Total-Umbau bei Madsack

Mit einem Federstrich gehen Vielfalt und Arbeitsplätze verloren

„Madsack 2018“ heißt das Programm, mit dem der Medienkonzern in den kommenden Jahren tiefgreifend umstrukturiert werden soll – und zwar ab sofort. Auf einer Führungskräftetagung in Hannover stellte die neue Konzernspitze, bestehend aus Vorstand Thomas Düffert und den Geschäftsführern Sven Fischer und Christoph Rüth, am 2. Oktober die Eckpunkte des Fünfjahresplans vor.

Unter dem Motto „Rote Karte für Sozial-Foul“ protestierten 2012 gut 400 Beschäftigte des Madsack-Konzerns. Foto: Chr. v. Polentz / transitfoto.de
Unter dem Motto „Rote Karte
für Sozial-Foul“ protestierten
2012 gut 400 Beschäftigte des
Madsack-Konzerns.
Foto: Chr. v. Polentz / transitfoto.de

„Fokussieren und Zentralisieren“ lautet die Devise beim Umbau der Konzernorganisation. Erklärtes Ziel ist es, 44 Millionen Euro einzusparen und im Jubiläumsjahr schöne schwarze Zahlen schreiben zu können – der heutige Medienkonzern ging aus der 1893 als „Hannoverscher Anzeiger Madsack & Co.“ gegründeten Gesellschaft hervor. Wenn alles so bliebe wie bisher, wären es dagegen rote Zahlen und Madsack ein gefundenes Fressen für Heuschrecken und dergleichen, habe die Geschäftsführung analysiert. Diesen Eindruck vermittelte Düffert auf der Strategietagung, die symbolträchtig im Madsack-Wahrzeichen, dem Anzeiger-Hochhaus in Hannover stattfand – und von Protesten der für die erste Lohnerhöhung nach zehn (!) Jahren streikenden MitarbeiterInnen des Service-Centers KSC begleitet wurde. Neben rund 100 mehr oder weniger überraschten Führungskräften vernahmen auch zwei Mitglieder des Konzernbetriebsrats von den geplanten Neuerungen.

Tarifflucht

Wir sind „zu wenig effizient“, befand das Führungstrio. Die Rationalisierungspotentiale innerhalb des Konzerns seien bisher nur unzureichend ausgeschöpft worden, erklärte Düffert. Es gehe jetzt darum, „intelligente Verbundlösungen“ zu schaffen, um Kosten zu senken und – natürlich – die Qualität zu steigern. Die Mediengruppe Madsack setze auf „das große Zukunftspotenzial regionaler und lokaler Medien“, verkündete er, und „die Verlage an den einzelnen Standorten werden sich in Redaktion und Vermarktung noch klarer auf ihre regionale Kompetenz fokussieren.“ Im Klartext bedeutet das: Die bisherigen Einzel-Verlage werden auf regional und lokal ausgerichtete Medienhäuser reduziert. Und die, so vermutet der Betriebsrat, werden vermutlich so aufgestellt, wie es bereits die Märkische Verlags- und Druckgesellschaft in Potsdam ist, nämlich weitgehend tariffrei. In Potsdam wurden Lokalredaktionen und die Druckerei der Zeitung in tariflose Tochtergesellschaften ausgegliedert.
„In den Redaktionen der einzelnen Titel fokussieren wir unsere Arbeit auf die lokalen und regionalen Themen“, wird Düffert zitiert. Der besondere Wert regionaler Medien liege im „unverwechselbaren regionalen Inhalt, der tief in der Lebenswelt der Menschen verankert ist und Heimat widerspiegelt.“ Die regionale Berichterstattung sei „die Basis von allem – aber wir müssen auch dem Anspruch unserer Leser nach gut recherchierten, überregionalen Inhalten gerecht werden.“ Beschäftigten sich die Regionalredaktionen auch mit allen überregionalen Themen, könnten sie sich nicht auf ihre jeweilige regionale und lokale Kernkompetenz konzentrieren, findet der Madsack-Chef. Die überregionale Berichterstattung dagegen werde besser, wenn sie „mit den vereinten Kräften der ganzen Gruppe gestaltet wird.“ Für die überregionale Berichterstattung soll daher künftig eine Zentralredaktion zuständig sein, die sämtliche Titel der Madsack-Mediengruppe mit fertigen Seiten beliefert und auch die Digital-Publikationen versorgt. Sie soll in Hannover angesiedelt und noch in diesem Jahr aufgebaut werden. Am Madsack-Stammsitz sollen neben dem überregionalen „Content“ auch die Produktion, Madsack online, Werbung, Vertrieb, Finanzen, Controlling, IT, Personalwesen und Logistik konzentriert werden.
Von der Bündelung der Kräfte durch Zentralisierung und Fokussierung könnten alle Marken und Unternehmen des Konzerns profitieren, schwärmt Düffert, „jeder einzelne Standort kann sich somit noch besser auf die regionale Marktbearbeitung konzentrieren“, sekundiert COO (Central Organisation Officer) Christoph Rüth.

„Madsack 2018“ bedeutet aber nicht nur Umbau, sondern auch Ausbau. Etwa des Postgeschäfts, für das ein Umsatzsteigerungspotenzial von 30 Millionen Euro identifiziert wurde und die Services für kleine und mittlere Unternehmen. Weiteres Wachstum ist auch bei Print- und Online-Medien geplant: „Unsere auf die Integration weiterer Verlage optimierten Strukturen werden es uns erlauben, in unserem Kerngeschäft der regionalen und lokalen Print- und Online-Medien weiter zu wachsen – organisch und akquisitorisch. Im deutschen Markt für Regionalzeitungen sehen wir uns strategisch in einer aktiven Konsolidierer-Rolle“, heißt es im Düffert-Deutsch.
Die Idee mit der von den fünf Chefredakteuren Hendrik Brandt, Matthias Koch (beide Hannoversche Allgemeine Zeitung – HAZ), Thoralf Cleven (Märkische Allgemeine Zeitung – MAZ), Jan Emendörfer (Leipziger Volkszeitung – LVZ) und Uwe Dulias (Entwicklungschefredakteur der Mediengruppe Madsack) erdachten „klug vernetzten Redaktion“ findet außerhalb des Konzerns wenig Beifall. Peter Turi beklagte in seinem Branchendienst, Madsack schaffe „mit einem Federstrich die Vielfalt in der überregionalen Berichterstattung seiner Zeitungen ab.“ Und die taz mahnte, dass unter dem Rückgang der Vollredaktionen auch die Kontrollfunktion der Presse leide: „Immer weniger JournalistInnen schauen den Entscheidern in Politik, Wirtschaft und sonstwo auf die Finger und in die Augen.“

Offene Fragen

Dass bei „Madsack 2018“ viele Stellen wegfallen werden, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. In den 18 Zeitungen kümmern sich derzeit rund 150 Redakteure um die Mantelberichterstattung, wie viele für die Zentralredaktion eingeplant sind, dazu ließ die Konzernspitze nichts verlauten. Gemunkelt wird von 6. Als mehrere Tage nach den Führungskräften endlich die Belegschaft über „Madsack 2018“ informiert wurde – zunächst am 7. Oktober in Hannover, anschließend in den übrigen großen Standorten – blieb das Fazit: „Der Vorhang zu und alle Fragen offen“. Was genau geplant ist, erfuhren die geschätzt 300 MitarbeiterInnen, die sich in der Ellipse des hannoverschen Pressehauses drängten, auch nach zweieinhalb Stunden „Düffert-Show“ nicht. Mit symbolträchtigen Bildern (Schiff in schwerer See, Klimawandel), untermalt von dramatischer Musik, im Stil amerikanischer Verkäuferschulungen versuchte Düffert, sie einzuschwören. Als „sehr manipulativ“ empfand das eine Redakteurin, eine andere wähnte sich „bei Scientology“. Er fühle sich „verarscht“, meinte ein Teilnehmer. Sollte der überfüllte Saal suggerieren „Das Boot ist (zu) voll?“ Kaum zu glauben aber wahr: Düffert bekam Beifall!
Für die Druckereien ist schon jetzt klar: Der Standort Marburg wird 2017 geschlossen. Über die Zukunft der Betriebe in Hannover, Peine und Göttingen soll im Frühjahr 2014 entschieden werden. Rainer Butenschön, der stellvertretende Vorsitzende des Konzernbetriebsrates (Hannover) befürchtet erhebliche Arbeitsplatzverluste, die Schließung von Standorten, die Schaffung weiterer tarifffreier Zonen, die Abqualifizierung von Tätigkeiten und andere gravierende Nachteile für die Beschäftige. „Auf uns als Konzernbetriebsrat wie auf die örtlichen Betriebsräte kommt viel Arbeit zu“, so Butenschön.
Dass sich die Belegschaften nicht allen Zumutungen widerstandslos beugen, wird unterdessen in mehreren Betrieben der Mediengruppe deutlich: So streiken die Beschäftigten des Kunden Service Centers KSC in Hannover ebenso wie die Mitarbeiter der ausgegliederten Druckerei in Potsdam und Journalisten der Oberhessischen Presse in Marburg für Tarifverträge. In der Vergangenheit hatten sich bereits die Mitarbeiter von Lübecker Nachrichten und Ostsee-Zeitung erfolgreich gegen drohende Ausgliederungen und Kündigungen gewehrt und tarifliche Schutzrechte eingefordert.
ver.di lehnt diesen Umbauplan des Madsack-Konzerns ab. „Tarifflucht und Arbeitsplatzabbau sind kein Zukunftskonzept“, sagte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Die Gründung einer konzernweiten Zentralredaktion bedeute im Gegenzug den Verlust vieler Arbeitsplätze in den überregionalen Ressorts der Zeitungen in Leipzig, Lübeck und Rostock. Auch die Bildung von Regionalverlagen aus den bisherigen Lokalredaktionen werde nicht ohne Arbeitsplatzabbau in den 18 Zeitungen des Konzerns vor sich gehen, warnte Werneke. „Wenn der Konzernumbau nach dem Modell der Märkischen Allgemeinen erfolgen soll, ist das der letzte Beweis, dass bei Madsack Tarifflucht wesentlicher Bestandteil der Unternehmensstrategie ist“, so Werneke.
Auch Düffert ist sich sicher, dass es wegen des Umbaus „Stress geben“ werde. Er ließ aber keine Zweifel aufkommen: „Wir ziehen das durch. „Nach „Verwirrung“, „Wut“, „Abwehr“, „Hilflosigkeit“ würden es „Ausprobieren“ und „Akzeptanz“ geben mit dem schönen Ergebnis in 2018, dass Madsack Umsatz und Gewinn wieder steigere.

Rücktritt

Der Betriebsrat in Hannover ist inzwischen kollektiv zurückgetreten. Da wichtige Entscheidungen im Rahmen von Madsack 2018 voraussichtlich im kommenden Frühjahr fallen werden, also just zu der Zeit, in der turnusmäßig die Betriebsräte bundesweit neu gewählt werden (März – Mai 2014), soll eine baldige Neuwahl sicherstellen, dass die Madsack-Beschäftigen über eine jederzeit handlungsfähige Interessenvertretung verfügen.
Am 7. November (nach Druck der M) treffen sich Konzernbetriebsrat und Konzerngeschäftsführung zu einer ersten Verhandlung. Der KBR hat dafür die Forderungen formuliert: Keine betriebsbedingten Kündigungen! Alle Maßnahmen müssen sozialverträglich umgesetzt werden! Keine Abqualifizierungen! Keine tariffreien Zonen!
Damit werden sie es offenbar schwer haben, denn zur sozialen Verantwortung des Arbeitgebers seinen Beschäftigten gegenüber ist in der Broschüre „Wir sind Madsack“, dem 10-Punkte-Katalog für den Konzernumbau, kein Wort zu finden.

Die Mediengruppe Madsack

Zur Mediengruppe Madsack (MGM) gehören 18 regionale Tageszeitungen, mehr als 30 Anzeigenblätter in neun Bundesländern, zahlreiche Digitalangebote, Hörfunkbeteiligungen und TV-Produktion, Post-, Corporate Publishing-, IT- und Personaldienstleistungen sowie weitere Services.

2012 zählte sie rund 5.800 Beschäftigte und erwirtschaftete einen Umsatz von 671,5 Millionen Euro. Das Betriebsergebnis betrug 30 Millionen Euro.
Größter Anteilseigner ist mit 23,1 Prozent die SPD-Medienholding ddvg.

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