Freie Hörfunkmitarbeiter auf der Suche nach dem Ausfallhonorar
Nach dem politischen Machtwechsel in Berlin steht die Fusion von SFB und ORB bis zum Jahr 2004 auf der Tagesordnung. Die Geschwindigkeit, mit der dieser Schritt vollzogen werden soll, löst bei den Beschäftigten vor allem Ängste um ihre Arbeitsplätze aus.
ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer lässt beinahe wöchentlich in Interviews erkennen, dass er bereit ist, die künftig fusionierte Anstalt zu leiten, und lobt sein Modell einer „schlanken Anstalt“, die sich vor allem durch die Beschäftigung zahlreicher „Freier Mitarbeiter“ auszeichnet. Der Umgang mit diesen „Freien Mitarbeitern“ ist aber nicht immer von der Fairness geprägt, wie sie in den Unternehmensleitlinien des ORB niedergeschrieben ist. Ein Beispiel dafür ist die Schulung der ORB-Hörfunkmitarbeiter in der digitalen Technik für das neu gebaute Radiohaus.
Das volldigitalisierte neue Radiohaus soll den vier Wellen „Antenne Brandenburg“, „Radio Eins“, „Fritz“ und „Radio 3“ als neues Domizil dienen. Der ORB hat für seine Hörfunkmitarbeiter ein umfangreiches Schulungsprogramm aufgelegt, dass von Trainern der Schule für Rundfunktechnik „SRT“ durchgeführt wird und bereits seit Mitte des Jahres läuft. Je nach Aufgabengebiet kommen für die einzelnen Mitarbeiter jeweils 6 Stunden Schulung an fünf bis zehn Tagen zusammen. Da sich der Umzug in das Radiohaus wegen Verzögerungen an der Baustelle bis zum Jahresende verschoben hat, wird bereits jetzt über eine Nachschulung oder „Auffrischung“ nachgedacht.
In einem Schreiben der Hörfunkdirektion zu den Schulungen hieß es: „Für die festangestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind Schulungszeiten Dienstzeiten, für die freien Kolleginnen und Kollegen gilt: Sie erhalten die Schulung kostenlos.“ Was sich wie ein freundliches Angebot des ORB an seine „Freien“ anhört, stieß bei den Betroffenen allerdings auf wenig Gegenliebe. Schon acht bis zehn Tage „kostenlose Schulung“ hinterlassen spürbare Einkommensverluste, manche „Freie“ sprechen von 30 bis 50 Prozent weniger Geld im Monat.
Einen organisierten Protest der „Freien“ gab es dennoch nicht, einzelne Bemühungen, zu einer gütlichen Regelung zu kommen, wurden von der Geschäftsleitung und den Chefredaktionen abgewiesen. In verschiedenen Schreiben bestritt die Geschäftsleitung, dass es überhaupt zu Einkommensverlusten bei den „Freien“ komme und verwies darauf, dass die Teilnahme an den Schulungen freiwillig sei. In internen Papieren für die Mitarbeiter des Jugendradios „FRITZ“ heißt es aber: „Wer an den Schulungen nicht teilnimmt, wird nicht mehr für „FRITZ“ arbeiten.“ Die Chefredaktion, so berichten Mitarbeiter, nahm zudem die Haltung ein, die „Freien“ seien „selbstständige Unternehmer“, „Dienstleister“ oder „privatwirtschaftliche Zulieferer“, deshalb komme eine Bezahlung für die Schulung nicht in Frage.
„Kostenlose Schulung als Beitrag zur persönlichen Wettbewerbsfähigkeit“
Diese Haltung verdeutlicht das Dilemma, in dem die „Freien Mitarbeiter“ beim ORB und bei anderen Anstalten stehen. Wie frei ist ein redaktioneller Mitarbeiter, der als sogenannter „Fester Freier“ (ein Widerspruch in sich) nur für den ORB arbeitet und dies theoretisch 365 Tage im Jahr machen darf? Oder welche Einkommensverluste erleidet ein „Freier Mitarbeiter“, der nur 6 Tage im Monat für den ORB arbeitet, um sich zu ernähren, aber unter ähnlichen Regelungen bei anderen Sendern, wie etwa beim SFB, tätig ist? Und schließlich, wie selbstständig ist ein „Freier Mitarbeitern“, der bei der Honorarabteilung als arbeitnehmerähnliche Person eingestuft ist und für den Urlaubs- und Krankengeld bezahlt und Sozialabgaben abgeführt werden?
Fragen, die die Geschäftsleitung des ORB ausblendet, und die eigentlich juristisch geklärt werden müssten. Aber wie lange arbeitet ein „Freier Mitarbeiter“ noch bei einem Sender, den er verklagt?
Neben der unklaren Situation der „Freien“ kommt bei ORB aber auch noch eine wenig freundliche Haltung der Chefredaktionen hinzu. Beim Landessender „Antenne Brandenburg“, so heißt es bei Mitarbeitern, habe es noch selten Widerspruch gegeben. Die Chefredaktion führe ein strenges Regiment und Mitarbeiter zitieren ihren Chef mit den Worten: „Wenn sie nicht unter meinen Bedingungen arbeiten wollen, können sie gehen.“ Ähnliches ist beim Jugendradio „FRITZ“ zu hören. Dort gab es ebenfalls Unzufriedenheit mit den „kostenlosen Schulungen“ und nach Angaben von Mitarbeitern zumindest den Versuch, ein Ausfallhonorar oder Ähnliches bezahlt zu bekommen. Intern soll der Personalchef des ORB zunächst Verständnis für die „Freien“ geäußert und ein Honorar in Aussicht gestellt haben: Er wurde aber wieder zurückgerufen. Die „FRITZ“-Chefredaktion verteidigte denn auch die Haltung der Geschäftsleitung und erklärte ihren „Freien“, der ORB leiste einen persönlichen Beitrag zu deren persönlicher Wettbewerbsfähigkeit und niemand würde gezwungen, beim ORB zu arbeiten. Auch hier zitieren Mitarbeiter ihren Chef mit den Worten: „Wer klagt, fliegt raus“ und „Ich habe kein Problem, auch 100 Leute zu entlassen.“ Dass dies keine leere Drohung war, erwies sich kurze Zeit später. Ein „Freier Mitarbeiter“ schaltete seinen Rechtsanwalt ein, der sich in einem Brief an die Hörfunkdirektion erkundigte, ob es nicht geboten sei, seinem Mandanten ein Honorar zu bezahlen. Die Antwort des ORB-Justitiars wiederholte die schon bekannte Formel, dass die Teilnahme an der angebotenen Schulung freiwillig sei, „sofern die freien Mitarbeiter/innen allerdings daran interessiert sind, auch künftig für den ORB-Hörfunk tätig werden zu können, müssen sie sich früher oder später die hier erforderlichen Qualifikationen beschaffen.“ Nennenswerte Einkommensverluste, so heißt es in dem Schreiben weiter, erleide der überwiegende Teil der betroffenen freien Mitarbeiter/innen nicht. Vielmehr habe der ORB für die Schulung seiner Mitarbeiter einen „erheblichen organisatorischen, personellen und finanziellen Aufwand.“
Exakt neun Tage nach dem Schreiben des ORB-Justitiars erhielt der „Freie Mitarbeiter“ ein Schreiben, das die Mitarbeit beendete. Der Betroffene zieht nun vor Gericht und berichtet über ein Gespräch mit seinem Chef, der unter anderem erklärte, „er habe sich ins Auge des Sturms vorgewagt.“
Bei „Radio EINS“ gab sich die Chefredaktion zwar versöhnlicher, konnte den „Freien“ aber auch nur anbieten, einen Ausgleich über Mehrarbeit zu finden. Nach Auskunft von Betroffenen ist dies jedoch bei einem Blick auf den Dienstplan und die Arbeitsverteilung nicht mehr als ein frommes Versprechen. Zudem plagen den Sender finanzielle Probleme, so dass etwa Nachrichtensprecher, die redaktionell tätig sind und O-Töne bearbeiten, weniger bezahlt bekommen, als ihre Kollegen bei anderen ORB-Wellen.
Freie als „bewegliche Positionen“
Wenig hilfreich in der ganzen Auseinandersetzung ist auch der Personalrat des ORB. Dies liegt aber vor allem an der Gesetzeslage, die eine Vertretung der „Freie Mitarbeiter“ durch den Personalrat nicht vorsieht. Allerdings muss auch gesagt werden, dass der Personalrat des ORB dem Schulungskonzept zugestimmt hat. Eine Situation, die die vorhandene Skepsis der „Freien“ gegenüber einer gewerkschaftlichen Vertretung ihrer Interessen nur fördert. Zwar gibt es gewählte „Freienvertreter“ im gewerkschaftlichen Verbandsvorstand beim ORB, doch haben diese keine rechtlich verbindlichen Möglichkeiten, ihr Anliegen auch durchzusetzen. Bei einem Sender, der in einigen Redaktionen 60 Prozent seiner Mitarbeiter als „Freie“ beschäftigt, ist das ein unhaltbarer Zustand.
Der ORB hat sich mit seinen Investitionen in neue Gebäude und digitale Technik sicher eine große Aufgabe gestellt, aber die Frage muss erlaubt sei, ob die eingeplanten Finanzmittel so knapp bemessen waren, dass die „Freien“ darunter leiden müssen. „Bewegliche Positionen“ heißt es bei den Betriebswirtschaftlern, gemeint sind „freie Mitarbeiter“, die den Hauptteil des Sendebetriebs im ORB-Hörfunk gewährleisten.
Das Modell „ORB“ steht in dem genannten Fall zudem ziemlich alleine da. Auf Nachfrage ist bei keiner ARD-Anstalt eine ähnliche Behandlung der „Freien“ festzustellen. Das „DeutschlandRadio“ in Berlin versuchte zwar ebenfalls eine „kostenlose Schulung“ in digitaler Technik für seine „Freien“ durchzusetzen, zahlte aber nach Protesten der Betroffenen drei Produktionstage als Ausfallhonorar. Bei andere Anstalten, wie dem fusionierten SWR, hieß es: „Selbstverständlich sei den ,Freien‘ für solche Schulungen ein Honorar bezahlt worden.“ Der ORB behauptete in einem Schreiben dagegen, auch der SWR und der ORF(!) hätten ihren „Freien Mitarbeitern“ bei den entsprechenden Schulungen nichts bezahlt.