhäuser haben einen Betriebsrat. „Wir als Beschäftigte bemerken schon Kosteneinsparungen“, sagt Reichel. Es gebe Arbeitsverdichtung und für bevorstehende Verhandlungen die deutliche Absicht, die Arbeitszeit weiter zu flexibilisieren – Reichel spricht von 1-2-Stunden-Schichten. Der Arbeitnehmervertreter rechnet sogar damit, dass in den Tarifverhandlungen betriebliche Lösungen für einzelne Kinos angestrebt werden. Scharf kritisiert er, dass sich der Arbeitgeber in den Betrieben ohne Betriebsrat nicht an die Regelungen des Tarifvertrages halte, der eine Grenze von 10 Prozent befristet Beschäftigter je Kino vorsehe. „Die Gewerkschaften müssen kämpfen“, fordert Reichel, um den Organisationsgrad in den Filmtheatern zu erhöhen. Leider bekämen alle die politischen Kampagnen der letzten Monate gegen die Arbeitnehmerorganisationen deutlich zu spüren. Die von den Unternehmern ins Feld geführte Konkurrenz mit DVD-Playern bezweifelt der Cinemaxx-Gesamtbetriebsratschef. „Es ist ein guter Aufhänger für die wirtschaftliche Misere.“ Alle Unternehmen betrieben bei den Multiplexen Verdrängungswettbewerb und „zahlen drauf“.

Auch bei Cinemaxx-Konkurrent Cinestar (Kieft & Kieft) beklagt man sich über den Sommer. „Wir haben nicht mit so schlechten Zahlen gerechnet“, sagt Sprecher Jan Oesterlin, man sei aber „besser als der Trend“. Sein Unternehmen habe sich von den Filmen zum Teil andere Besucherzahlen erwartet. Dann habe jedoch „Good bye Lenin“ „Herr der Ringe“ mit 6 Millionen Besuchern klar geschlagen. Das sei eine sehr große Überraschung gewesen. Nun sehe man „optimistisch in die Zukunft“. Im Oktober starte ein neuer Film von Sönke Wortmann, auch der Disney-Streifen „Findet Nemo“ verspreche, ein „Riesen-Spaß“ zu werden.

Kein Unrechtsbewusstsein

Der Internet- und DVD-Problematik werde nicht tatenlos zugesehen, es gibt, fügt Oesterlin hinzu, einen „Mangel an Unrechtsbewusstsein“, es handele sich schließlich um eine Straftat. In Sachen Digitalprojektion teilt Oesterlin weitgehend die Meinung seiner Kollegen. Sie sei „nicht besser als 35 Millimeter“, das Kino spare „keinen Cent“. Umsatz- oder Gewinnsummen nennt Oesterlin nicht, es gebe in den fast 100 Kinos mit über 600 Leinwänden „interne Prozesse“, Strukturen würden überprüft. Im Grunde gehe es um die Frage, „wie wir die PS am besten auf die Straße bekommen“.

Eine ähnliche Meinung schließlich hat der Dritte im Bunde: UCI-Sprecher Georg Welles. Auf die Frage, ob die Zeit der Multiplexe vorbei ist, sagt er: „Ich hoffe nicht“. Filme müssten, um beim Publikum anzukommen, für jeden Geschmack etwas bieten. Welles zufolge wandelt sich die Altersstruktur der Kinobesucher langsam, ähnlich wie Oesterlin sieht er, was den Zuspruch angeht, regionale Unterschiede. „Große Eventmovies funktionieren gleich gut“, sagt Welles. Eines der UCI-Kinos in Gera hat seinen Worten nach gute Erfolge mit speziellen Seniorenreihen, zu denen mehrere hundert Besucher kommen.

 


Die „offiziellen“ Zahlen

Als quasi-offizielle Quelle gelten in Kinokreisen die Zahlen der Filmförderungsanstalt (FFA) in Berlin. Ihren Angaben zufolge ist im ersten Halbjahr der Kinobesuch um 11,3 Prozent und der Umsatz um 12,5 Prozent zurückgegangen. Bei den Kinosälen hielten sich Neueröffnungen und Schließungen die Waage (je 75), die FFA registrierte im Vergleich zum Vorjahr allerdings 11 neue Kinostandorte, der Saalbestand habe um 43 Leinwände mit 1.103 Sitzplätzen zugenommen. Nach Informationen der FFA gibt es in Deutschland (Stichtag für alle kommenden Daten ist der 30.6. 2003) 1207 Filmtheaterunternehmen mit 4868 Leinwänden. Eine Kinokarte kostet im Schnitt 5,81 Euro.

Die im Text erwähnte Brennerstudie ist im Internetangebot der FFA als pdf-File zu haben (http://www.ffa.de/).

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