15. Journalistentag 2001: Schnell, kompetent und mit Distanz

Berichterstattung über Katastrophen, Kriege und Terrorismus

„Die Welt nach dem 11. September 2001 – Macht und Ohnmacht der Worte und Bilder“ war das Thema des 15. Journalistinnen- und Journalistentages der dju in ver.di am 24. November in Dortmund.

Moderiert von Ulrike Holler vom Hessischen Rundfunk diskutierten Kuno Haberbusch, Redaktionsleiter von „Panorama“, Frank Bünte, Chefredakteur der „Westfälischen Rundschau“, Achim Tirocke, stellvertretender Chefredakteur von RTL, und Manfred Protze, dpa, zur „Berichterstattung über Katastrophen, Kriege und Terrorismus“.

Wir dokumentieren die Debatte in Auszügen (bearbeitet von Helma Nehrlich).

Ulrike Holler:

Seit dem 11. September müssen wir wieder misstrauisch gegenüber Bildern und Informationen sein. Ich will ein Zitat des ZDF-Chefredakteurs Brender an den Anfang stellen: „Das Bild ist in diesen Tagen zur Waffe geworden. Die Terroristen haben die Errungenschaften der Zivilisation benutzt, Flugzeuge und Bilder, um ihren Krieg zu führen. Wir in den Medien dürfen uns nicht in diese neue Kriegsform hineinziehen lassen. Wir müssen mit den Bildern so umgehen, dass wir nicht zum verlängerten Arm der Terroristen werden.“ Und auch nicht zum verlängerten Arm der staatlichen Propaganda. Aber wie geht man mit den Bildern um, wie mit den Informationen? Hat die Berichterstattung über die Katastrophe von New York, über Milzbrand oder auch den Krieg bei Ihnen die Quote erhöht?

Achim Tirocke:

An der Fragestellung merke ich, dass man RTL alles zutraut, quasi alles, nur nicht eine vernünftige und seriöse Berichterstattung. Dass die Quoten nicht ohne Einfluss waren bei dieser Berichterstattung, das will ich ja nicht bestreiten. Das haben wir so zu sagen billigend in Kauf genommen…

Wir hatten diese enorme Flut von Bildquellen, die dem Herrn Brender vom ZDF nun leider nicht zur Verfügung standen, das ist sein Pech. Aber wir haben nicht nur Verträge gehabt mit CNN, mit Fox, mit ABC, NBC … Es war eine riesige Flut von Bildern, die sehr schwer zu bewältigen war. Man konnte sich nicht immer die Frage stellen: „Woher kommen sie?“ Es waren alles Bilder aus New York oder Washington. Die Täter haben die Bilder als Waffe benutzt und wir haben sie, nolens volens, auch mit benutzt. Wir konnten uns dem nicht entziehen. Allerdings haben wir dann, nachdem wir uns, um mit dem Kanzler zu sprechen, auf eine „uneingeschränkte Berichterstattung“ eingelassen haben, so schnell wie möglich versucht, einzuordnen, Experten und unsere Reporter vor Ort zu befragen. Später haben wir noch mal strikteste Anweisung gegeben, dass jeder hinterfragen soll: Was sind das für Bilder? Woher kommen die? Sind die Quellen gesichert? Wir versuchten, zu den Informationen, die auf uns einstürmten, wieder auf Distanz zu gehen.

Ulrike Holler:

Ja, Distanz. Ein wichtiges Stichwort, das gilt auch für die Reporter vor Ort. Haben die überhaupt noch Zeit zu recherchieren?

Achim Tirocke:

Das Problem haben alle Korrespondenten in einem Kriegsgebiet. Sie kommen kaum zum Atmen, geschweige denn zum Schlafen. Die Informationen werden teilweise über die Redaktion wieder zurückgespielt an die Reporter vor Ort. Was man natürlich unbedingt machen muss, ist, einen Landeskundigen zu suchen, der bei der Recherche hilft, der Aufgaben abnimmt, die Tageszeitungen liest, die Radiosender hört und oft sozusagen den Branchenklatsch aufschnappt und weitergibt.

Die Reporterschaltungen sind zugegebenermaßen Krücken. Wir dokumentieren oder versuchen zu dokumentieren: „Wir sind dicht dran“. Aber jeder Profi weiß von den Arbeitsbedingungen vor Ort. Oft muss man kurz vor einer Schaltung per Handy zurückfragen: „Was ist der neuste Stand bei dpa oder bei AP oder bei Reuters?“.

Mit Schnelligkeit zum Quotenrekord

Ulrike Holler:

War ein wichtiges Motiv des Handelns auch, dass man als allererster auf dem Sender sein wollte?

Achim Tirocke:

Dass wir um 15.09 Uhr am 11. September auf Sendung waren, hat uns selber überrascht. Fakt ist, dass wir aus dem Stand heraus diesen Vergnügungsdampfer auf Information getrimmt haben. Da kann man zu Recht stolz drauf sein, dass uns das gelungen ist; dass wir diese Newskompetenz bei uns haben schlummern lassen und sie dann abgerufen haben. Aber ob erster oder zweiter … An diesen Gefechten, die es hinterher gibt, beteilige ich mich nicht.

Kuno Haberbusch:

Es ist schon wichtig, wer als erster drauf ist. Sie waren überrascht, dass es bei Ihnen so schnell ging. So überrascht, dass es sofort danach eine Presseerklärung gab: „RLT war am schnellsten“. Das heißt, man legt schon Wert drauf und verkauft es nachher – genauso beim Flugzeugabsturz in Queens, da gab es ja auch die Pressemitteilung: „RTL war am schnellsten drauf“. Das ist auch in Ordnung an einem solchen Tag. Und natürlich schau ich dann in unseren Informationskanal ARD und denke, wann kommen die endlich in die Hufe? Manchmal war ich aber ganz froh, dass wir nicht so schnell drauf waren, dafür ein bisschen abgewogener. Solche Diskussionen speziell am 11. September und den Folgen festzumachen, ist bisweilen ein wenig scheinheilig.

Was mir nur auffällt ist, der 11. September war ein Tag der Emotionen. Man war den Bildern erlegen. Bei dem, was danach kam, da gibt’s zwischen den Sendern schon Riesenunterschiede. Seither liefen im Ersten ungefähr 40 bis 45 Dokumentationen und Features, die Hintergründe beleuchteten, lange Reportagen. Bei den Privaten habe ich nichts mehr gesehen. Das ist natürlich dann die Stärke der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Das werfe ich RTL nicht vor. Die arbeiten nach anderen Gesetzen.

Ulrike Holler:

Wie gehen Sie mit der Frage um, ob man Handlanger wird?

Kuno Haberbusch:

Das ist immer so schön gesprochen. Nur, nüchtern gefragt, wo ist denn die Alternative? Hätten wir an einem solchen Tag gewusst, dass die Terroristen bewusst diese Verzögerung mit dem Einschlag in die zwei Türme gemacht haben, weil sie einkalkulierten, nach 20 Minuten ist weltweit jede Station auf Sendung, hätten wir deshalb sagen sollen, wir lassen uns nicht missbrauchen und gehen nicht drauf? Absurd.

Im Nachhinein allerdings sollte man etwas kritischer rangehen.

Da gibt’s ein paar Beispiele: Ein Bild am 11. September ging durch alle Stationen, auch bei uns: diese jubelnde Palästinenser-Frau als Beleg dafür, dass in der ganzen Welt die Palästinenser sich freuen. Mit zeitlicher Distanz weiß man, dass diese Bilder in Wirklichkeit nicht das gewesen sind, wofür sie überall verkauft worden sind. Ich höre dann gern Appelle von gewerkschaftlichen Organisationen, man solle bitte seriös bleiben, und sich nicht zum Werkzeug machen lassen. Nur, in der praktischen Arbeit, wenn mitunter 16 Stunden am Stück geknüppelt werden muss, da sieht man ein bisschen weniger, macht Fehler…

Manfred Protze:

Ich kann nicht behaupten, dass die Medien generell zu sorglos mit den Quellen umgehen, weil, es gibt ja auch nicht die (!) Medien, sondern es gibt solche und solche. Und es gibt Journalisten, die ihre Professionalität entwickelt haben und die sie zudem ergänzen durch die ethischen Bezüge, die ihre Arbeit hat. Wir können nicht auf der einen Seite die Atemlosigkeit und das mangelnde Nachdenken durch Beschleunigung zu Recht beklagen und andererseits die Ansprüche überziehen, indem wir am Tag nach dem Ereignis bereits den gesamten Hintergrund präsentiert haben wollen. Aber, es gab wenige Tage nach dem Anschlag bereits in der Frankfurter Rundschau einen sehr nachdenklichen Beitrag eines New Yorker Autors, der unter der Überschrift „Warum ziehen wir soviel Hass auf uns?“ sehr selbstkritisch öffentlich nachgedacht hat. Das ist nur ein Beispiel. Was die Sorgfalt anbetrifft bei der Auswahl und bei der Dokumentation der Quellen, da haben wir im Golfkrieg einiges gelernt.

Wir sollten als Ausdruck unserer Professionalität weiter misstrauisch bleiben, und zwar jedem gegenüber. Und wir sollten vor allen Dingen auch aufmerksam bleiben für alles das, was sich unter dem dominanten Thema „11. September und Folgen“ abspielt; ich bin fest davon überzeugt, es gab nicht nur nach dem Zusammenstürzen der Türme in New York Plünderer, die sich in den Untergeschossen des WTC bereicherten. Es wird auch weltweit Heuchler und Plünderer geben, die die Situation nutzen, um anderswo unter dem Schutzschirm des Anti-Terror-Bündnisses ihre schmutzigen Geschäfte zu betreiben.

Wird zu wenig hinterfragt?

Ulrike Holler:

Collin Berry vom AP-Auslandsdienst, die eigentlich heute hier auch sitzen sollte, hat in den Vorgesprächen gesagt, die Journalisten und Journalistinnen in der Bundesrepublik seien ihr nicht aggressiv genug. Die Frage: Hat eine Zeitung den Ehrgeiz, an das heranzukommen, was man offiziell nicht merkt oder dargeboten bekommt?

Frank Bünte:

Der Ehrgeiz auch der Regionalzeitung ist sehr groß, die Informationen so breit wie möglich ins Publikum zu geben, nur die Mittel sind natürlich sehr begrenzt. Wir waren schon außerordentlich froh, dass uns der Verlag nach dem 11. September statt eineinhalb Seiten Politik täglich drei bis vier gegeben hat. Das war für uns schon eine enorme Erleichterung. Wenn es darum geht, die Quellen des Terrorismus zu ergründen, in arabischen Ländern, in Pakistan oder in Afghanistan, sind unsere Mittel natürlich äußerst begrenzt. Das einzige, das wir mobilisieren konnten, war der Moskauer Korrespondent, der sich eine Woche lang in Pakistan, gesponsert von der Nordallianz, aufgehalten hat und uns Situationsberichte aus dem Lager der Nordallianz geliefert hat. Eine äußerst begrenzte Sicht auf die Dinge in Afghanistan.

Ulrike Holler:

Sagen Sie Ihren Leserinnen und Lesern, woher das Material stammt?

Frank Bünte:

Wir haben das länger diskutiert. Man kann es so machen wie die Frankfurter Rundschau, die jeden Tag die Leser noch mal drauf hinweist. Alles, was wir präsentieren aus dem Afghanistankrieg, ist von begrenzter Haftung für uns. Wir können für den Wahrheitsgehalt dieser Nachrichten nicht garantieren. Ich denke, die Leser sind seit der Diskussion um den Golfkrieg genügend informiert darüber, was den Nachrichtenwert, was die Objektivität unserer Berichterstattung anlangt.

Ulrike Holler:

Ist es vertretbar, dass Korrespondenten gesponsert werden von der Nordallianz? Andere sind auf dem Taliban-Ticket gereist oder verkleiden sich als Mudschaheddin. Alle begeben sich auch in bestimmte Abhängigkeiten. Färbt das ab?

Achim Tirocke:

Diese Fragestellung kann ich eigentlich nur schwer nachvollziehen. Ich weiß, auf welchem Weg unser Reporter von Moskau zum Beispiel nach Nordafghanistan gekommen ist. Mit einem Hubschrauber der Tadschiken. Deswegen wäre uns aber nicht im Traum eingefallen, jetzt positiv über Tadschikistan zu berichten.

Kuno Haberbusch:

In wessen Obhut man sich befindet, zu dem entstehen zwangsläufig, ich will jetzt nicht sagen Abhängigkeiten, aber Beeinflussungen. Und wenn jemand mit Taliban-Visum plötzlich als einziger durch Kabul reisen darf, da müssen Sie sich natürlich schon Fragen stellen: Wie kommt man an ein solches Visum ran, an das andere seriöse Journalisten nicht kommen? Und wenn man dann im Geleitzug der Nordallianz dahin kommt, das beeinflusst schon die Berichterstattung. Jetzt kommt aber wieder die Frage nach den Alternativen. Unter Umständen würde die heißen: überhaupt nicht vor Ort zu sein. Das ist keine Alternative.

Mich macht etwas anderes unruhig: Ich weiß, dass gerade jetzt in Kabul ziemlich viele Journalisten sind, hauptsächlich Freie, die möchten dringend raus. Sie haben Angst. Und das kann ich sehr, sehr gut verstehen. Jetzt sitzen sie da, bekommen Flüge angeboten, angeblich von der UN, für 2500 Dollar. Sie kommen aber nicht raus, weil sie diese Dollar nicht haben. Da drängen sich mir ganz andere Fragen auf: Wer geht eigentlich in eine solche Katastrophengegend? Ich muss von Leuten, die für bestimmte Zeitungen, Anstalten arbeiten, erwarten, dass die mit der entsprechenden Logistik dort sind, alles andere wäre verantwortungslos. Das fängt bei Technik an, schließt gewisse Sicherheitsmaßnahmen ein. Sonst verkommt Kriegsberichterstattung zum Ausflugstripp von Abenteuerurlaubern.

Ulrike Holler:

Wir müssen auch darüber diskutieren, ob wir genügend recherchieren …

Manfred Protze:

Wir haben durch die Vielzahl der Medien, die untereinander im Wettbewerb stehen, eine rasante Beschleunigung aller Prozesse in diesem Metier. Es ist im Wettbewerb häufig wichtiger, zu einem fest disponierten und möglichst schnellen Zeitpunkt leeres Stroh zu dreschen, als eine viertel Stunde später das volle Korn zu liefern. Es werden Sendeformate gefüllt, aber nicht nach dem Gesichtspunkt „wieviel steckt drin?“. Ich will noch was zum Thema „risikobehafteter Einsatz“ sagen und komme auf das Stichwort „Deklarationspflicht“ zurück: Die Berichterstatter, unsere Kolleginnen und Kollegen, sollen nicht ihr Leben und ihre Gesundheit riskieren, sie sollen uns aber sagen, was sie wirklich sehen und sollen dazu sagen, was sie nicht sehen.

Als letztes: Die Sprache der Berichterstattung wird häufig unterschlagen: Es macht doch einen Unterschied in diesem Propagandakrieg, ob ich den Einsatz einer Bundeswehreinheit als Beitrag zur Operation „Enduring Freedom“ bezeichne, als Beitrag zum „Anti-Terror-Krieg“ oder als „Beitrag zum Anti-Terror-Kampf“. Jede dieser Varianten transportiert eine bestimmte Position. Und wenn sie hundertfach und tausendfach jeden Tag transportiert wird, dann wirkt das auch. Das ist wie eine faktische Gehirnwäsche. Es ist Professionalität bei Journalisten und bei Medien, dass sie sich dieser Wirkung erstens bewußt sind und zweitens ihre eigene Berichterstattungssprache daraufhin abklopfen, ob sie unkritisch vorgegebene Begriffe übernehmen und ständig wiederholen.

Gefilterte Informationen

Frank Bünte:

Ich denke, die Journalisten in Deutschland sind, spätestens seit Sebnitz, keine unschuldigen Knaben mehr. Sie wissen, wie stark die Verlockungen sind, in den Herdentrieb abzuwandern. Das sollte man sich immer im Bewusstsein halten. Und wenn ich sehe, was das Pentagon uns fast täglich geliefert hat: „Der Angriff war erfolgreich“. Das Wort „erfolgreich“ kam immer wieder vor, das ist ja an Dürftigkeit nicht zu überbieten. Dann waren wir natürlich dankbar, wenn wir an dem Tag eine Nachricht hatten von einer Familie, die ausgebombt war. Dann mussten wir noch die Quellen untersuchen, die die pakistanischen Nachrichtenagentur oder Al Djasira uns dann präsentierte, und wir waren natürlich nicht sicher, ob wir das so für bare Münze nehmen konnten. Uns blieb dann nur, beide Positionen, den „erfolgreichen Schlag“ des Pentagon und die Betroffenheit einer Familie, nebeneinander zu stellen.

Ulrike Holler:

Der Krieg. Wir sehen keine Opfer, wir sehen keine Toten. Auch die Amerikaner haben nach dem Fall der Türme alle Schreckensbilder, wo man Tote hätte sehen können und verletzte Menschen, aus dem Material rausgeschnitten. Wie gehen Sie damit um, dass wir solche gefilterten Bilder bekommen, wo Krieg überhaupt nicht mehr als Krieg erscheint?

Kuno Haberbusch:

Also, es gab in der Tat eine Übereinkunft bei den amerikanischen Networks, keine Toten zu zeigen. Und deshalb sind auf dem deutschen Markt, soweit ich das überblickt habe, in der Tat auch keine Toten gewesen. Da gab es dann eines Tages Aufnahmen aus Kabul über tote Kinder, die schön aufgebahrt lagen, entsetzliche Bilder, die nie ausgestrahlt wurden, aber allen Agenturen zur Verfügung standen. Wir haben sie zwar dann ausgestrahlt mit der Frage: Handelt es sich hier um Propagandamaterial, wie die Amerikaner behaupten, oder um authentisches Material? Aber die grundsätzliche Frage: Müssen wir, um zu zeigen, was Krieg ist, unbedingt die Leichen präsentieren? Da läuft mir auch so ein Schaudern über den Rücken. Soll man um 20.00 Uhr Leichen zeigen, um zu sagen, „Leute, es ist schrecklich“. Ich habe kein abschließendes Urteil.

Achim Tirocke:

Es gibt ja Bilder von Opfern. Bei der so genannten Befreiung von Kabul haben wir sie ja gesehen. Wenn nämlich die Taliban-Verdächtigen gefoltert, misshandelt werden. Wir haben sie gesehen, wir haben sie aber nicht gezeigt. Da kommt natürlich auch wieder etwas anderes ins Spiel: Die Frage, was kann man verantworten. Wir haben auch das Thema Jugendschutz zum Beispiel zu beachten. Ich kann jetzt nicht zeigen, wie ein Taliban-Kämpfer dort getreten, gesteinigt, blutig geschlagen und am Schluss erschossen wird. Kann ich nicht zeigen.

Kriegsschauplätze sind kein Ort für Abenteurer

Renate Gensch (Auditorium):

Ich war eigentlich entsetzt, wie die Verantwortlichen sowohl in öffentlich-rechtlichen als auch in privaten Redaktionen damit umgehen, wenn Kollegen in Kriegs- und Krisengebiete geschickt werden. Gestern im Frühstücksfernsehen berichtete der ARD-Kollege aus Kabul über seine Situation. Er zeigte seine eigenen Befindlichkeiten und erklärte auch, dass er nicht darauf vorbereitet gewesen sei, dorthin zu kommen. Und da spielte auch eine Menge Kritik an der eigenen Sendeanstalt mit. Er sprach von Bundeswehrseminaren, die man hätte belegen können. Dann war Herr Pleitgen zu sehen. Auf die Frage des Moderators meinte er, dass der Kollege vor Ort wohl überfordert sei. Man sollte doch überlegen, die erfahrenen Journalisten hinzuschicken. Ich fand das skandalös, weil im Grunde genommen damit dem Korrespondenten unterstellt wurde: „Du schaffst das nicht, Du hast da soviel Druck, also Dich können wir da nicht mehr hinschicken“ Ich habe das persönlich auch in meiner eigenen Zeitung erlebt, von einem Kollegen, der im Kosovo-Einsatz war. Er war danach, ich glaube jetzt immer noch, in Behandlung, weil er das nicht verkraftet hat. Es wird viel zu wenig für die Kollegen getan, sie darauf vorzubereiten und sie nach solchen Einsätzen zu betreuen.

Klaus Below (Auditorium):

Ich habe das auch gesehen. Der Kollege Osterhage, der vom MDR Leipzig entsandt worden ist, hat, so weiß ich inzwischen, keinerlei Vorbildung und Erfahrung, was Kriegsberichterstattung betrifft. Ich war auch entsetzt, aber nicht über dieses – jetzt sag‘ ich mal Outing – sondern entsetzt und ungeheuer voll Mitleid. Dieser Kollege hat nämlich furchtbar viel Angst gehabt.

Der zweite Punkt: Richtig ist, es sollten in dieser Situation nur noch Kollegen losgeschickt werden, die ähnliche Seminare, wie sie von der Bundeswehr angeboten werden, besucht haben. Ob das alles richtig ist, was man da lernt – ich hab‘ das selber mal gemacht – darüber will ich jetzt nicht reden. Kriegsberichterstattung oder Kriegsplätze sind keine Orte für journalistische Abenteurer.

Ich möchte daran erinnern, dass der Auslösefaktor für die Bombardierung von Jugoslawien seinerzeit ein Foto war, von Serben hingerichtete UCK-Kämpfer. Ich war vor Ort. Ich habe das selber gefilmt. Wir haben Ausweise von UCK-Kämpfern neben diesen Toten gefunden. Tatsächlich waren das Zivilisten, von UCK-Leuten in Uniformen gesteckt … Dieses Foto ist mit Schuldzuweisung seinerzeit Auslöser gewesen für den von Herrn Scharping und von Herrn Fischer zitierten sogenannten „gerechten“ Krieg.

Kuno Haberbusch:

Der Auftritt des Kollegen Osterhage – wenn es noch einen Rest an Fürsorgepflicht gäbe, müsste die ARD ihn sofort zurückholen. Dieses wird nicht passieren, da bin ich mir sicher. Je nachdem, wo in der Welt eine Krise aufbricht, guckt die ARD auf die Landkarte, welcher Sender zuständig ist, weil die Welt aufgeteilt ist in der ARD. Afghanistan und Umgebung sind, warum auch immer, dem MDR zugeschlagen. Und so ist plötzlich der MDR zuständig für den Krieg in Afghanistan. Wir haben ja in der ARD Kollegen, die mit solchen Situationen sehr gut umgehen könnten, weil sie Balkan-erprobt sind wie Thomas Roth. Nur, der darf ja nicht hin, weil sein Sender, der WDR, ist nicht zuständig. Das führt zu absurden Situationen. Ich sage aber auch dazu, eine Kollegin von meiner eigenen Redaktion, die hat erlebt, wie gerade solche Kollegen, die ein gewisses Platzhirschdomizil haben, nach dem Motto reagieren: „Jetzt kann ich groß rauskommen, das ist meine Region“.

Franz-Josef Hanke (Auditorium):

Ich finde es ein bisschen billig, wenn nur gesagt wird, dass die freien Journalistinnen und Journalisten natürlich auch verantwortlich für sich selber seien. In dem Moment, wo Aufträge verteilt werden, sehe ich auch den Auftraggeber in einer gewissen Pflicht. Es kann nicht angehen, und solche Fälle sind mir bekannt, dass Freie in Kriegsgebiete fahren und nachher nach dem mehr oder weniger üblichen Zeilensatz honoriert werden. Der Auftraggeber schert sich einen Dreck darum, was den Kollegen dort wiederfährt. Und wenn sie dann erfolgreich zurückgekommen sind, werden sie gefragt, ob sie nicht in den nächsten Krisenherd fahren wollen. Zweitens: Ausbildung bei der Bundeswehr. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem Kollegen, der darüber berichtet hat. Zehn Prozent der Teilnehmer dieser Ausbildung, die sowohl für Soldaten als auch für Journalisten angeboten wird, kommen mit psychischen Schäden raus. Die Frage ist zu stellen, ob das verantwortbar ist. Und die Frage ist zu stellen, ob man für einen Kriegseinsatz überhaupt vorbereitet werden kann. Schließlich ist zu fragen, wie wünschenswert es überhaupt ist, in Kriegsgebiete zu kommen.

Verantwortung und Kompetenz
Manfred Protze:
Wie gehen wir mit den Opfern um? Das ist nur kurz angerissen worden. Alle erinnern sich an das (!) Foto des Jahres in den 70ern, das uns die Grausamkeiten des Vietnam-Krieges zeigte, die öffentliche Hinrichtung eines Vietcong durch einen Offizier. Natürlich könnte man das auch unter dem Gesichtspunkt der Persönlichkeitsrechte des Opfers diskutieren oder dem der Wirkung solcher gewalthaltigen Bilder. Aber jedem leuchtet sofort ein – und die Geschichte hat das ja im Grunde genommen entschieden – dies war ein Beweisfoto. Ich denke, das ist eines der wichtigen Kriterien, an denen man entscheiden muss, ob es angemessen ist, Bilder von Opfern zu zeigen. Es erfordert auch dieses bestimmte Quantum an Zeit zum Nachdenken, von Verantwortung, um solche Entscheidungen treffen zu können. In einem Krieg, in dem eine kriegführende Partei behauptet, es gebe keine Opfer, weil die Waffen so wahnsinnig zielgenau konstruiert seien, können Opferfotos und Opferfilme hohen Beweiswert haben. Sie können diese Behauptung widerlegen.

Journalistische Praxis, das weiß jeder Lokalredakteur, kennt zwei Verantwortungen und die Hauptverantwortung liegt in der Regel bei der Redaktion. Es ist nicht der Fotograf, der die Entscheidung treffen sollte, was publiziert wird, sondern es ist die Redaktion, im Zweifelsfall der Chefredakteur. Jemand, der auf jeden Fall die nötige Distanz dazu hat. Ich kann nicht von einem Korrespondenten am Kriegsschauplatz erwarten, dass er, wenn er die Kamera aufmacht, bereits beurteilt, was unter ethischen Gesichtspunkten anschließend publiziert werden kann. Der muss erst mal Material sammeln, das ist sein Job.

Und als letztes, eine andere Frage der Opferbetrachtung: Wir haben zu Recht und mit emotionaler Beteiligung Abschied genommen, öffentlich, von den Opfern des Terroranschlags in New York und in Washington. Diese Opfer hatten ein Gesicht, wenn auch nicht im Foto, aber sie hatten Namen, es gab Berichte über ihre Biographien, über ihre Lebenssituation und Angehörigen. Mir fällt auf, dass die Opfer in den Feindesländern gar nicht vorkommen. Ich denke, wir sollten mal einen Moment innehalten und darüber nachdenken, ob es nicht auch da eine Form von Opferrassismus gibt in der Berichterstattung. Ich bin überzeugt, dass der Afghane, der bei einem Luftangriff als so genannter Kollateralschaden in einem Straßengraben endet, dieselbe Würde hat, wie jedes Opfer im World Trade Center.

Ulrike Holler:

Herr Bünte, Sie sind angesprochen worden in ihrer Verantwortung als Chefredakteur …

Frank Bünte:

Ich kann das mal ganz konkret machen. Für viele Zeitungen stand kurz nach dem Terroranschlag die Frage an, für wen organisieren wir eine Spendenaktion. Für die Feuerwehrleute? Da war ein starker Druck von den Feuerwehren vor Ort, die gerne sammeln wollten für die Feuerwehrleute. Oder für die Flüchtlinge in Afghanistan, deren Probleme da schon absehbar waren mit dem heraufziehenden Winter? Das sind praktische Fragen, die diese Frage der Gleichbehandlung der Opfer durchaus berühren. Wir haben das in Dortmund sehr paritätisch gelöst: Die eine Zeitung hat sich für die Feuerwehrleute eingesetzt, die andere für die Flüchtlinge.

Die Aufgabe der Journalisten ist auch – und das ist für uns in den Lokalredaktionen außerordentlich wichtig – nach diesem Terroranschlag auf die Muslime zuzugehen. Ein Muslim aus einer Gemeinde in Dortmund-Hörle, der uns das Zitat gibt – und wir nehmen das in die Überschrift: „Auch ich habe geweint über die Opfer des Terrors in den USA“ ist außerordentlich wichtig für die Integrationskraft unserer Gesellschaft. Da haben die Lokalredaktionen eine enorme Verantwortung, die haben sie auch sehr gut wahrgenommen bisher. Denn diese Diskussion vor Ort hatte sich dann sofort zugespitzt in dem Punkt, dass die neue Moschee in der soundso-Straße gebaut werden sollte, großen Widerstand bekam aus der Nachbarschaft. Es ist ganz wichtig, dass die Lokalredaktionen den Dialog herstellen zwischen den beiden Nachbarschaften.

Und das zweite: Im Zuge der Milzbrandgefahr bestand ja in der Bevölkerung auch hier in Deutschland die Neigung zu Überreaktionen und zu Hysterie. In dieser Situation haben die Medien generell eine wichtige Aufgabe aufzuklären. Und das kann auch eine Lokalredaktion machen, indem sie einfach vor Ort einige Ärzte interviewt oder auch mit Apothekern spricht.

Kuno Haberbusch:

Wenn die Frage „Müssen deutsche Journalisten sich auf Kriegsberichterstattung vorbereiten?“ mit einem „Eher nein!“ beantwortet wird, finde ich das zwar sehr sympathisch. Aber dann dürfen wir uns umgekehrt nicht drüber beschweren, dass wir nur Leute haben, die nicht damit umgehen können. Selbstverständlich ist zu hinterfragen, wenn da Leute mit psychischen Schäden aus diesem, ich sag jetzt mal Training, herausgehen… Ich hatte schon vier Leute in diesem Lager in Hammelburg, einfach, um nicht nachher verantwortungslos zu handeln, wenn ich sie in diese Regionen schicke. Man lernt dort bestimmte Verhaltensregeln, um sich selbst zu schützen, um damit umzugehen. Wenn andere Organisationen, z.B. Journalistenverbände, etwas Gleichwertiges anbieten könnten, wären wir dankbar.

Noch etwas: Wir haben uns jetzt bemüht, auch diese Täter vom
11. September, diese Terrorpiloten – das waren ja für uns nur die Monster – und deren Biographie zum Leben zu erwecken. Wie sind die aufgewachsen, wie konnte es dazu kommen? Wir haben acht Wochen lang sechs Leute drauf angesetzt. Die sind weltweit rumgerast, hatten das Privileg, in den Libanon zu reisen, in die Türkei, nach Kairo … Jetzt, leider etwas spät, wurde die Reportage im Ersten gesendet. „Die Todespiloten – aus dem Leben der Attentäter“. Die Rechercheure haben da plötzlich Fotos gefunden, Hochzeitsvideos, wo die auch mal lachen, haben ihre Umgebung vorgezeigt. Das ist aber ein Privileg, und deshalb warne ich ein bisschen davor. Wir fordern alle gründliche Recherche. 80 Prozent der Journalisten sind dazu nicht in der Lage, aufgrund der beschriebenen Umstände: Aktualität, Aktualität … Wir müssen dafür kämpfen, dass einige wenige dieses Privileg weiter haben.

Klaus Below:

Zu den Übungen mit der Bundeswehr in Hammelburg: Erstens hat jeder das Recht, aufzuhören, wenn es ihm zuviel wird. Zweitens: Die Realität, die sich in Krisengebieten vor Ort stellt, ist meist viel, viel grausamer und anders als dort in den Übungen.

Der nächste Punkt: Im letzten Jahr hat, ich glaube sogar, es war vom Deutschen Journalistenverband, eine Veranstaltung in München stattgefunden mit einem ähnlich gelagerten Thema. Und da war der Sprecher der Aktion im Kosovo dabei: Jamie Shea, Oxford-Professor für Geschichte, der jetzt ja offiziell bei der Nato in Brüssel ist. Der hat einen Satz gesagt, den ich hier gerne zitieren möchte: „What do you want? We created stories and we made a good show.“

Der letzte Punkt: Recherche und die Verantwortung des Kollegen vor Ort. Ich hab‘ mir nicht träumen lassen, dass ich mal Kriegsberichterstatter sein würde. Bisher ist es gut gegangen. Ich möchte aber niemandem raten, so einen Sprung ins Wasser zu machen. Wir sind alle keine Abenteurer oder Hasardeure oder Selbstmörder, die da von vor Ort berichten. Es ist einfach so, dass es Leute gibt, Journalisten, Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort sein wollen, damit die Welt sieht, was da für Schweinerein passieren. Die müssen gezeigt werden, damit sich die Öffentlichkeit entsprechend dagegen wehrt.

Franziska Hundseder (Auditorium):

Es gibt schon andere Ausbildungen als die bei der Bundeswehr, zu erfahren über die Internationale Journalistenförderation. Ich habe selber an einer solchen Ausbildung teilgenommen in Mazedonien. Das zweite ist: Ich habe da doch andere Erfahrungen mit Berichterstattern, nämlich von der Kosovo-Grenze, in der Nähe von Tetovo. Ich habe dort Kollegen gesprochen, die für internationale Sender tätig sind, zum Beispiel für NBC, und das sind junge Kolleginnen und Kollegen, Männer und Frauen, die dort hingehen und sagen „Das ist unsere Chance. Genau hier bekommen wir das. Wir können nirgends sonst so schnell groß werden.“ Das geschieht ohne jegliche Frage nach irgendeiner Ethik oder danach, ob Wörter, die sie benutzen, den Nationalismus nicht noch mehr anheizen …

Hasan Hussain (Auditorium):

Ich bin freier Mitarbeiter der Deutschen Welle in Köln. Als die Medienlandschaft sich erweiterte, indem die privaten Sender hinzukamen, habe ich gedacht: Warum denn nicht? Vielfalt sichert ja die Qualität … Noch nie erschien mir die Berichterstattung in Deutschland so erbärmlich wie nach den Ereignissen vom 11. September. Die ersten kritischen Bemerkungen haben wir schon nach dem zweiten Golfkrieg gemacht. Ich dachte, die Medien werden etwas daraus lernen. Nun kamen die Anschläge und ich stelle fest, niemand ist daraus klüger geworden. Mich interessiert aber, wie die Redaktionen eigentlich recherchieren? Wenn man schon die geringsten, die einfachsten Sachen falsch macht? Ortsnamen, Personennamen, Interpretationen. Man lebt in Deutschland. Alle 100 Kilometer ist eine Universität, da gibt es Hochschulen. Da kann man nachfragen, kostet ja nichts. Ortstarif. Nach Namen und nach Personen, nach Ereignissen, nach Parteien, da kann man sich Informationen holen. Nach welchem Kriterium, bitte sehr, suchen Sie Ihre Gesprächspartner? Und wer ist für Sie ein Experte?

Kuno Haberbusch:

Ich bin eigentlich froh, dass eben nicht dieses Experten-Dasein, Terrorismus-Experte, monopolisiert wird durch einen Herrn Scholl-Latour oder ähnliche, sondern dass über diese Schiene vielleicht auch mal andere Meinungen, andere Erkenntnisse kommen. Über die Qualifikation eines manchen hab ich auch meine Zweifel. Aber mir ist das lieber, als dass immer nur die zwei selbsternannten auftreten. Und wie Journalisten recherchieren? Wir haben jetzt vor einiger Zeit, in Anerkenntnis, dass das Recherchehandwerk hier vor die Hunde geht, dieses Netzwerk Recherche gegründet. Die Erfahrung, die wir damit machen, ist ziemlich schockierend. Uns erreichen von öffentlich-rechtlichen Anstalten Anfragen, auch Zeitungsverlage, Universitäten wenden sich dauernd an uns und bitten – helft uns bei der Ausbildung, dass wir ein Seminar über Recherche machen können! Wir können dies nicht leisten, dazu hätten wir rund um die Uhr zu tun. Ich weiß nur, die Leute haben es verlernt zu recherchieren. Es wurde mir auch gar nicht beigebracht, das war Learning by Doing. Und da muss man wieder ansetzen, dann können wir über Handwerk reden und nicht nur Glaubenstheorien verbreiten.

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