Koblenz ist überall

„Rhein-Zeitung“ – Verleger für niedriges Einheitsgehalt anstelle von Tarifgehältern

Vergleichbares gab es lange nicht: Bei einer Urabstimmung am 12. Mai votierten 89 Prozent der Gewerkschafter bei der „Rhein-Zeitung“ in Koblenz und im nördlichen Rheinland-Pfalz für weitere Streiks. ver.di und DJV wollten einen Sanierungstarifvertrag zur Beschäftigungssicherung durchsetzen, Gehaltsverzicht war angeboten. Im Arbeitskampf summierten sich schließlich vierzehn volle Streiktage, bis zu einem Fünftel der Belegschaft blieb draußen. Doch Verleger Walterpeter Twer zeigt sich unbeeindruckt: „Wir müssen uns aus der Umklammerung der Gewerkschaft lösen“, sagt er ins SWR-Mikrofon. Der Streik wurde Ende Mai beendet. Doch der Ausgang des Konflikts ist über die Region hinaus von Bedeutung.

Mit dem Streik, der Bildung einer Menschenkette, Demonstration und Unterschriftensammlungen wollten die Beschäftigten der „Rhein-Zeitung“ und ihrer Regional-Ableger an Ahr, Mosel, Lahn und Nahe erreichen, dass 81 Kündigungen eines „Sparpakets II“ zurückgenommen werden. Perspektivisch steht noch mehr auf dem Spiel: Tarifbindung, Interessenvertretung, Unternehmensstruktur.

Um die Massenentlassungen wird es nun im Juni in der Einigungsstelle gehen. Die neuerlichen Sparpläne trafen die mehr als 900köpfige Belegschaft und ihre Betriebsräte zu Aschermittwoch wie ein „Donnerschlag“, berichtet Werner Färber, Betriebsratsvorsitzender beim Mittelrhein-Verlag. Erst Ende Januar hatte man über den Abbau von 121 Stellen einen Sozialplan abgeschlossen. Neben Altersteilzeit- und ähnlichen Lösungen waren 32 „echte Kündigungen“ zu verkraften. Inzwischen wird sogar mit einem dritten Sparpaket gedroht. Insgesamt dürfte es um 200 Stellen gehen. Dass so die akuten Liquiditätsprobleme des Verlages lösbar sind – bislang ist öffentlich von sechs Millionen Euro die Rede – bezweifelt der Betriebsratschef.

Alle Tarifverträge gekündigt

„Die benötigte Summe wird wesentlich höher liegen. Gehaltsverzichtsangebote der Belegschaft, die im Rahmen unseres Gegenkonzepts befristet etwa 2,2 Mio. Euro jährlich bringen würden, werden nicht reichen. Da schielt man eher Richtung Banken.“ Einen solchen Geldgeber dürfte Verleger Twer mit einer ganze Liste eigener Sanierungsbemühungen zu überzeugen versuchen: Sachkosteneinsparungen: Sie reichen von der Kantinenschließung bis zur Streichung überbetrieblicher Zulagen oder Betriebsrentenkürzungen. Ausgliederungen: Neben dem Traditionsbetrieb Mittelrhein Verlag GmbH sind bereits vor Jahren die rz informa für das Anzeigengeschäft und rz Markt & Medien als Vertriebs- und Marketinggesellschaft gegründet worden. Im Januar 2001 wurden Geschäftsstelle und Redaktion der „Rhein-Lahn-Zeitung“ in Bad Ems als eigene Gesellschaft ausgegliedert, 2002 folgte die Redaktion in Neuwied. Auch für die Koblenzer Ausgabe selbst gibt es bereits eine neue Gesellschaft, die ab 1. Juli ihre Tätigkeit aufnehmen soll. Personalkostenreduzierungen: Solche Ausgliederungen, weiß Betriebsrat Färber, „gingen bisher immer mit Tarifabbau einher“. Alteingesessene Redakteure wurden durch junge, gewerkschaftlich ungebundene ersetzt, die sich auf ein Einheitsgehalt von 2600 Euro einlassen. Personalkosten um 30 bis 40 Prozent abzusenken, ist erklärtes Ziel. Originalton Twer: „Ein Redakteur verdient 4 500 Euro im Schnitt, hat sieben Wochen Urlaub, hat Presseversorgungswerk, er bekommt alle zwei, drei Jahre Alterssprünge dazu, das passt hier in den Raum und die Landschaft nicht hinein.“ Inzwischen sind alle Tarifverträge in Verlag und Redaktion sowie der Marketing- und Anzeigengesellschaft gekündigt. Um die Streikfront zu schwächen und weil man die Lage in der Druckindustrie als kampfstark einschätzt, ist den gewerblichen Arbeitnehmern inzwischen ein Zuckerbrot hingehalten und weitere Tarifbindung zugesagt worden. Alle anderen hängen in der Luft.

Vereinbarungen mit Ministerpräsident ignoriert

Da sich der Verlagschef nicht in die Bücher schauen lässt, nicht offenlegen will, wo die Gewinne früherer Jahre hin geflossen sind, scheiden auch eine Landesbürgschaft oder die Gründung einer Auffanggesellschaft aus, die Belegschaftsvertreter mit Ministerpräsident Beck schon sondiert hatten. Den Vorschlag der Gewerkschaften, über einen Sanierungstarifvertrag zur Beschäftigungssicherung zu verhandeln, hat Walterpeter Twer ignoriert. Bedingungen wie die Rücknahme des Sparpakets II, den Verzicht auf weiteres Outsourcing oder die Rückkehr zur Tarifbindung hält er offenbar für indiskutabel. Statt dessen kündigte er an, sechs kleinere Verlage mit „leistungsgerechter Bezahlung“ gründen zu wollen.

Bislang waren die gezielt eingesetzten taktischen Mittel der Arbeitgeberseite erfolgreich. Zudem: Die Leser der „Rhein-Zeitung“ mussten von Entlassungen, Sozialdumping und Arbeitskämpfen nicht einmal etwas mitbekommen. Ihre Zeitung erschien täglich ohne weiße Flecken, auch wenn dazu Freie herangezogen, Rentner aktiviert und von Arbeitswilligen Überstunden geschrubbt wurden. Wie lange das so bleibt, ist offen. Weil man „schlichtweg versucht, marktorientiert vorzugehen und den öffentlichen Auftrag nicht mehr ernst nimmt“, befürchtet der stellvertretende ver.di-Landesleiter Hans-Joachim Schulze Qualitätseinbußen. Er sieht das Risiko, dass Inhalt und Umfang der „Rhein-Zeitung“ in Richtung Anzeigenblatt abdriften.

„Koblenz ist überall“ war angesichts der umfassenden Gemengelage das Motto der verdi-Verlagsmitgliederversammlung Ende Mai. „Wir erkennen uns wieder in den Problemen der bundesweiten Tarifrunde und ordnen uns da ein“, sagt Betriebsratschef Färber. „Andersherum wissen wir, dass alle auf uns sehen. Deshalb sagen wir, der Streik ist beendet, aber der Arbeitskampf geht weiter.“

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