Unter Wert verkauft

Illustratoren ringen gemeinsam mit Berufsverband um bessere Honorare

Rund 3.000 Illustratoren arbeiten in Deutschland, fast alle als Solo-Selbstständige und Freiberufler. Trotz akademischer Ausbildung ist die wirtschaftliche Lage für einen Großteil von ihnen im Wortsinne prekär. Gründe dafür sind der viel zu geringe gesellschaftliche Stellenwert von Illustration, das Image als „Hobby-Zeichner“ bei Auftraggebern und ein mangelndes Selbstbewusstsein seitens der Illustratoren selbst. Doch die Zunft begehrt auf und stellt sich auch auf die neuen Medienverhältnisse ein.


„Illustratoren interessieren sich doch gar nicht für so etwas wie Ausfallhonorar, die nehmen es einfach hin, wenn sie für ihre Arbeit wenig oder auch gar nichts bekommen“. So artikulierte ein Auftraggeber aus der Werbe-Agenturbranche gegenüber Oliver Wünsch offen seine Geringschätzung für einen ganzen Berufsstand. Wünsch ist freiberuflicher Illustrator in Hamburg (www.wuenschonline.de) und hat im Laufe der Jahre schon so einiges zu hören bekommen, wenn seine Kunden den Preis drücken wollten. Daher forderte er bei erwähntem Auftraggeber ausdrücklich einen Ausgleich von 50 Prozent des vereinbarten Honorars, falls die bei ihm bestellten und von ihm korrekt gelieferten Illustrationen nicht genutzt werden sollten. Er bekam das Ausfallhonorar.
Als Wünsch diese Anekdote bei einer öffentlichen Podiumsveranstaltung vor rund 100 Illustratorinnen und Illustratoren aus ganz Deutschland zum Besten gab, gab es sowohl zustimmendes Nicken als auch ungläubiges bis beschämtes Kopfschütteln: Als so naiv werden wir Illustratoren wahrgenommen – oder sind wir es sogar? „Naiv vielleicht nicht. Aber in Sachen Geschäftstüchtigkeit und selbstbewusstem Auftreten sind sehr viele Illustratoren noch längst nicht professionell genug“, kommentiert Tim Weiffenbach (http://www.illustration-tw.com), selbst Illustrator und ehrenamtlich tätiger Vorsitzender der Illustratoren Organisation IO.
Der „Berufsverband der Illustratoren“ gründete sich vor rund neun Jahren mit dem Ziel, eine ebenso auf spezifische Anliegen ausgerichtete, wie solidarische und starke Interessenvertretung aufzubauen. Seitdem ist die Zahl der Mitglieder auf derzeit rund 1.050 angewachsen. Damit ist die IO, neben den Gewerkschaften, eine der mitgliederstärksten Interessenvertretungen innerhalb sogenannter Kreativberufe in der Medien-, Kunst- und Kommunikationswirtschaft. Der AGD, Allianz deutscher Designer, die quasi schon „traditionelle“ Interessenvertretung für Grafik-, Industrie-, Kommunikations-, Mode-, Foto- und Mediendesigner, hat rund 3.000 Mitglieder. Doch viele der bislang ebenfalls dort organisierten Illustratoren fanden schon Ende der 90er ihre spezifischen Interessen im großen Pool der AGD zu wenig berücksichtigt, sahen sich dort mehr und mehr als Randgruppe. In ver.di sind die Illustratoren ihren Tätigkeitsschwerpunkten entsprechend in mehreren Bereichen organisiert, etwa in der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) (Karikaturisten für Printmedien), bei der Bildenden Kunst (Designer) oder auch beim Verband der Schriftsteller (Buchgestalter). Außerdem werden sie im Selbstständigen-Referat bei rechtlichen oder betriebswirtschaftlichen Fragen betreut und können sich umfangreich beraten lassen über das Netzwerk mediafon.

Breitgefächertes Portfolio

Nach Hochrechnungen der IO sind in Deutschland derzeit rund 3.000 beruflich aktive Illustratorinnen und Illustratoren tätig, diese aber „zu fast 99 Prozent soloselbstständig“. Die Hauptbetätigungsfelder für Illustratoren lagen 2008, laut einer IO-Befragung, bei Kinderbüchern (rund 55 Prozent aller Befragten), für Zeitungen und Zeitschriften (50,1%) sowie in der Werbung (47,8%), zweitstärkste Bereiche sind Comic, Jugendbuch und Schulbuch (rund 28–29%), gefolgt von Cartoon (22%), Storyboards (20,7%) und Animation. Mit Infografiken und wissenschaftlich/technischen Illustrationen sowie Online-Medien, Verpackungen und Design sind jeweils noch etwas über 10% der Illustratoren beschäftigt. Ein breit gefächertes Portfolio also, und die allermeisten bieten davon mindestens die Hälfte oder mehr an, von einigen Spezialisten und bekannten Größen der Branche mal abgesehen, die sich auf Comics, Cartoons/Karikaturen oder eigene Illustrationsbücher und Animationsfilme beschränken können, wie Uli Stein, Rötger „Werner“ Feldmann, oder auch die Schöpfer der „Diddl“-Maus.
Die ebenso vielseitigen wie vielfältig einsetzbaren Illustratoren sind fast so etwas wie die vergessene Abteilung im großen und unübersichtlichen Gebäude der so genannten Kreativwirtschaft. Die Politik subsummiert darunter alle Arten von Verlagen, Filmproduktion, Rundfunk, Fernsehen, Musik, Journalismus, Museen und Ausstellungen, Architektur, Design, Werbung, Software, Games sowie Medienhandel. Illustratoren fallen hierbei unter Designer. Sie umfasst rund 238.300 Unternehmen und Selbstständige (Bericht der Bundesregierung vom Februar 2009). Doch scheinen sich die Illustratoren in Deutschland offenbar mehrheitlich und im doppelten Sinn unter Wert zu verkaufen. Auch das ergab die Befragung, an der sich 704 Illustratoren, 80 Prozent davon Mitglieder der IO, beteiligten.
Bezogen auf 2008 waren „die Einkommensverhältnisse für den überwiegenden Prozentsatz der Illustratorinnen und Illustratoren prekär – sie gehören zu den so genannten ‘working poor’“, so die IO in ihrer offiziellen Stellungnahme zur Erhebung. Rund 45 Prozent der Befragten verdienten unter 12.000 Euro netto, und nur etwa 13 Prozent mehr als 35.000 Euro netto im Jahr. Das heißt, für mehr als 85 Prozent reicht das erzielte Einkommen kaum zum Überleben. Gleichwohl gaben rund 34 Prozent der Befragten an, mit ihrem Einkommen den Lebensunterhalt der Familie sichern zu können. Das ließe den Schluss zu: Die „erzeichneten“ Umsätze sind bei rund zwei Drittel allenfalls ein Teileinkommen, das durch weitere, mehr oder weniger artfremde berufliche Tätigkeiten oder durch das Einkommen berufstätiger Partner ergänzt werden müsse. „Oftmals wird Illustration nur als Neben- oder Zweitberuf ausgeübt“, so die IO.

Mehr als ein bezahltes Hobby

Und genau darin liege eine Crux. Denn was offenkundig bei vielen Akteuren selbst als „Nebenberuf“ gilt, wird häufig auch von anderen als eine Art bezahltes Hobby angesehen, dem die Zeichner mehr aus Spaß an der Freude nachgingen, weniger für den professionellem Broterwerb. Dieses Image erschwere die gesellschaftlich-wirtschaftliche Anerkennung der Illustratoren im Allgemeinen, und verschlechtere deren Verhandlungsposition gegenüber Auftraggebern im Speziellen. Dabei seien beispielsweise Buchverlage oder auch Agenturen in der Lage, die Arbeit der Illustratoren angemessen zu honorieren, so IO-Vorstandsmitglied Juliane Wenzl, Illustratorin und Hochschul-Mitarbeiterin in Braunschweig. „Immer wieder hören wir, dass erhöhte Honorarforderungen durchaus erfüllt werden, wenn die Illustratoren sie denn stellen.“
Wie aber konnte es zu dieser prekären Situation der Illustratoren eigentlich kommen? Etwa 80 Prozent gaben bei der oben erwähnten Befragung an, ein Grafik-Design- oder Illustrations-Studium absolviert zu haben. Und der Rest – bis auf drei Prozent autodidaktischer Quereinsteiger – nahm eine entsprechende Ausbildung wahr. „Wir wurden im Studium eigentlich gar nicht oder nur unzureichend auf das Berufsleben in der Medienwirtschaft vorbereitet“, heißt es immer wieder von Absolventen und Studierenden des Grafikdesigns. Betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse, Selbstvermarktung und Vertragsgestaltung, Urheberrecht oder auch Fragen der Alterssicherung für Freiberufler – das würde an den Hochschulen kaum behandelt. Das bestätigten auch die IO-Umfrageergebnisse: Rund 31 Prozent der befragten Illustratoren waren nicht in der Künstlersozialkasse und verzichteten damit auf die Halbierung der monatlichen Krankenkassenbeiträge und die Einzahlungen auf ihr Rentenkonto. Gerade einmal 33 Prozent stecken mehr als 200 Euro monatlich in die Altersvorsorge. Und gerade mal die Hälfte gehört der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst an.
„Das schlechte Image von Illustratoren führt Weiffenbach auch auf ein historisch gewachsenes Problem zurück: „Die Instrumentalisierung von Bildern durch die Nazis schadete der Entwicklung eines modernen nationalen Bildkonzeptes genauso wie die gegenläufige grafische Abstraktion der 60-70er Jahre.“ Gewiss hat sich der Stellenwert von Illustrationen seit den 80ern verändert, etwa durch die seitdem stetig zunehmende Popularität von Comics, speziell für Erwachsene, oder durch die Renaissance des Zeichentrickfilms durch Computeranimation und 3D-Technologien. Und nicht zuletzt durch regelmäßige Retro-Trends, etwa zu illustrativen Designs auf Fahrrad-Rahmen. Doch das finde noch zu viel in Nischen statt, sagen Branchenkenner. „Illustration wird hierzulande stiefmütterlich behandelt, genau wie Mode und Pop“, meint Raban Ruddigkeit in einem Interview mit dem Kunstmagazin Art. Er ist Inhaber der Berliner Design Agentur „Corporate Ideas“ und Herausgeber des seit 2003 Jahren regelmäßig erscheinenden Bandes „Freistil“ (plus Website), einer Art kuratierten Werkschau der deutschen Illustrationsszene. Einen Mangel an Talenten sehe er für Deutschland keineswegs, im Gegenteil. Sie müssten sich, wie die meisten Freiberufler, nur noch mehr professionalisieren, selbstbewusster und offensiver agieren.
Schleichend aber kontinuierlich sei an der Abwertung kreativer Leistungen in den letzten zwei Jahrzehnten – in ganz Europa – gearbeitet worden, speziell von Verlagen und Medienhäusern. Zum einen durch den berüchtigten Pauschalkauf aller möglichen Nutzungsrechte für ein zu geringes Salär. Im Zuge dieses „Total-buy-out“ genannten Ansinnens will der Auftraggeber mit einer Zahlung die erhaltenen Motive ebenso umfänglich wie unbegrenzt nutzen dürfen. Speziell für Zweitverwertungen aller Art, für Neuauflagen und neue Plattformen, von CD-ROMs und E-Books über Webseiten und Apps bis hin zu Archiven und Ausstellungen. Auch, so Weiffenbach, hätten die Auftraggeber die Vergütungen oder Umsatzbeteiligungen systematisch eingefroren oder gedrückt. Sich dagegen zu wehren, fällt einzelnen Freiberuflern schwer. Viele lassen sich frustriert aber stillschweigend auf die Knebelbedingungen ein, weil sie um künftige Aufträge fürchten.
Diese Situation führte unter anderem zur Gründung der Illustratoren-Organisation: um gemeinsame Interessen zu bündeln. Neben der Beratung und Aufklärung zu Künstlersozialkasse und VG Bild-Kunst, drückt sich dies auch in konkreter Unterstützung aus. So stand die IO mehreren Illustratoren zur Seite, als der Westermann Schulbuch-Verlag ihnen neue Verträge mit verschlechterten Bedingungen aufzudrücken versuchte und erreichte, dass neu verhandelt wurde.
Doch bei aller Solidarität gehen die ungebrochen radikalen Veränderungen im gesamten Medienmarkt, die hohe Dynamik von Internet und lückenlos digitalen Wertschöpfungsketten auf vielfältigen Plattformen auch an den Illustratoren nicht vorbei. Die Trends hin zu Bewegtbild dominierter Kommunikation und dreidimensionalen Welten, verlangen von den Schöpfern des „flotten Strichs“ eine ebenso flexible wie professionelle Arbeit. Ob für „E-Books“ oder „Apps“, Webseiten oder mobile Kleinbildschirme, Computerspiele oder E-Learning – in diesen neuen Feldern seien Illustratoren mehr und mehr auch als Urheber und Unternehmer gefragt, ist Weiffenbach überzeugt. Dass sie diese Herausforderung annehmen, zeigen von Illustratoren geschaffene oder illustrierte, „interaktive Digitalbücher“, wie beispielsweise die international erfolgreiche iPad-App „Mika´s Abenteuer“ des Münsteraner Illustrators Florian Biege (http://itunes.apple.com/de/app/mikas-abenteuer /id396348876?mt=8). Oder das fünfköpfige Berliner Illustratoren-Kollektiv „Flow-Studios“, das für Filmproduktionen und Computerspiele so genannte „Concept Designs“ und Drehbuch-Illustrationen (Storyboards) anfertigt (http://www.flow-studios.eu/).

Infos für Illustratoren

IO: www.io-home.org
IO Broschüre „Erfolgreich arbeiten mit Illustratoren“

ver.di: www.mediafon.net
AGD: http://www.agd.de/
Freistil: http://www.freistil-online.de

 

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