NDR-Chor: Protest gegen Sparvorhaben

Protestaktion vor der Hamburger Elbphilharmonie
Foto: Georg Tedeschi

Der NDR verlangt den Sänger*innen seines Chores einiges ab: Gesangsstudium, Erfahrung, umfangreiche Kenntnisse. Zum Vorsingen sind Stücke aus drei Jahrhunderten und vier Epochen vorzubereiten. Die Latte hängt hoch. Nur bei den Gegenleistungen plant der Sender den „Limbo“-Tanz und will sie absenken: In Zukunft sollen die Chorsänger*innen nicht mehr beim NDR angestellt sein, sondern bei einer GmbH. Und das auch nur noch mit halben Verträgen. Es regt sich Widerstand und es formt sich Solidarität.

„Wir haben die Befürchtung, dass der NDR auf diese Weise das Ensemble beschädigt“, sagt Björn Siebke, der für den NDR zuständige ver.di-Sekretär. „Man kann an einem so anspruchsvollen Klangkörper nicht einfach wild herumsparen, ohne irreparablen Schaden anzurichten.“

Dieser Klangkörper ist renommiert: „Der NDR-Chor gehört zu den international führenden professionellen Kammerchören“, schreibt der NDR über das eigene Ensemble. „Das Repertoire des Chores erstreckt sich über alle Epochen von Alter Musik bis hin zu Uraufführungen. Seine reich nuancierte Klangfülle und sein Einfühlungsvermögen in die Stile verschiedener Musikepochen zeichnen die Arbeit des NDR-Chores aus“.

Trotz allen Lobs ließ die Senderleitung im Gespräch mit Arbeitnehmervertretern vor kurzem durchblicken, dass die Sparmaßnahmen im NDR auch vor dem Chor nicht Halt machen werden. „Frei werdende Stellen werden im NDR nicht neu besetzt, sondern bei einer GmbH, die der Sender eigens dafür gründet“, sagt Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung, die Kooperationspartner der Gewerkschaft ver.di ist. „In dieser GmbH werden nicht die gleichen Arbeits- und Tarifbedingungen herrschen, wie beim NDR. Vor allem aber sollen die neuen Sänger nur noch zu 50 Prozent für den Chor arbeiten. Und sie sollen schneller zu kündigen sein. Damit haben wir ein Problem der sozialen Absicherung, denn bei Sängern kann es vorkommen, dass die Stimmleistung vor Erreichen des Rentenalters nachlässt. Wir fürchten, dass der NDR sich hier aus der sozialen Verantwortung für seine Arbeitnehmer ziehen will.“

Experten fürchten auch, dass die geplante Teilzeitbeschäftigung der Chorsänger*innen zu mehr Selbstausbeutung führen wird, zum Beispiel, indem die persönliche Vorbereitung auf Proben und Konzerte in der unbezahlten Zeit stattfindet. Insgesamt würde der Beruf der professionellen Sänger*innen damit unattraktiver werden. An den ersten Protestaktionen von Orchestervereinigung und ver.di haben sich deshalb auch Studierende der Hamburger Hochschule für Musik und Theater beteiligt. „Deren Aussage war, dass der NDR hier an ihrer beruflichen Zukunft sägen will und sie sich dagegen wehren wollen“, sagt Gerald Mertens. „Diese Studenten sind auch die ersten, die es betreffen würde, denn vor 2023 scheidet keiner der derzeit 27 Choristen regulär aus.“

Solidarität erfahren die die Chorist*innen derzeit von Musiker*innen und Ensembles aus der ganzen Welt, speziell aber von Kolleg*innen aus anderen deutschen Rundfunkchören. In einem offenen Brief wird der NDR aufgefordert, den Chor in seiner jetzigen Form zu erhalten. Von den vielen professionellen und semiprofessionellen Vokalensembles auf dem freien Markt sollte sich „ein Rundfunkchor durch klangliche Flexibilität, Beherrschung der verschiedensten Stile und Epochen und eben auch durch eine stimmliche wie altersmäßige Mischung abheben. Das können nur die Rundfunkchöre leisten“, heißt es in dem Schreiben der Chorvorstände des RIAS Kammerchors, des Rundfunkchors Berlin, des WDR Rundfunkchors, des MDR-Rundfunkchors, des Chors des Bayerischen Rundfunks und des SWR Vokalensembles.“

ver.di Sekretär Björn Siebke fordert die Solidarität aller Senderbeschäftigten, auch außerhalb der Klangkörper ein. „Das was hier geschieht, könnte ein Testballon für ganz viele Arbeitsfelder im NDR sein und die breite Prekarisierung professioneller Arbeit zur Folge haben.“ Nach einer Auftaktaktion vor der Hamburger Elbphilharmonie beraten die Beschäftigten jetzt das weitere Vorgehen. „Das kann auf der arbeitsrechtlichen, der kulturpolitischen oder der Personalvertretungsebene erfolgen“, sagt Siebke. „Eines kann sich der NDR sicher sein: Ruhen werden wir nicht!“


Das Kampagnenvideo (60 Sek.) der Deutschen Orchestervereinigung  zum Erhalt des NDR Chores im NDR ist online: https://youtu.be/bPlQuWt5A60 . Neben dieser Fassung auf YouTube gibt es auch eine Onlinefassung mit Untertiteln für Facebook, Instagram …. https://www.facebook.com/orchesterland/.

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf den Button unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Türkei: Regierung schaltet TV-Sender ab

In der Türkei ist einer der populärsten regierungskritischen TV-Sender für zehn Tage abgeschaltet worden. Gegen Sözcü TV sei eine Strafe wegen wiederholten „Verstößen gegen Sendevorschriften“ verhängt worden, schrieb der Chef der Rundfunkbehörde (Rtük), Ebubekir Sahin, auf der Plattform X. Der Sender kritisiert das Vorgehen als Zensur.
mehr »

Für ein digitales Ökosystem

Markus Beckedahl, Journalist und Gründer des Online-Portals www.netzpolitik.org, erkennt  im System des öffentlich-rechtlichen Rundfunk den Ort, wo alternative digitale Infrastrukturen gut entwickelt werden können.
mehr »

Rechte Influencerinnen im Netz

Rechtextremismus und rechte Parolen verbinden viele Menschen automatisch mit testosterongesteuerten weißen Männern. Diese Zielgruppe füttert AfD-Politiker Maximilian Krah mit simplen Parolen wie: „Echte Männer sind rechts.“ Das kommt an bei Menschen, die im Laufe der Zeit irgendwann beim „Gestern“ stecken geblieben sind. Inzwischen verfangen solche rechten Klischees auch bei Frauen. Vor allem im Internet.
mehr »

KI macht Druck auf Suchmaschinen

Die Künstliche Intelligenz frisst den Traffic: Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) meldet massive Einbrüche bei der Suchmaschinen-Nutzung aufgrund von Chatbots bei Google oder ChatGBT. Weil viele Nutzer*innen sich mit den Zusammenfassungen von KI zufrieden geben, klicken sie nicht mehr weiter zu den Websites, von denen die Informationen bezogen werden.
mehr »