Protest gegen Outsourcing-Pläne des Intendanten Reiter

Bundesfachgruppenkonferenz für Demo vor dem MDR unterbrochen

Es gab wohl kaum jemanden unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Bundesfachgruppenkonferenz Rundfunk/ Film/Audiovisuelle Medien (RFAV), den es da auf dem Hocker hielt: „Es geht an die Substanz“, hatte Adelheid Scholz, Gesamtpersonalratsvorsitzende beim Mitteldeutschen Rundfunk (MDR), der Konferenz berichtet.

Intendant Dr. Udo Reiter beabsichtige, die komplette Hörfunk- und Fernsehproduktion aller MDR-Landesfunkhäuser auszulagern. Private Tochterunternehmen sollten ausgegründet und damit beim MDR eine Senkung der Personalkosten um mehr als ein Drittel erreicht werden, sagte sie. Allein beim ersten Auslagerungsschritt seien mindestens 800 Kolleginnen und Kollegen – das sind fast 40 Prozent der gesamten Belegschaft – betroffen. „Kein Kameramann, kein Cutter oder Beleuchter, kein Tontechniker, keine Maskenbildnerin würde dann mehr direkt beim MDR arbeiten: ganz zu schweigen von eigenen Ü-Wagen, Werkstätten oder dergleichen mehr. Statt dessen sollen private Tochterfirmen in einem neuen Medienzentrum, das unmittelbar neben dem MDR auf sein Betreiben hin entsteht, ihre Arbeit aufnehmen. Und das pikante daran ist, daß andere ARD-Anstalten wie NDR oder WDR über ihre Enkeltöchter daran beteiligt sein werden“, machte Scholz die Tragweite der von der MDR-Geschäftsführung angestrebten Entscheidungen klar.

Mit ihrem Treffen in Leipzig waren die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter nicht nur örtlich nah dran am MDR – der erste Konferenztag der rund 110 Delegierten lag auch zeitlich günstig, um mit einer Aktion ein deutliches Zeichen gegen die Outsourcingbestrebungen des MDR-Intendanten zu setzen: Für 8. Juni um 11 Uhr war die Verwaltungsratssitzung terminiert, auf der das siebenköpfige Gremium die Reiter-Pläne „abwinken“ sollte. „Wir dürfen nicht tatenlos zusehen, wie ein öffentlich-rechtlicher Sender zerpflückt wird“, rief Uli Röhm vom ZDF zu Konferenzbeginn um 9 Uhr die Delegierten zur Protestaktion auf. Einstimmig wurde beschlossen, mit Bussen vom Tagungshotel Inter-Continental zum MDR-Standort am alten Schlachthof zu fahren und dort vor der Pforte zu demonstrieren.

Der Personalrat des MDR war bislang noch nie zu Verwaltungsratssitzungen eingelassen worden, denn im Gegensatz zu anderen öffentlich-rechtlichen Anstalten ist die Belegschaftsvertretung in diesem Gremium weder stimm- noch redeberechtigt. „Unser Ziel muß sein, den Verwaltungsrat wenigstens dazu zu bringen, sich die Argumente des Gesamtpersonalrats anzuhören“, so RFAV-Bundesgeschäftsführer Peter Völker. Ein entsprechendes Schreiben mit dieser Forderung wurde per Fax an die Verwaltungsratsvorsitzende Prof. Schipanski abgesetzt – und dann ging’s mit Transparenten und IG-Medien-Fahnen, die Landesbezirkssekretär Bernd Ackermann schnell beschafft hatte, zum MDR. Vor der Pforte postierten sich die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter – die Presse war auch mit von der Partie, einige MDR-Beschäftigte kamen von drinnen dazu und reihten sich ein. Karl-Heinz Kunckel, SPD-Fraktionsvorsitzender im sächsischen Landtag und Mitglied des Verwaltungsrats, bestätigte bei seinem Kommen im Gespräch mit den Demonstrierenden deren Bedenken gegen die Outsourcing-Pläne. „Selbst die vom MDR beauftragte Unternehmensberatung Roland Berger hat ja in ihrer Analyse die Wirtschaftlichkeit der Auslagerungen angezweifelt“, so Kunckel (siehe Foto rechts). Deshalb, kündigte er an, werde er in der Sitzung gegen die Auslagerung stimmen. In der Zwischenzeit war die MDR-Leitungsetage angesichts der Menschenversammlung vor dem Tor scheinbar beunruhigt. Man sei nun doch bereit, mit einer Abordnung der IG Medien zu sprechen, wurde von drinnen signalisiert. Eine kleine Delegation, unter anderen mit dem stellvertretenden IG-Medien-Vorsitzenden Gerd Nies und der MDR-Gesamtpersonalratsvorsitzenden Adelheid Scholz, durfte das Gelände des Senders betreten, um mit der Vorsitzenden und weiteren Mitgliedern des Verwaltungsrats zu sprechen. Zwanzig Minuten später gab es einen „Etappensieg“ zu feiern: Adelheid Scholz wurde zugestanden, auf der Sitzung des Verwaltungsrats die Argumente der Belegschaftsvertretung vorzutragen.

Knappe Abstimmung

Auch wenn der MDR-Verwaltungsrat wenige Stunden später mit knapper 4:3-Mehrheit für die Auslagerung wesentlicher Teile der öffentlich-rechtlichen Rundfunkproduktion und damit gegen den Programmauftrag, die Beschäftigten des Senders und ebenso gegen die Interessen der Gebührenzahler stimmte – die Demonstration der IG Medien hatte Wirkung gezeigt. „Ich danke euch für die Unterstützung“, sagte Adelheid Scholz am Abend des 8. Juni vor dem Plenum. Besonders beeindruckend fand sie die Tatsache, daß Kolleginnen und Kollegen von privaten Sendern und Produktionsfirmen oder Kinos sich für die Belange der Beschäftigten beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingesetzt hätten. „Unsere Aktion hat gezeigt, welche Wirkung geschlossenes Auftreten hat – und dies sollten wir öfter demonstrieren“, meinte anschließend ein Delegierter.

Die Outsourcing-Geschichte des MDR ist aber damit noch nicht zu Ende geschrieben: „Die Reitersche Auslagerungsstrategie wird sich vor dem Hintergrund der zunehmenden Kommerzialisierung der Medienlandschaft und der damit verbundenen Medienkonzentration im privatwirtschaftlichen Bereich als Irrweg und nicht als Mittel- zur Stabilisierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erweisen“, ist sich Gerd Nies sicher. Das denkbar knappe Abstimmungsergebnis mache die Widersprüchlichkeit des Vorhabens deutlich. „Wie die IG Medien ist offensichtlich auch ein Teil des Verwaltungsrats von der Wirtschaftlichkeit der angekündigten Maßnahmen nicht überzeugt.“

Die Forderung der Gewerkschaften, zuerst intensiv zu prüfen, welche innerbetrieblichen Umstrukturierungen und Flexibilisierungsmaßnahmen möglich sind, steht weiterhin. Die MDR-Beschäftigten stehen hinter dieser Forderung, wie die Liste mit 1400 Unterschriften gegen das geplante Outsourcing beweist. Die Botschaft der IG Medien an den Intendanten ist eindeutig: „Wir wollen keinen Betonkurs fahren und und sind zu weltreichenden Verhandlungen und zur Mitarbeit an flexiblen Lösungen bereit“, unterstreicht Peter Völker. Aber grundsätzlich gehe es hier um den Fortbestand der öffentlich-rechtlichen Anstalt in ihrem gesetzlich festgeschriebenen Sinne.

Die IG Medien wird die Aufsichtsbehörde anrufen, da ihrer Meinung nach der Verwaltungsratsbeschluß vom 8. Juni gegen den MDR-Staatsvertrag verstößt. Völker: „Die Einheit von Inhalt und Herstellung, die die Unabhängigkeit sichert, ist bei Realisierung dieser Pläne nicht mehr gegeben – und damit eins der Hauptattribute einer öffentlich-rechtlichen Anstalt. Dieser Entwicklung muß ein Riegel vorgeschoben werden.“

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

„Das Problem mit der Leidenschaft“

Lena Hipp ist Professorin für Soziologie an der Universität Potsdam und leitet die Forschungsgruppe „Arbeit und Fürsorge“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Mit M sprach sie über „Gute Arbeit“, Stressoren im Journalismus und weshalb die Trennung von Arbeit und Privatleben für Medienschaffende so wichtig ist.
mehr »

Fünfter Streik beim Bundesanzeiger

Mit rund 130 Millionen Euro Jahresumsatz und einer stattlichen Gewinnmarge von 18 bis 20 Millionen Euro ist der Bundesanzeiger Verlag die Cash Cow der DuMont Verlagsgruppe. Doch der Verlag verweigert Tarifverhandlungen. Dabei, so formuliert es Bundesanzeiger-Betriebsrat Gerhard Treinen, befindet sich ein großer Teil der rund 560 Beschäftigten und der bis zu 280 Leiharbeitenden in prekären Arbeitsverhältnissen. Daher hat ver.di jetzt zum fünften Mal in diesem Jahr zu einem Warnstreik aufgerufen. Rund 100 Streikende hatten sich dann auch vor dem DuMont Gebäude in Köln versammelt und verliehen ihrem Unmut hörbar Ausdruck als sie „Tarifvertrag jetzt“ skandierten. „Ich habe…
mehr »

Die Verantwortung der Redaktionen

Auf die mentale Gesundheit zu achten, ist keine individuelle Aufgabe. Auch Arbeitgeber*innen können und sollten etwas für psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter*innen tun. Wie funktioniert das in einer Branche, die so geprägt ist von Zeit und Leistungsdruck und belastenden Inhalten wie der Journalismus? Wir haben uns in zwei Redaktionen umgehört, die sich dazu Gedanken gemacht haben: das Magazin Neue Narrative und der Schleswig-Holsteinische Zeitungsverlag (SHZ).
mehr »

Gewalterfahrung im Lokaljournalismus

In Deutschland hat sich die Zahl der gewalttätigen Übergriffe auf Journalist*innen deutlich erhöht. Viele der Übergriffe finden am Rande von Demonstrationen statt. Der Thüringer Journalist Fabian Klaus recherchiert zu Rechtsextremismus und wird deshalb bedroht. Mit M sprach er über zunehmende Bedrohungslagen im Lokaljournalismus und die Unterstützung aus den Redaktionen.
mehr »