Schweiz: Schwacher Vertrag für Drucker, gar keiner für Journalisten
Die Schweizer Druckereibesitzer und Verleger fahren einen harten Konfrontationskurs. Beide Arbeitgeberverbände, in denen weitgehend die gleichen Betriebe organisiert sind, haben die Gesamtarbeitsverträge gekündigt. Jetzt stehen die Drucker mit teils schlechteren Bedingungen da – die Journalisten haben gar keinen Gesamtarbeitsvertrag mehr.
Sicher, ein Mindestlohn von umgerechnet fast 2.900 Euro für einen Druckfachmann klingt auf den ersten Blick nicht schlecht. Nur: die angeblich guten Schweizer Löhne täuschen. Das völlig anders organisierte Steuer- und Krankenversicherungssystem lässt das Geld wie Butter in der Sonne schmelzen: Die Schweiz kennt bei der Krankenversicherung Kopfprämien, unabhängig von der Höhe des Einkommens. Und die machen rasch einmal 190 Euro im Monat aus und sie steigen jedes Jahr um 5 Prozent. Dabei deckt die Versicherung nicht einmal den Zahnarzt, den müssen die Schweizer aus der eigenen Tasche berappen. Und die Steuern, die ebenfalls persönlich bezahlt werden müssen und nicht direkt vom Lohn weg gehen, sind nicht etwa tiefer als in Deutschland.
Kein Streikverzicht
Immerhin: Den Arbeitgebern der Druckindustrie konnten die Mediengewerkschaft »comedia« und der christliche Arbeitnehmerverband »syna« wenigstens noch einen Vertrag abringen. Monate lang war verhandelt worden und schon zum Auftakt kam es zum ersten Eclat: Die Arbeitgeber wollten anfänglich nur dann am Tisch sitzen bleiben, wenn die Gewerkschaftsseite einen Streikverzicht unterschreibe. Kommt nicht in Frage, war die Reaktion, und die Gewerkschaften setzten sich durch. Kraftvolle Kundgebungen brachten die Bosse zum Einlenken.
Doch in der Sache blieben die Unternehmer hart. Schließlich war man Mitte September bei einem eher schlechten Kompromiss angelangt: Die geforderte allgemeine Lohnerhöhung von 200 Franken (= 133 Euro) pro Monat für alle gibt es nicht, auch nicht den automatischen Teuerungsausgleich für die kommenden Jahre. Die Mindestlöhne werden aber in drei Stufen bis 2008 leicht erhöht. Die schlecht bezahlten Un- und Angelernten werden dabei erst im Jahr 2008 die in der Schweiz von den Gewerkschaften als Minimallohn bezeichneten 3300 Franken (= 2200 Euro) erreichen. Ursprünglich hatte die Gewerkschaft 3500 Franken als Mindestlohn gefordert. Die Fachkräfte ab dem 5. Berufsjahr kommen ab 2008 auf ein Minimum von 4375 Franken (= 2916 Euro). Doch den bescheidenen Lohnerhöhungen stehen höhere Abzüge gegenüber. Während bisher die Vertragsbetriebe für die Rückversicherung kranker Mitarbeiter die Taggeldversicherung selbst finanzierten, müssen sich nun die Mitarbeiter daran zur Hälfte beteiligen. Das frisst die Lohnerhöhungen gleich wieder auf. Auch das schwer durchschaubare System der Nacht-, Feiertags- und Schichtzuschläge wurde verschlechtert. Der von den Gewerkschaften geforderte Kündigungsschutz für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über 60 lehnten die Arbeitgeber ebenso ab, wie die vollständige Lohngleichheit für Frauen und Männer. Und noch eine Kröte musste die Gewerkschaft schlucken: Der Vertrag wird vorerst nicht – wie der alte – allgemein verbindlich erklärt. Betriebe außerhalb des Arbeitgeberverbandes sind damit nicht an die Vertragsbestimmungen gebunden.
Zähneknirschend stimmten die Gewerkschaftsmitglieder diesem Vertrag zu. Allerdings hatte es zuvor harte Diskussionen gegeben. Während die Mehrheit lieber diesen Spatz in der Hand als die berühmte Taube auf dem Dach – sprich gar keinen Vertrag – wollte, kam vor allem aus dem französisch sprechenden Teil der Schweiz zuerst ein Nein. Das schlechte Resultat hinterlasse doch einfach nur den Eindruck, die Gewerkschaft sei unnütz. Diesen Eindruck müsse man korrigieren, nötigenfalls mit Streiks. Doch die Befürworter der Vertragsrevision setzten sich dann doch durch: Wenigstens sei die vollständige Deregulierung der Arbeitszeit mit der von den Unternehmern geforderten Einführung der Jahresarbeitszeit abgeblockt worden und die Mitfinanzierung der Krankentaggeldversicherung sei zwar ein Rückschritt, dafür werde aber das Taggeld auf den vollen Lohn aufgestockt. Dazu komme, dass mächtige Streiks kaum zu organisieren seien, weil die Mobilisierung nach der seit Jahren anhaltenden Druckereikrise schwierig geworden sei. Manch ein Mitarbeiter behält lieber zu schlechten Bedingungen seinen Arbeitsplatz, statt beim Arbeitsamt anstehen zu müssen. Und der Blick auf die noch viel radikaleren Verleger-Forderungen aus der Deutschen Nachbarschaft mit längeren Arbeitszeiten bei gleichem Lohn und der Versuch, Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu streichen, zeigten, dass der Schweizer Vertrag noch vergleichsweise gut sei.
Trotzdem sind nun »comedia« und »syna« gefordert: Die Gewerkschaften wollen vor allem verhindern, dass die nicht dem Arbeitgeberverband angehörenden Betriebe ausscheren und Personal zu Dumpinglöhnen beschäftigten. Außerdem ist noch nicht sicher, ob die Arbeitgeberseite dem Vertrag zustimmt. Die Frist läuft am 24. November ab.
Journalisten gucken in die Röhre
Während für die Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen in den Druckereien der Manteltarifvertrag zwar nicht verbessert, aber wenigstens aufrecht erhalten werden konnte, stehen die Journalistinnen und Journalisten und das technische Redaktionspersonal in der Schweiz seit dem 1. August ganz ohne Vertrag da. Die Arbeitgeberseite hatte den Journalistenvertrag schon im Frühjahr 2003 gekündigt und dann die Verhandlungen um Monate herausgezögert. Als man sich endlich traf, erlebten die Journalisten die gleiche Situation wie die Kollegen vom Druck: Auch hier wollten die Bosse nur verhandeln, wenn zuerst ein Streikverzicht unterschrieben werde. Diese Verhandlungseröffnung – aber auch in den folgenden Runden – machte klar: Obwohl es sich formell um zwei verschiedene Arbeitgeberverbände der Druckindustrie und der Verleger handelt, wird hinter den Kulissen alles abgesprochen. Die Zeitungs- und Zeitschriftenverleger wollten vor allem eines nicht: weiterhin Mindestlöhne im neuen Branchenvertrag. Diese Weigerung führte bei den Journalisten zwar zu verschiedenen Protestaktionen, aber nie zum Streik.
Verhandlungen geplatzt
Und so hatte es die Arbeitgeberseite relativ leicht, die Verhandlungen letztlich platzen zu lassen. Und alle inzwischen durchgeführten Flugblattaktionen, Petitionen und Unterschriftensammlungen waren erfolglos. Der bürgerliche Berufsverband der Journalistinnen und Journalisten, »impressum«, und die Mediengewerkschaft »comedia« haben die Mobilisierung in den Redaktionen nicht wirklich geschafft, eine Wirkung bleibt bisher aus. Die Schweizer Kollegen haben bisher noch nicht jenen Aktionsgrad erreicht, wie ihn die deutschen Kollegen anfangs des Jahres zustande brachten.
Die Verbände rufen die Journalistinnen und Journalisten auf, wachsam zu sein, denn nun drohen Änderungskündigungen und verschlechterte Anstellungsbedingungen. Der frühere Gesamtarbeitsvertrag hatte – im Vergleich zu den Mindestbestimmungen im Arbeitsrecht – eine großzügigere Urlaubsregelung, längere Kündigungsfristen und vor allem Mindestlöhne festgeschrieben. Nicht zuletzt droht nun ein Lohn- und Honorarabbau. So schnell wird es in der Schweiz auch keinen neuen Branchenvertrag mit den Verlegern mehr geben – mindestens so lange nicht, wie die Arbeitgeberseite nicht ihren Verhandlungsleiter auswechselt. Der Verbandspräsident persönlich, ein Druckereibesitzer mit regionalem Monopol aus Chur im Kanton Graubünden, hat seinen Verband fest im Griff. Am letzten Kongress ließ er handstreichartig über die Einführung eines verbandseigenen »Sozialdepartements« abstimmen, eine Einrichtung, die sich der Vertragsfragen annehmen soll. Damit hatte der Präsident verhindert, dass auf dem Kongress über einen neuen Vertrag mit den Journalisten diskutiert werden konnte. Ein paar Verleger räumten post festum ein, sie hätten das Manöver erst im Nachhinein durchschaut.
René Hornung, Freier Journalist,
Pressebüro St. Gallen,
Mitarbeiter von m, der Zeitung von comedia
Links:
Im Internet gibts runterladbare Signete zu den Aktionen:
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