Rechtswidrige Online-Nutzung journalistischer Texte mit Hilfe von dju-Honorarempfehlungen geahndet
In Hamburg ist ein Journalist erfolgreich gegen die rechtwidrige Internet-Nutzung seiner Texte vorgegangen. Das Oberlandesgericht (OLG) verurteilte einen bekannten Fachzeitschriften-Verlag zu einer Schadenersatzzahlung von knapp 15.000 Euro (OLG Hamburg, U.v. 27.6.2012, Az. 5 U 29/10 (Revision nicht zugelassen) LG Hamburg, U.v. 12.2.2012, Az. 308 O 619/08). Damit wurde das Urteil des Landgerichts Hamburg (LG) bestätigt und noch verschärft. Für die Berechnung des Schadenersatzbetrages legten die Gerichte Honorarempfehlungen der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di von 2005 zugrunde. Die Urteile geben damit wertvolle Praxishinweise zur Schadensberechnung in diesen leider typischen Fällen von Urheberrechtsverletzungen.
Der Wirtschaftsjournalist hatte dem verklagten Verlag, der unter anderem eine Vielzahl an branchenspezifischen Fachzeitschriften herausgibt, verschiedene, populär gehaltene Fachaufsätze zu Steuerthemen angeboten. Der Verlag veröffentliche die Artikel in einzelnen Ausgaben seiner Fachzeitschriften, und nachfolgend, stark gekürzt und teilweise ohne den Journalisten als Autor zu nennen, auf verschiedenen von ihm betriebenen Themenportalen im Internet.
Die Parteien stritten zunächst darüber, ob die Rechteeinräumung nur den Abdruck der Aufsätze in den Print-Ausgaben der Fachzeitschriften des Verlags umfasste, oder ob der Verlag auch das Recht für die Online-Nutzung erworben hatte. Bereits das LG Hamburg verneinte dies sehr deutlich: Ausdrücklich habe der Kläger nur die Print-Nutzung erlaubt. Daher sei nach der im Urheberrecht geltenden „Zweckübertragungslehre“ (vgl. § 31 Abs. 5 UrhG) davon auszugehen, dass weitere Nutzungsrechte (Nutzungsarten) nicht eingeräumt worden seien. Damit war die Online-Nutzung der Beiträge durch den Verlag rechtswidrig.
Das LG erkannte auf ein fahrlässiges, und sogar auf ein „in hohem Maße leichtfertiges“ und damit „grob fahrlässiges“ Handeln des Verlags. Dieser hätte bei gebotener Sorgfalt erkennen können, dass er nicht zur Online-Nutzung der Texte berechtigt war, insbesondere weil er als Verlag einen Großteil seines Geschäfts mit der Nutzung urheberrechtlich geschützter Leistungen betreibt. Daher schuldete der Verlag dem Autoren auch Schadensersatz, den das LG – bestätigt vom OLG – unter Bezugnahme auf die dju-Honorartabellen im Wege der sogenannten Lizenzanalogie-Berechnungsmethode bestimmte. Damit handele es sich zwar um einseitige Vergütungsvorstellungen eines Interessenverbandes, denen mit Zurückhaltung zu begegnen sei, betonte das LG. Aber auch aus einer Vielzahl von Rechtsstreitigkeiten sei dem Gericht bekannt, dass die Empfehlungen einen brauchbaren Überblick darüber vermittelten, wie in der Praxis ganz unterschiedliche Nutzungsarten und -intensitäten quantifiziert werden und sich in Relation zueinander verhalten. Gerade auch im Hinblick auf die Höhe der empfohlenen Honorare seien dem Gericht Lizenzverträge und Vergleiche bekannt, die der Höhe nach im Rahmen der Empfehlungen liegen.
Nach Ansicht des OLG ist die Heranziehung der dju-Honorarempfehlungen als Berechnungsgrundlage – wogegen sich der verklagte Verlag heftig gewehrt hatte – nicht zu beanstanden. Das LG sei zutreffend verfahren, in dem es „unter Würdigung aller Umstände in freier Überzeugung“ die dju-Honorare zum Ausgangspunkt seiner Schadensermittlung gemacht habe. Ebenfalls bestätigt hat das OLG die konkrete Berechnung der Schadenersatzsumme durch die Vorinstanz. Demnach handelt es sich mit den rechtswidrigen Nutzungen der Texte im Internet um Online-„Erstnutzungen“ gegenüber der gestatteten Printnutzung und die Texte waren als „Fachaufsätze“ einzustufen. Aufgrund der monatlichen Visits auf den Portal-Seiten der Beklagten bis 50.000 waren daher 1.8 Cent je Zeichen (einschließlich Leerzeichen) zu vergüten.
Anzahl der Internetseiten maßgeblich
Nach Auffassung von LG und OLG war zur Bestimmung der maßgeblichen Zeichen-Anzahl auf die von dem Verlag für die Online-Nutzung stark gekürzten Texte abzustellen („konkrete Verletzungsform“), und nicht auf die deutlich umfangreicheren Originaltexte des Klägers. Die sich daraus ergebenden „Grundlizenzen“ waren sodann für das erste Nutzungsjahr auf 500% zu erhöhen und für die weiteren Nutzungsjahre waren jeweils 5% der Grundlizenz zu addieren. Die so ermittelten Lizenzen decken die Nutzung in jeweils einem Online-Auftritt des Verlags ab. Da die Aufsätze von dem Verlag aber auf mehreren Portalen genutzt worden waren, waren dafür weitere Lizenzgebühren zu addieren, und zwar obwohl die Texte (angeblich) nur auf einem Speicher abgelegt waren. Maßgeblich ist allein die Anzahl der Internetseiten, auf denen veröffentlicht wurde. Für diese weiteren Nutzungen setzten die Gerichte den dju-Empfehlungen folgend 50% des Ersthonorars an.
Anders als noch das LG sprach das OLG dem klagenden Journalisten zudem einen sogenannten Verletzerzuschlag von 100% zu, insoweit der Verlag ihn in seinen Internetauftritten entgegen § 13 UrhG nicht als Autor der Texte genannt hatte. Denn dadurch ist dem Journalisten entsprechende Werbewirkung entgangen, die auszugleichen ist. Insgesamt waren dem Kläger daher knapp 15.000 Euro für die rechtswidrige Nutzung von Auszügen aus vier seiner Texte auf neun Internetportalen zuzusprechen, und zwar obwohl die Texte dort (angeblich) nur ca. 100 Mal „angeklickt“ worden seien. Dieses Verwendungsrisiko liege allein beim Verlag, meinte das Gericht.
Das klare Bekenntnis der Hamburger Gerichte zu den dju-Honorarempfehlungen als Berechnungsgrundlage und ihre Hinweise zur konkreten Berechnung von Schadensersatzbeträgen bei rechtswidrigen Nutzungen journalistischer Texte ist ausgesprochen relevant für die Praxis bei derartigen Urheberrechtsverletzungen. Die Hamburger Richter haben sich weitgehend festgelegt. Das schafft Rechtssicherheit, zumal ein betroffener Journalist auch dann Klage in Hamburg erheben kann, wenn weder Kläger noch beklagter Verlag dort ansässig sind. Denn in „Internetfällen“ findet die maßgebliche Rechtsverletzung überall dort statt, wo der rechtswidrig genutzte Text bestimmungsgemäß aufgerufen werden kann, also auch in Hamburg. Überall dort kann nach § 32 ZPO, dem sog. „fliegenden Gerichtsstand“, Klage erhoben werden.
Rechtsanwalt Dr. Urs Verweyen, Berlin,
KVLEGAL (www.kvlegal.de).
Der Autor hat das Verfahren für den klagenden Journalisten geführt
Honorare:
„Honorare Text + Foto 2005 für freie Journalisten/innen“ der dju
http://dju.verdi.de/tarif/tarifvertraege/data/dju-Honorarempfehlung%202005.pdf
Vergütungsverhandlungen
Im Jahr 2003 begannen die nach dem neuen Urhebervertragsgesetz möglichen und geforderten Verhandlungen über Gemeinsame Vergütungsregeln für Texte und Fotos freier Journalistinnen und Journalisten in Tageszeitungen und Zeitschriften. In diesem Zeitraum wurden zuletzt 2005 die Honorarempfehlungen der dju herausgegeben, auf die sich das Gericht bezieht – zu Recht.
Denn einen Abschluss für angemessene Honorare an Zeitschriftenverlagen gibt es noch immer nicht, die Verhandlungen dauern an. Allein für hauptberufliche Journalisten an Tageszeitungen sind seit dem 1. Februar 2010 „Gemeinsame Vergütungsregeln“ in Kraft – und werden nur sehr zögerlich umgesetzt.
Die Verhandlungen über Fotohonorare an Tageszeitungen befinden sich im Schlichtungsverfahren.