Algeriens Presse zwischen den Fronten im Kampf der Cliquen um die Macht
Schon während des Wahlkampfes vor über vier Jahren beschimpfte der heutige algerische Staatschef Abdelaziz Bouteflika die unabhängigen Journalisten als „Waschweiber“. Seit er an der Macht ist, bleibt es nicht bei Worten, wenn die schreibende Zunft ihm beweist, dass sie mehr kann, als tratschen.
Der Trick ist ganz einfach: Sobald Algeriens Machthaber die Presse zu unbequem wird, stornieren die staatlichen Druckereien die Aufträge. Als Grund müssen dann die Schulden der privaten, unabhängigen Presse herhalten. So geschah es in diesem Sommer. Sechs Zeitungen, „El Khabar“, „Liberté“, „Er-Rai“, „Le Matin“, „Le Soir“ und „L’Expression“ mussten mangels Druckerei schließen. „Vorgeschobene finanzielle Gründe“, beschwerten sich die Verleger in einem gemeinsamen Kommuniqué. Sie glauben vielmehr, dass der Grund für die drastische Maßnahme in einer Serie von Skandalen zu suchen ist, die die unabhängige Presse in den letzten Monaten aufdeckte.
So war zu lesen, dass der heutige Innenminister Yazid Zerhouni 1970 einen Apotheker verhaften und foltern ließ und sich danach dessen Büro unter den Nagel riss.
Für größte Aufregung sorgten mehrere Titelstorys von „El Khabar“, „Liberté“ und „Le Matin“ Mitte August. „Der Präsident greift in die Staatskasse“ und „Alles Diebe?“ lauteten die Schlagzeilen. Die Zeitungen veröffentlichten eine lange Liste, wer sich was widerrechtlich angeeignet hat. Präsident Abdelaziz Bouteflika soll demnach einige Villen am algerischen Strand und eine 1,5 Millionen Euro teure Wohnung im Zentrum von Paris aus Staatseigentum finanziert haben. „Wir können das Land noch immer vor diesen Dämonen und Gangstern schützen“, hieß es im Editorial von „Le Matin“.
Anklage wegen Beleidigung und Haft angedroht
Aus dem Präsidentenpalast kam keine Antwort auf diese Anschuldigungen. „Aus Respekt vor der Pressefreiheit“, halte man sich zurück, hieß es, während gleichzeitig die Staatsdruckereien angehalten wurden, ihre Schulden einzutreiben. Die Blätter mussten mehr als zwei Wochen auf das allmorgendliche Rendezvous mit ihren Lesern verzichten. Zwei der Zeitungen, „Er-Rai“ und „L’Expression“ wurden gar für Außenstände längst eingestellter Publikationen aus dem gleichen Verlagshaus verantwortlich gemacht.
Am schlimmsten hat es „Le Matin“ und „Liberté“ erwischt. Zwar erscheinen auch diese Blätter wieder, doch wurde „Le Matin“- Direktor Mohamed Benchicou Ende August auf dem Flughafen von Algier verhaftet. Zwei Bankbelege über insgesamt 80.000 Euro sollen als Beweis für illegale Devisengeschäfte herhalten. Benchicou muss sich seither allwöchentlich auf dem Polizeirevier melden. Mehrmals wurde er verhört. Bei „Liberté“ wurden sieben Redakteure sowie der Hauskarikaturist Dilem zum Verhör vorgeladen. Ihnen allen drohen eine Anklage wegen „Beleidigung des Staatsoberhauptes“ und damit bis zu zwölf Monaten Haft oder einer Geldbuße zwischen 50.000 und 250.000 Dinar (500 Euro bis 2.500 Euro). Ein Journalist verdient zwischen 130 und 150 Euro monatlich. „Le Matin“-Herausgeber Benchicou veröffentlicht seit Monaten die wohl beliebteste Kolumne Algeriens. Unter dem Decknamen Ines Chahinez und mit einem „Autorenfoto“, das eine junge, bildhübsche Blondine zeigt, nimmt er sich auf satirisch, ironische Weise der algerischen Vetternwirtschaft an. Außer über Bouteflika ist dort auch Süffisantes und Korruptes über seine engsten Mitarbeiter sowie über die Generäle zu lesen.
Der „Liberté“-Karikaturist Dilem steht dem in nichts nach. Er hat den wohl spitzesten Bleistift des nordafrikanischen Landes. Jeden Tag nimmt er die Mächtigen aufs Korn. Lachen oder Weinen ob der dort vorgeführten Zustände? Viele Leser wissen dies nicht zu beantworten. Aber eines ist klar, für Algerien ist Dilem seit über einen Jahrzehnt die beste Therapie im alltäglichen Leiden.
„Bouteflika und sein Clan sind angesichts der bevorstehende Wahlen 2004 in Panik geraten“, erklärt sich der Herausgeber von „Le Soir“, Fouad Boughanem, die Repressionswelle gegen die freie Presse. Erstmals in der Geschichte des unabhängigen Algeriens kann sich der übermächtige Militärapparat nicht auf einen einzigen Präsidentschaftskandidaten einigen. Neben Bouteflika, der sich zur Wiederwahl stellt, will auch der Vorsitzende der ehemaligen Einheitspartei FLN, Ali Benflis, kandidieren. Dieser hatte bis Mai, als er von Bouteflika entlassen wurde, das Amt des Premiereministers inne. Benflis kann auf die Mehrheit der Parteibasis setzen. Doch nutzen wird ihm das nur dann etwas, wenn er die Armee, oder zumindest die Mehrheit der Generäle hinter sich bekommt.
Und genau dort sind die Mehrheitsverhältnisse alles andere als klar. Ein Machtkampf zwischen den Cliquen ist entbrannt. Deshalb füttern diejenigen, die hinter Benflis stehen, seit geraumer Zeit die freie Presse mit Informationen über Bouteflikas dunkle Seiten. Die Zeitungen sind damit zwischen die Fronten geraten. Sich zum Instrument für einen Clan gemacht zu haben, weisen die Herausgeber der freien Zeitungen dennoch weit von sich. „Wir haben noch nie einen Hehl aus unserer feindlichen Einstellung gegenüber dem Bouteflika-Clan gemacht“, erklärt Benchicou stellvertretend für viele seiner Kollegen.