Vor letzter Instanz: Tarifgehalt erstritten

Aktive Mittagspause: Vor dem Bremer Pressehaus warten Gewerkschafter und BTAG-Beschäftigte auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts.
Foto: Eckhard Stengel

Beschäftigte der Bremer Tageszeitungen AG haben vor dem Bundesarbeitsgericht einen jahrelangen Rechtsstreit mit ihrem Arbeitgeber gewonnen: Der Verlag des Weser-Kuriers und einzelner anderer Zeitungen muss ihnen Tarifgehälter zahlen, obwohl er aus der Tarifbindung ausgestiegen ist. Während der Gerichtsverhandlung in Erfurt luden ver.di und DJV Mitglieder und Sympathisanten am 10. April zu einer „aktiven Mittagspause“ vor dem Bremer Pressehaus.

Jahrelang hatten die Beschäftigten der Bremer Tageszeitungen AG (BTAG) in dem Glauben gelebt, sie stünden unter dem Schutz der branchenüblichen Tarifverträge. In der Tat ist der Verlag seit Jahrzehnten Mitglied im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), der mit den Gewerkschaften Tarifverträge vereinbart. Doch 2005 erklärte sich die BTAG heimlich zum „Mitglied ohne Tarifbindung“ und verabschiedete sich damit formal von den Tarifen für Redaktions- und Verlagsangestellte. Nur für Drucker blieb die BTAG noch bis Mitte 2016 tarifgebunden. Dennoch zahlte das Unternehmen weiter nach Tarif, allerdings nur noch „freiwillig“, wie es später betonte.

Die Belegschaft erfuhr von dem Ausstieg erst 2010 und war hell entsetzt. Doch ihre damaligen Chefs beschwichtigten: Man solle sich keine Sorgen machen, denn mit Ausnahme von Neueingestellten würden alle auch weiterhin nach Tarif bezahlt. So lief es dann tatsächlich in den Folgejahren. Doch 2016 war damit plötzlich Schluss: Erstmals übernahm die BTAG nicht mehr die gerade neu vereinbarten Tariferhöhungen. Als Grund nannte der damalige Vorstand wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Rund 50 Beschäftigte aus Druckerei, Redaktion und Verlag wollten sich damit nicht abfinden, sondern klagten einzeln vor dem Arbeitsgericht auf weitere Teilhabe an Tariferhöhungen. Denn ihre Arbeitsverträge nähmen ausdrücklich auch Bezug auf den Tarifvertrag. Außerdem sei durch die ständigen Erhöhungen bis 2016 eine „betriebliche Übung“ entstanden, an die der Verlag auch weiterhin gebunden sei.

Die ersten Urteile vor dem Arbeitsgericht fielen unterschiedlich aus, je nach Lage des Einzelfalls. In den Berufungsprozessen vor dem Bremer Landesarbeitsgericht siegten „überwiegend“ die klagenden Beschäftigten, wie ein LAG-Sprecher auf Anfrage sagte. Sie gewannen immer dann, wenn ihr Arbeitsvertrag nach dem Jahreswechsel 2001/02 unterschrieben wurde. Denn ab 2002 galt eine neue Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG), die sich hier zu Gunsten der Kläger*innen auswirkte. Bei älteren Arbeitsverträgen siegte dagegen der Verlag. Laut LAG-Sprecher gab es aber auch noch eine dritte Fall-Konstellation, nämlich Altverträge aus der Zeit vor 2002, die später teilweise geändert wurden, zum Beispiel wegen einer Versetzung. Das LAG entschied auch hier in fast allen Fällen zu Gunsten der Beschäftigten, ließ aber jeweils Revision zu. So landeten diese Fälle jetzt vor dem höchsten Arbeitsgericht.

Schlag Eins die Erfolgsmeldung

Während der Verhandlung in Erfurt trafen sich vor dem Bremer Pressehaus einige Beschäftigte und Gewerkschafter zu einer „aktiven Mittagspause“. Um 13 Uhr dann die Nachricht aus Erfurt: Die Revisionen wurden noch vor einem Urteil zurückgezogen; die Entscheidungen des LAG werden also rechtskräftig. Großer Jubel an den Kaffee- und Brötchenständen.

Wie üblich in solchen Prozessen hatten die Bundesrichter mit den Beteiligten die Rechtslage erörtert und dabei deutlich gemacht, dass die LAG-Urteile nicht zu beanstanden seien. Nach Angaben einer BAG-Sprecherin zogen daraufhin beide Seiten ihre jeweiligen Revisionsanträge zurück – in neun Fällen der Verlag, in einem Fall ein Redakteur, der wegen seiner speziellen Vertragssituation vor dem LAG gescheitert war. Also immerhin neun zu eins für die Kläger*innen. Sie müssen künftig nach Tarif entlohnt werden und eine Nachzahlung für die versäumten Erhöhungen der vergangenen Jahre erhalten.

Damit sind die Prozesse rund um die Tarifbindung aber noch nicht beendet: Mehrere weitere Klagen von BTAG-Beschäftigten ruhen derzeit in der ersten und der zweiten Instanz in Bremen. In diesen Fällen wollten die Beteiligten zunächst den Ausgang der BAG-Verhandlung abwarten.

Die Gewerkschaften hoffen jetzt darauf, dass sich die Bremer Tagszeitungen AG auf den Abschluss eines Haustarifvertrags einlässt. Denn bisher, so ver.di-Sekretär Orhan Sat, sei die Belegschaft gespalten: in Beschäftigte mit und ohne Tarif-Nachwirkung. Letztere müssten für weniger Gehalt jede Woche fünf Stunden mehr arbeiten. Orhan Sat: „Wir möchten, dass sie alle gleiches Geld für gleiche Arbeit bekommen.“

 

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