Veranstaltung der IG Medien am 6. Oktober in Hamburg
„Befürchten Sie nicht, daß ich meinem Kollegen Reiter an die Seite treten will. Der geht nicht nur Ihnen, der geht mir auch in seiner Vorstellungskraft zu weit“ – so ZDF-Intendant Dieter Stolte auf einer Veranstaltung am 6. Oktober in Hamburg, zu der der Verband NDL in der IG Medien in die Akademie für Publizistik eingeladen hatte.
Über das Thema „Reformen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Gewerkschaften und Rundfunkanstalten – Partner oder Kontrahenten?“ diskutierten dort der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Manfred Stolpe, der Intendant des ZDF, Dieter Stolte, der Intendant des NDR, Jobst Plog, der Intendant des SFB, Günther von Lojewski, der IG-Medien-Vorsitzende Detlef Hensche, Veronika Pahl vom Vorstand der DAG und die Vize-Präsidentin der Euro-MEI, Zoe Lanara aus Griechenland, unter der Diskussionsleitung von Christiane Reymann aus Berlin. Ein Großteil der Debatte wurde vom Parlaments- und Ereigniskanal Phönix übertragen. Obwohl es vom Thema her um die innere Verfaßtheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die Rolle der Gewerkschaften im aktuellen Reformprozeß ging, beschäftigte sich die Diskussion über weite Strecken mit der Medienpolitik „nach außen“.
Nach innen, da waren sich so gut wie alle einig, sind wir Kontrahenten, da zwar, wie Stolte sagte, die Rundfunkanstalten die Betriebe unserer Mitarbeiter sind „und für die haben eben von zwei Seiten unterschiedliche Instanzen Füsorgepflicht“, die aber oft divergierende Vorstellungen auf Grund der unterschiedlichen Interessenlagen haben. Der Druck von außen und der Abwehrkampf gegen die kommerziellen Sender hat beide jedoch nächer zusammenrücken lassen. Alle betonten, daß für die alten Rollenspiele kein Platz mehr sei. Den rigorosen Auslagerungsplänen des MDR-Intendanten Reiter erteilten Stolte und Plog eine klare Absage, wenn sie auch bestimmte Dienstleistungen in den Häusern durchaus auf ihre Auslagerbarkeit hin überprüfen wollten. Hier warnte Veronika Pahl (DAG) vor der Gefahr, daß das Outsourcing von z.B. Reisediensten etc. wie eine „Einstiegs-Droge“ wirken könnte und Detlef Hensche machte deutlich, daß die Gewerkschaften das Primat rein betriebswirtschaftlichen Denkens für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für schädlich und gefährlich halten.
Monopole verhindern
Die Intendanten mahnten entschiedenes Handeln der Politik zum Schutze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks an. Wie eine vorweggenommene Bestätigung der Ergebnisse der Tagung der Medienkommission drei Tage später erging der Kassandra-Ruf der Intendanten an die Ministerpräsidenten, daß man angesichts der Monopolbildung im Bereich des Digital-Angebots den kommerziellen Anbietern Zügel anlegen müsse. Die unheilige Allianz von Telekom, Kirch und Bertelsmann könne über ihr Monopol bei der sogenannten d-Box (die man zum Empfang digitaler Programme braucht) den öffentlich-rechtlichen Anstalten das Wasser abgaben. Lojewski: „So wie ich vor zwanzig Jahren für private Konkurrenz eingetreten bin, weil ich der Ansicht war, es kann nicht bei einem Quasi-Monopol des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den elektronischen Medien bleiben, so habe ich heute die Sorge – und ich denke, ich bin nicht der einzige -, daß wir auf dem Wege über ein duales System jetzt einsteigen in ein neues Monopol und da sagt das Kartellamt ja schon heute, es sieht in Deutschland nur noch zwei Senderfamilien: hier Kirch, hier Bertelsmann.“
Aus europäischer Sicht konnte die Kollegin Lanara diese Sorge nur bestätigen: In ganz Europa haben die öffentlich-rechtlichen Sender bis zu 50% ihrer Zuschauer in den vergangenen zehn Jahren verloren. Ohne Unterstützung der Politiker auf nationaler wie internationaler Ebene nützen auch innere Reformbereitschaft und Reformen wenig. Bislang wurde Rundfunk in Europa von den Politikern hauptsächlich unter Marktgesichtspunkten behandelt und gesehen. Damit müsse jetzt Schluß sein. So sagte auch Plog: „Die Medienpolitik folgt der Politik der Konzerne nach. Und das wird jetzt auch wieder so sein, wenn wir jetzt beim Zugang zum digitalen Fernsehen eine ,Lösung‘ haben sollten.“ Er setzte im Bezug auf Deutschland noch nach: „Und der politische Wille in diesem Land, Ereignisse zu verteidigen gegen die Tendenz, sie ins Pay-TV zu nehmen, ist offenbar geringer als in anderen Kulturnationen. … Aber einen solchen gigantischen Konzentrationsprozeß zuzulassen, das halte ich für nicht verantwortlich.“
Eine klare Front gegen Kirch, Bertelsmann und Telekom also. Dies brachte Intendant Stolte auf den Punkt: „Ob’s ARD und ZDF paßt oder nicht paßt, wir sitzen in einem Boot. Und wenn das eine System, ob das ARD oder ZDF ist, Not leidet, leidet der andere Teil dieses Systems auch Not.“ Da klang es erfreulich, daß der einzig anwesende Ministerpräsident in der Runde, Manfred Stolpe, meinte: „Es darf kein Zweifel aufkommen: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist die Gewähr für Meinungsvielfalt, ja sogar für Meinungsfreiheit.“ Nun müssen die 14 Kollegen und die eine Kollegin von Manfred Stolpe beweisen, daß sie ihm in der Aussage folgen: „Gerade weil ja im Grundsatz doch alle der Meinung sind – unaufgebbar und unverzichtbar für die Gesellschaft, in der wir leben -, daß ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk ja nicht ein Mauerblümchen, sondern doch ein entscheidender Faktor in der Medienlandschaft sein muß“, haben die Politiker jetzt die notwendigen gesetzgeberischen Konsequenzen zu ziehen. Der Zugang zum digitalen Fernsehen darf nicht von den kommerziellen Anbietern monopolisiert werden.
Eine spannende, eine wichtige Diskussion, die nur als Baustein in dem verstärkten Dialog der Intendanten mit den Politikern gesehen werden muß. Die „Schlacht“ um die Erhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist – trotz aller Bekenntnisse der Politiker – noch lange nicht gewonnen, da – wie auch Ministerpräsident Stolpe betonte – für viele Politiker der öffentlich-rechtliche Rundfunk eine Selbstverständlichkeit ist, für dessen Erhalt sie sich noch nicht genügend aktiv stark gemacht haben.
Diskussions-Highlights
Eröffnungsrunde
Dieter Stolte
(Intendant ZDF)
„Mein Kollege Reiter geht selbst mir zu weit.“
„Die Einführung der digitalen Technik führt zur Verdichtung von Arbeitsprozessen. Durch den damit einhergehenden Abbau von Personal im Gegenzug eine großangelegte Qualifizierungsoffensive – nicht nur im Hause selbst, auch von noch nicht im Medium tätigen jungen Menschen – in Angriff nehmen.“an>
Veronika Pahl
(Vorstand DAG)
„Die Auslagerung von Reisediensten, Honorare und Lizenzen kann eine ,Einstiegsdroge‘ zu weiteren Schritten sein.“
„Also, wir sind Partner, aber wir sind auch Kontrahenten, daran können Sie sehen, man muß sich unsere Liebe auch verdienen.“
Günther von Lojewski
(Intendant SFB)
„Keine alten Rollenspiele zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten“ „Wir müssen die Ministerpräsidenten fragen, ob das von ihnen entwickelte Marktanteilsmodell greift, auf einem Markt, der möglicherweise in absehbarer Zeit von Pay-TV bestimmt wird.“
Jobst Plog
(Intendant NDR)
„Man wird nicht jede Woche Breloer machen können.“
„Ob Produktion und Technik in den Häusern stattfindet oder draußen stattfindet, mag sich vielleicht in der Aktualität ein bißchen dogmatisch-rechtlich stellen – aber woanders eben nicht. Sie hat überprüft und beantwortet zu werden nach den Kriterien Flexibilität, Effektivität, Effizienz, Kosten.“ „Die Flexibilitätsvorteile, die man haben könnte, wenn man draußen produziert, sind abzuwägen gegen den Verlust an Know how in den Häusern.“
Zoe Lanara
(Vizepräsidentin MEI)
„In Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunk gingen in Europa in den letzten Jahren 13 Prozent der Arbeitsplätze verloren.“ „Mit den vielfältigen Problemen können wir zu den Leitungen der Rundfunkanstalten keine Kontrahenten mehr sein, sondern müssen Partnerschaften eingehen, um die Probleme gemeinsam zu lösen.“
„Solange wir national und europäisch nicht die Unterstützung der Politik haben, nützt uns jeder gemeinsame Reformansatz gar nichts.“
Detlef Hensche
(Vorsitzender IG Medien)
„Was den Schutz der freien Mitarbeiter angeht, was namentlich die Fortentwicklung ihrer urheberrechtlichen Positionen angeht, sehe ich dringenden Handlungsbedarf – auch tarifvertraglichen Verhandlungsbedarf.“
„Es gibt auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Tendenzen, neue Techniken vornehmlich als ein willkommendes Einsparelement einzusetzen. Dabei wird vernachlässigt, wie notwendig es ist, durch neue Formen der Arbeitsorganisation – durch Gruppenarbeit zum Beispiel – eine ganzheitliche Umsetzung und auch Aneignung neuer Techniken zu ermöglichen. Das heißt, nicht nur neue technische Belastungen den Redakteurinnen und Journalisten – etwa bei Digitalisierung – aufzulasten. Also die Zusammenarbeit zwischen Technik und Redaktion fördern. Das Produkt ist ja auch ein Ganzheitliches. Es mag sein, daß ich in den eigenen Reihen nicht überall Zustimmung finde, aber wenn man den letztgenannten Gedanken ernst nimmt, wird man vielleicht auch hier und da über neue Gehaltsstrukturen nachsinnen müssen. Das ist auch eine Anforderung, die sich an die Gewerkschaften richtet, was ihre internen Überlegungen zur Fortentwicklung von Arbeitsverhältnissen angeht.“
Manfred Stolpe
(Ministerpräsident, Brandenburg)
„Da wird eine Stimmung aufgebaut, die alles an den Kosten messen will. Wenn wir im öffentlichen Dienst so anfangen würden, müßten wir ihn eigentlich abschaffen – was erwirtschaftet er schon direkt?“
„Wenn wir uns einig sind, daß der öffentlich-rechtliche Rundfunk unverzichtbar ist, dann darf die Kostenfrage nicht der entscheidende Kostenfaktor sein.“
„Es lohnt, darüber nachzudenken, welche Kosten zum Beispiel durch Werbesuperlative anfallen – ich habe gelernt, daß alle Werbekosten oben beim Verbraucher wieder draufgeschlagen werden.“
Debatte
Günter von Lojewski
„Zu Herrn Hensche möchte ich sagen: Wir haben eigentlich keinen Dissens. Aber für mich als Leiter eines kleinen Hauses gilt, daß wir kein Arbeitserhaltungs- oder Arbeitsbeschaffungsprogramm sind.“
Detlef Hensche
„Lassen Sie mich mal den Begriff aufspießen, der uns seit zehn Jahren so munter von den Lippen geht – das duale System: Alsobeseine prästabilierte Harmonie zwischen öffentlich-rechtlichem und dem Kommerzfunk gäbe. Im Klartext: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bekommt Gebühren, damit er ein nständigesProgrammmacht,der Privatfunk macht ein Programm, damit er Geld einspielt.“
Jobst Plog
„Mit dem Begriff der Verflachung vorsichtig umgehen.“
„Wir sind doch kein Arbeiterbildungsverein.“
Dieter Stolte
„Ich kann mir nicht vorstellen, daß es zwei Unternehmen hinnehmen wollen, 16 Ministerpräsidenten auf Kreuz zu legen.“
Mann aus dem Publikum
(zu Stolte) „Das ehrt Sie sehr. Ich wäre da skeptischer. Es gibt genug Beispiele dafür, wie wirtschaftliche Interessen mit ziemlicher Brutalität und Gnadenlosigkeit über politische Rücksichtnahmen hinweggehen.“
Schlußrunde
Frage an das Podium von Christiane Reymann: „Haben Sie zum Verhältnis Gewerkschaften – Rundfunkanstalten einen neuen Aspekt gefunden?“
Dieter Stolpe
„Auf einem streitigen Wege in enger Kooperation die Probleme angehen.“
Detlef Hensche
„Ich werde gleich im Zug noch mal nachgrübeln.“
„Ich sehe uns Arm in Arm, wenn es darum geht, gegen die Politik den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu verteidigen.“ „Das war ein Podium auf der Suche nach dem Gegner.“
„Programm ist Menschenwerk. Dieses zu pflegen, setzt andere Formen der Arbeitsorganisation voraus. Selbstkritisch gesagt, setzt das auch eine Reform des Tarifvertrages voraus. Da begeben wir uns in die tendenzielle Konfliktzone.“
Jobst Plog
„Tarifverhandlungen führt man im ganz kleinen Kreis, das kann man nicht auf einem Podium machen.“
Zoe Lanara
„Politiker waren europaweit noch nicht in der Lage, den einzelnen Anstalten Instrumentarien in die Hand zu geben, um die schönen Worte auch ausfüllen zu können.“ „Die Euphorie der schönen, neuen Welt ist vorüber.“
„Wenn man die Europäische Kommission nicht verstärkt dazu bringt, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu unterstützen, mag er zwar überleben, aber er wird eher wie ein aussterbender Dinosaurier im Jurrasic-Park seine letzten Tage fristen.“
Dieter Stolte
„Es mag die IG Medien freuen, daß es insbesondere ihre organisierte Mitarbeiterschaft ist, die bei der Lösung innerbetrieblicher Probleme einen sehr hohen Sachverstand, ein hohes Verantwortungsgefühl einbringt, um das Unternehmen wettbewerbsfähig zu machen.“
Veronika Pahl
„Ich möchte nicht mit Detlef Hensche in Konkurrenz treten, wer die sachverständigeren Mitglieder hat.“ „Ab morgen werde ich fordern, daß der Chip in öffentliche Eignerschaft gehören muß.“ (Zur d-Box-Software)
„Die Gewerkschaften müssen die Gebührendebatte ,veröffentlichen‘ – daß jedes Gewerkschaftsmitglied, überhaupt das Publikum weiß, wie wichtig es ist, etwas mehr an Gebühren zu bezahlen. Die Politik ist geradezu altruistisch an dem Spareffekt für Steuerzahler interessiert.“
Günter von Lojewski
„Ich bin dankbar, daß es gelungen ist, zumindest einen Ministerpräsidenten verschärft zu sensibilisieren.“ „Ich bin Detlef Hensche dankbar, daß er es zugelassen hat, daß diese Veranstaltung gewissermaßen umfunktioniert wurde – wir haben wenig über die inneren Reformen gesprochen, sondern vielmehr über das gemeinsame Außenverhältnis. Hierbei teilen wir eine Grundüberzeugung.“
Christiane Reymann
„Bei soviel Leidenschaft muß etwas Gemeinsames herauskommen.“
- Zitate nach dem Veranstaltungsmitschnitt ausgewählt von Günter Frech.