Neue Zeit im NDR

Tarifvertrag über Arbeitszeitkonten

Arbeitszeitregelungen haben schon immer zu unseren wichtigsten Themen gehört. Dabei steht dem Bestreben der Gewerkschaften nach mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten meist das Interesse der Arbeitgeber an höherer Deregulierung gegenüber. Im NDR haben wir nun eine neue Möglichkeit geschaffen, daß Arbeit und Freizeit für die ArbeitnehmerInnen flexibler handhabbar ist.

In dem Tarifwerk „Bündnis für Arbeit und Programm“ vom März 1997 hatten wir bereits Eckpunkte für die Einrichtung von Zeitkonten für alle MitarbeiterInnen des NDR festgehalten. Nach langen und zähen Verhandlungen konnten wir nun mit dem NDR einen Tarifvertrag dazu abschließen. Was besagt er konkret?

Ab dem 1. Januar 1998 wird es für jeden Arbeitnehmer/jede Arbeitnehmerin im NDR ein Zeitkonto – wie Girokonten auf der Bank – geben. Sie zu füllen und zu nützen ist eine neue, freiwillige Möglichkeit – ohne Zwang und ohne, daß etwas anderes in den bestehenden Tarifverträgen dazu verändert (d.h. verschlechter) wurde. Dies bedeutet, daß es neben den bisherigen Möglichkeiten, mit Arbeit und Freizeit umgehen und diese zu disponieren, jetzt noch eine zusätzliche Wahlmöglichkeit gibt, wobei die Wahl einzig und allein bei den Beschäftigten liegt.

Diese Konten können folgendermaßen gefüllt werden:

1. Durch angeordnete Mehrarbeit. Zu Beginn eines Ausgleichszeitraums können die MitarbeiterInnen bestimmen, daß am Ende dieses Zeitraums ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung ganz oder teilweise in einen Freizeitausgleich umgewandelt und dem Langzeitkonto gutgeschrieben wird. Dies gilt auch für Teilzeitbeschäftigte dergestalt, daß sie Mehrarbeit bereits bei Überschreitung ihrer einzelvertraglich vereinbarten Arbeitszeit in das Konto stellen können.

2. Mittels eines Teilzeitmodells. Jeder/jede hat den Anspruch, daß bei gleichbleibender Arbeitszeit das Gehalt reduziert wird und die sich daraus ergebende Differenz in einen Freizeitausgleich umgewandelt wird. Dies könnte zum Beispiel so aussehen: 4 Jahre bei 80% der Bezüge 100% arbeiten und im 5. Jahr (oder auch später) mit 80% der Bezüge ein Arbeits-freies Jahr („Sabbatical“) einlegen.

3. Mit Resturlaub. Wurde der gesetzliche Mindesturlaub gewährt, können – bevor der Urlaub im Folgejahr verfallen würde – bis zu fünf Urlaubs-Tage maximal in das Konto eingestellt werden.

4. Mit Jubiläumstagen. Die tariflich gewährten fünf freien Tage bei 25jähriger und vierzigjähriger Betriebszugehörigkeit können ebenfalls in das Konto fließen.

Diese Konten sind reine Zeitkonten, das heißt: es kann auch immer nur Zeit entnommen werden (nur im Todesfall, oder wenn jemand den NDR verläßt, wird umgerechnet und das Angesparte in Geld ausgezahlt). Will ein/eine ArbeitnehmerIn etwas aus seinem/ihren Konto entnehmen, muß er/sie das rechtzeitig vorher anmelden, damit der NDR entsprechend disponieren kann – maximal aber bis zu sechs Monate vorher. Mindestens muß er/sie aber Zeit in Höhe des höchsten tariflichen Urlaubsanspruches entnehmen. Da sich beide Seiten einig waren, daß dieses Konto als Langzeitkonto geführt wird, soll damit vermieden werden, daß das Konto immer nur um ein paar wenige Tage „geplündert“ wird. Sich nur ein paar Tage frei zu nehmen, geht im NDR auch anders.

In der Hauptsache sollen diese Zeitkonten für zwei Dinge genützt werden:

1. Für eine längere Freizeit (Stichwort: „Sabbatical“). Gedacht haben wir dabei vor allem an die KollegInnen, die einmal für eine längere Zeit, als es der Jahresurlaub erlaubt, aus dem NDR raus wollen. Viele werden diese Zeit wie einen langen Urlaub ansehen. Faktisch ist das auch so, nur juristisch nicht und da liegen dann ein paar Haken. Ob ich Zeit aus Mehrarbeit oder aus dem Teilzeitmodell (und selbst den dort eingestellten Urlaub) in das Konto lege: die Zeit, die ich dann – wann immer ich möchte – entnehme, ist kein Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz, sondern arbeitsfreie Zeit, die ich mir vorher erwirtschaftet habe. Alle Bezüge laufen weiter, man ist auch weiter kranken- und sozialversichert, nur sind ein paar Dinge anders, auf die man die KollegInnen aufmerksam machen muß. Wenn ich heute zum Beispiel im Urlaub krank werde, kann ich den Urlaub entsprechend stornieren und verliere den Anspruch auf diese Tage nicht. Werde ich hingegen in Zeiten, die ich aus dem Konto entnommen habe, krank, dann verliere ich diese Tage. Wie gesagt: dies ist kein materieller Verlust, aber eben ein immaterieller. Über dieses Risiko müssen sich alle im klaren sein, bevor sie etwas in das Zeitkonto geben.

2. Für einen vorgezogenen Ruhestand. Jeder/jede kann sich auch dazu entschließen, Zeit für einen – in diesem Falle selbstfinanzierten – früheren Ausstieg aus dem Erwerbsleben anzusparen. Dabei ist, sollte sich jemand entscheiden, diesen Weg über das Teilzeitmodell zu gehen, zu beachten, daß sich bei längerer Teilzeit (es kommt immer auf das Verhältnis von Jahren in Vollzeit und Jahren in Teilzeit an!) gegebenenfalls die Rentenansprüche etwas reduzieren können. Dies läßt sich aber alles voher ausrechnen und stellt kein unkalkulierbares Risiko dar.

Nun liegt es an den KollegInnen im NDR, was sie aus diesem Angebot machen. Da die Leitung des NDR und wir uns im klaren sind, daß wir hier tarifpolitisch neue Wege beschreiten, deren Risiko für beide Seiten teilweise nur schwer kalkulierbar ist, haben wir uns auf eine Frist von sechs Jahren geeinigt. Danach kann dieser Vertrag zum ersten Mal gekündigt werden, wenn eine – oder vielleicht auch beide – Seiten feststellen, daß schwerwiegende Mängel übersehen wurden. Verloren geht dabei selbstverständlich nichts, was man bis dahin angespart hat – nur kann man im Falle einer Kündigung des Vertrags dann nichts mehr auf das Zeitkonto einzahlen.

Wir sind 1996 aus politischen Gründen mit der Forderung nach Zeitkonten in die Tarifverhandlungen gegangen. Zum einen sollten sie arbeitsmarktpolitisch dem Stellenerhalt und Stellenzuwachs dienen und zum anderen eine höhere Zeitsouveränität für alle Beschäftigten gewährleisten. Das erste Ziel haben wir nur bedingt erreicht, das zweite dafür in zufriedenstellendem Umfang. Inwieweit eine längere Abwesenheit vom Arbeitsplatz zu – wenn auch nur befristeten – Neueinstellungen führen wird, muß sich erst zeigen. Auch das frühere Ausscheiden aus dem Berufsleben ist nicht unbedingt ein Garant dafür, daß der NDR die freiwerdende Stelle neu besetzt. Aber alle ArbeitnehmerInnen im NDR haben jetzt eine weitere Möglichkeit, ihre freie Zeit besser und in größerem Umfang disponieren zu können.

 

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Österreich: Gefahr für die Pressefreiheit

In Österreich ist die extrem rechte FPÖ bei den Nationalratswahlen stärkste Kraft geworden. Noch ist keine zukünftige Koalition etabliert. Luis Paulitsch erklärt im Interview, welche Entwicklungen in der österreichischen Medienlandschaft zu erwarten sind, sollten die FPÖ und ihr Spitzenkandidat Herbert Kickl an der Regierung beteiligt werden. Paulitsch ist Jurist, Zeithistoriker und Medienethiker. Von 2019 bis 2024 war er Referent des Österreichischen Presserats, dem Selbstkontrollorgan der österreichischen Printmedien;  seit 2024 bei der Datum Stiftung für Journalismus und Demokratie.
mehr »

KI beinflusst Vielfalt in den Medien

Künstliche Intelligenz kann journalistische Texte in verschiedene Sprachen übersetzen und damit viel mehr Nutzer*innen ansprechen. Gleichzeitig kann sie aber auch Stereotype, die in diesen Texten enthalten sind, verfestigen. Gefahren und Chancen von KI-Anwendungen im Journalismus standen im Fokus der diesjährigen NxMedienkonferenz der Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM), die sich für mehr Vielfalt in den Medien einsetzen.
mehr »

ARD & ZDF legen Verfassungsbeschwerde ein

Nachdem die Ministerpräsident*innen auf ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober keinen Beschluss zur Anpassung des Rundfunkbeitrags ab 2025 fassten, haben heute ARD und ZDF Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingelegt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di begrüßt die Initiative.
mehr »

AfD als Social Media Partei überschätzt

Eng vernetzt mit dem extrem- und neurechten Vorfeld und gezielt provozierend mit rassistischem Content: Die Landtagswahlkämpfe der AfD in Sachsen, Thüringen und Brandenburg waren von einer hohen Mobilisierung geprägt, auch über die sozialen Medien. Eine aktuelle Studie der Otto Brenner Stiftung (OBS) in Frankfurt am Main zeigt nun aber: die Auftritte der AfD auf Social Media sind weit weniger professionell als zuletzt häufig kolportiert und es gibt deutliche regionale Unterschiede.
mehr »