Die Streiks der rund 13.000 Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen wurden vor der sechsten Verhandlungsrunde, die am kommenden Montag, den 4. Juni, startet, noch einmal deutlich ausgeweitet. Nachdem bereits seit Pfingsten Redaktionen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen ihre Arbeit niedergelegt hatten, sind in dieser Woche auch Redakteur_innen und freie Mitarbeiter_innen in Thüringen, Bayern, Hessen und Baden-Württemberg auf die Straße gegangen.
„Die langen und massiven Streiks haben eine klare Botschaft: Nach einem halben Jahr Verhandlungen über die Gehälter und Honorare erwarten die Journalistinnen und Journalisten einen echten Reallohnzuwachs und ein überproportionales Lohnplus für den journalistischen Nachwuchs, der sich sonst anderweitig orientiert. Almosen unterhalb des Inflationsausgleichs und mangelnde Anerkennung sind nicht die Lösung dieses Tarifkonflikts“, kündigte der Verhandlungsführer der dju in ver.di, Matthias von Fintel, heute an. Von den Verhandlern des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) werde nun endlich ein verhandlungsfähiges Angebot erwartet. „Der Zeitungsbranche geht es insgesamt gut. Sie braucht die Kreativität und das Know-how der Berufseinsteiger, um den Erfolg mit attraktiven digitalen Angeboten fortzuschreiben. Ausgerechnet in der Zeitungsbranche erkennen die Verleger nicht, welchen Wert die journalistische Arbeit und das Werben um die Talente der Zukunft für diesen Erfolg hat“, kritisierte von Fintel. Die Streiks in den vergangenen Wochen hätten dies immer wieder zum Thema gemacht.
So haben streikende Journalist_innen in Bielefeld am vergangenen Freitag einen Flash-Mob veranstaltet, bei dem zuvor aus Zeitungsseiten gebastelte Schiffchen in drei Brunnen in der Innenstadt zu Wasser gelassen wurden. Motto der Aktion: „Redakteure im Streik – Damit Qualität nicht untergeht“
Am Montag, den 28. Mai, legten Redakteur_innen und Redakteure des Mannheimer Morgen ihre Arbeit nieder, in Aschaffenburg in Franken gingen streikende Kolleginnen und Kollegen der Frankfurter Neuen Presse gemeinsam mit den Streikenden vom Main-Echo in den Ausstand. Ebenfalls gestreikt wurde in Augsburg, Weiden, Amberg und Suhl. Die Kolleginnen und Kollegen von der Frankenpost in Hof, dem Neuen Tag in Weiden und der Amberger Zeitung trafen sich zur Streikversammlung in Windischeschenbach.
Am Tag darauf schlossen sich weitere Journalistinnen und Journalisten dem Warnstreik an, aus Baden-Württemberg etwa in Heilbronn und Ulm. Am Neckar in Heilbronn gingen Kolleginnen und Kollegen der Heilbronner Stimme nach dem Motto „Die Qualität geht baden!“ ins Wasser. In Ulm haben die Streikenden eine Kunstaktion zur Erinnerung an Albert Einstein, die derzeit auf dem Münsterplatz installiert ist, umfunktioniert, um ihrerseits an das magere Angebot der Verleger zu erinnern.
„Die Geduld der Kolleginnen und Kollegen ist erschöpft“, kommentiert der Leiter des ver.di-Landesfachbereichs Medien in Baden-Württemberg, Siegfried Heim, die Warnstreiks in fast 20 Redaktionen des Südwestens. Falls es am Montag nächster Woche nicht zu einem akzeptablen Tarifkompromiss komme, so Heim weiter, werde Baden-Württemberg die Urabstimmung beantragen. Die dju in ver.di hat für den 5. Juni vorsorglich ihre Bundes-Tarifkommission zusammengerufen, die das Scheitern der Verhandlungen erklären kann.
In Bayern wurde am gleichen Tag bei den Nürnberger Nachrichten, der Nürnberger Zeitung, der Fränkischen Landeszeitung und der Augsburger Allgemeinen gestreikt, wo sich auch die Volontärinnen und Volontäre der Journalistenschule solidarisierten. Klaus Schrage, Sprecher der dju Bayern und Vorsitzender der dju-Tarifkommission, fordert von den BDZV-Vertretern, endlich ein verhandlungsfähiges Angebot vorzulegen. Es gebe genug Abschlüsse, an denen sich diese orientieren könnten, im öffentlichen Dienst ebenso wie in der Privatwirtschaft in der Metallindustrie, bei der Telekom oder bei der Post. Diese lägen zum Teil um mehr als das Doppelte oberhalb der bisherigen Offerte des BDZV. Sein bisheriges Fazit der Tarifverhandlungen: „Die Zeitungsverleger geben vor, die notleidendste Branche der gesamten Republik zu sein. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man über diese erbärmliche Selbstdarstellung sogar lachen.“
Weitere Redaktionen in Bayern und Baden-Württemberg haben sich dem Warnstreik in den vergangenen Tagen angeschlossen, etwa in Stuttgart, wo Journalist_innen von Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten ihren Leserinnen und Lesern in einem Video erklären, warum sie streiken:
Wir sind deine Zeitung, deine Website, deine Fotos und deine Videos, dein Facebook, dein Instagram, deine Podiumsdiskussion, dein Podcast.
Wir sind mehr wert.#tvtz18 #zeitungsstreik@DJVde @djuverdi @BdzvPresse @DJVBW @tarif_medien pic.twitter.com/tkCrsMvjqP
— Zeitungsstreik0711 (@Streikblog0711) 30. Mai 2018
Protest vor dem Schweriner Landtag
Selbst im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern wurde gestern über die Lage der Medien im Land diskutiert. Anlass für die von der Fraktion der Linken initiierte Aussprache waren die aktuellen Vorgänge bei der zum Madsack-Konzern gehörenden Ostsee-Zeitung. Unter anderem wurden dort einen Tag vor der Wahl eines neues Betriebsrats 32 Mitarbeiter_innen einer Tochterfirma gekündigt, die erstmals ihre Stimme für eine Interessenvertretung abgeben durften. Während der Parlamentsdebatte übten sowohl Redner der Linken als auch der SPD deutliche Kritik am Umgang des Madsack-Konzerns und anderer Verlage in Mecklenburg-Vorpommern mit Tarifverträgen und Arbeitnehmerrechten. „Das Angebot, zu diesen Themen im Gespräch zu bleiben und gemeinsam nach Lösungen zu suchen, nehmen wir gern an“, erklärte Martin Dieckmann von der Gewerkschaft ver.di. Im Plenum und gegenüber den Streikenden hatten Politiker von Linken, SPD und CDU vorgeschlagen, über konkrete Zukunftsmodelle für den Qualitätsjournalismus zu diskutieren. Vor dem Schweriner Landtag demonstrierten unterdessen zahlreiche Beschäftigte der Ostsee-Zeitung aus Rostock gegen die schlechten Arbeitsbedingungen und für eine angemessene Erhöhung der Gehälter und Honorare und die Tarifbindung für Pauschalist_innen.
Als Reaktion auf den Umbruch in der Medienlandschaft haben ver.di, DJV und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Initiative „Unser Land braucht seine Zeitungen. Qualität und Vielfalt sichern“ ins Leben gerufen. In deren Rahmen fordern sie unter anderem eine Überarbeitung des Landespressegesetzes, um unter anderem mehr Transparenz über Besitz- und Beteiligungsverhältnisse in den Medienunternehmen zu schaffen. Mehrere tausend Bürger haben das Anliegen bereits mit ihrer Unterschrift unterstützt.
Aktuelle Infos zur Tarifrunde auf der Website der dju in ver.di: dju.verdi.de