Trotz Rückschritt bei der Arbeitszeit: Den Blick nach vorne richten
Das am 15. Dezember 1997 in Frankfurt am Main erzielte Ergebnis der Verhandlungen mit dem BDZV über neue Tarifverträge für die Journalistinnen und Journalisten an Tageszeitungen stand unter dem Vorbehalt der Zustimmung der zuständigen Gremien der IG Medien. Am 13. Januar 1998 hat die Tarifkommission der IG Medien getagt und trotz erheblicher Bedenken mehrheitlich für die Annahme des Tarifergebnisses votiert.
Die Enttäuschung über das Tarifergebnis ist bei vielen Kolleginnen und Kollegen groß. Trotz teils massiver Warnstreiks ist es nicht gelungen, alle von den Zeitungsverlegern geforderten Verschlechterungen zu verhindern. Besonders schmerzt natürlich der Verlust der ursprünglich bereits für 1998 vereinbarten 35-Stunden-Woche. Darüber kann auch nicht hinwegtrösten, daß der BDZV seine erklärten Ziele ebenfalls nicht erreicht hat: Die Forderung der Verleger nach Einführung unverbindlicher „Richtzeiten“ konnte zurückgewiesen werden, die materiellen Verluste halten sich – gemessen an den ursprünglichen Forderungen des BDZV – in Grenzen. Auf der Habenseite ist die volle Erhaltung der Altersversorgung zu verbuchen. Dies ist zweifelsfrei ein Erfolg der Streikenden. Ohne Arbeitskampf wären neue Tarifverträge nur noch um den Preis einer umfassenden Verschlechterung der Arbeits- und Einkommensbedingungen zu haben gewesen.
Die Tarifauseinandersetzung trug eindeutig den Charakter eines Abwehrkampfes, bei dem es darum ging, die bisherigen Standards und den Flächentarifvertrag an sich zu erhalten. Eine Auseinandersetzung, die vor dem Hintergrund massiver Angriffe auf soziale Besitzstände und einer weiter zunehmenden Arbeitslosigkeit nicht isoliert zu sehen war, sondern im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen stand und noch immer steht. Der zunehmenden Verunsicherung und Entsolidarisierung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und der Arbeitslosen steht eine permanente Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Kapitaleigner gegenüber.
Ein falsches Signal in Zeiten der Arbeitslosigkeit
Der Tarifkommission war bewußt, daß in der Zeit von Massenarbeitslosigkeit der Verzicht auf Arbeitszeitverkürzung ein falsches Signal ist. Die Mehrheit der Tarifkommission stimmte aber auch gleichzeitig der Einschätzung eines Kollegen zu, der davor warnte zu glauben, „die Journalistinnen und Journalisten in der IG Medien könnten die Speerspitze in der Frage der Arbeitszeitverkürzung sein“. Bei aller Kritik am DJV, der nach Überzeugung der IG Medien die 35-Stunden-Woche unnötig preisgegeben hat, ersparte sich die Tarifkommission nicht den selbstkritischen Blick. Die 35, so die Meinung von vielen, wurde nicht nur in der Tarifrunde verspielt. Entscheidend war vielmehr, daß die Schritte der Arbeitszeitverkürzung bis hin zur geplanten 35-Stunden-Woche in vielen Redaktionen nicht umgesetzt worden sind. Der laxe Umgang vieler Kolleginnen und Kollegen mit der tarifvertraglichen Arbeitszeit hat den Angriff des BDZV auf die 35-Stunden-Woche bei den Redakteurinnen und Redakteure zumindest erleichtert.
Die Tarifkommission der IG Medien hat dem Ergebnis am 13. Januar trotz großer Bedenken mehrheitlich zugestimmt, weil sie keine Chance für einen verbesserten Abschluß bei Wiederaufnahme der Verhandlungen sah – Verhandlungen, die im übrigen wohl erst mit neuen Streiks hätten erzwungen werden müssen. Am Ende einer mit großem Ernst geführten mehrstündigen Diskussion entschieden sich 26 Mitglieder der Tarifkommission für die Annahme des Verhandlungsergebnisses, 10 votierten dagegen. Ein Mitglied enthielt sich der Stimme.
Die Tarifkommission hat auf ihrer Sitzung versucht, den Blick auch wieder nach vorne zu richten und sich deshalb für einen konstruktiven Umgang mit dem Tarifergebnis ausgesprochen. Nichts wäre schlimmer, als nun in tiefe Resignation über eine Niederlage zu verfallen, war der Tenor zahlreicher Diskussionsbeiträge. Insbesondere der Frage der betrieblichen Arbeitszeitregelung mißt die Tarifkommission höchste Priorität zu. Nach dem Wegfall der 35-Stunden-Woche gelte es nun um so mehr, die 36,5-Stunden-Woche umzusetzen und abzusichern. Sonst, so die Befürchtung, werde der Angriff der Arbeitgeber auf die tarifvertraglichen Arbeitszeitregelungen unvermindert weitergehen. Das Ziel des BDZV war es schließlich, verbindliche Arbeitszeitregelungen gänzlich abzuschaffen. Es gibt keinen Anlaß zu glauben, daß der BDZV dieses Ziel aufgegeben hat und sich mit der Verhinderung der 35-Stunden-Woche zufrieden gibt.
In der Kritik der Tarifkommission standen auch die materiellen Komponenten des Tarifabschlusses. Insbesondere die Absenkung der Jahresleistung auf 95 Prozent und die erneute Benachteiligung der Redakteurinnen und Redakteure in den neuen Bundesländern durch die Beschränkung der Einmalzahlung auf den Westen der Republik wurde moniert. Beim Abschluß für die freien Journalistinnen und Journalisten wurde kritisiert, daß nach wie vor die hessischen und die ostdeutschen Verleger den Tarifvertrag für Freie nicht unterschrieben haben.