Die nord-ostdeutschen Verleger hatten Ende November die Karten auf den Tisch gelegt: sie kündigten an, eine eigenständige Tarifgemeinschaft Ost gründen zu wollen, die den wirtschaftlichen Besonderheiten in Potsdam, Frankfurt / Oder, Rostock, Schwerin oder Neubrandenburg Rechnung tragen, Personalkostensteigerungen für 2002 verhindern und Beschäftigungsbedingungen „harmonisieren“ solle. Austritte aus den Arbeitgeberverbänden begleiten den Angriff auf den Flächentarif.
Zwei Wochen später legte der BDZV bundesweit nach und forderte die Gewerkschaften auf, bereits vor Laufzeitende in Verhandlungen über den Gehaltstarifvertrag und über Manteltarifregelungen für Tageszeitungsredakteure einzutreten.
Um Gegenstrategien ging es im Gespräch mit Frank Werneke, Bundesleiter des Fachbereichs Medien in ver.di.
Die Verleger formieren die Tariffronten und treten die Flucht nach vorn an. Kommt das überraschend?
Werneke: Es kommen verschiedene Dinge zusammen. Im Frühjahr 2001 hatten damals noch IG Medien und DJV mit den Zeitungsverlegern auf Bundesebene Gespräche zu Tarifproblemen begonnen. Dabei wurde klargemacht, dass die Arbeitnehmerseite grundsätzlich bereit ist, verschiedene Tariffragen weiter zu sondieren. Beide Seiten haben daran offenbar Interesse. Den Verlegern geht es besonders um die Berufsjahresstaffel, ver.di und DJV würden gern darüber reden, wie der Geltungsbereich des Tarifvertrages ausgeweitet werden kann, etwa auf die redaktionellen Teile von Anzeigenblättern und für Online-Redakteure. Auch über die Tarifregelungen für Freie lohnt es sich immer zu diskutieren.
Dringlich wäre im Rahmen der Riester-Reform jetzt außerdem eine Tarifregelung zur Altersvorsorge. Wir möchten die Tarifeinigung im Bereich Druck/ Papier und Verlage auch für die Redakteurinnen und Redakteure öffnen, um ein umfassendes Versorgungswerk Medien zu etablieren. Dafür gibt es unmittelbaren Handlungsbedarf.
Nach den Verbandsaustritten und dem Vorstoß für eine separate Tarifgemeinschaft im Osten geht es aber nicht mehr um Sondierungen?
Es ist tatsächlich eine neue Situation entstanden. Eine solche „Ostflanke“ mit dem Ziel genereller Verschlechterungen von Tarifen für alle Beschäftigten an Zeitungsverlagen werden wir nicht aufreißen lassen. Sie wäre zudem eine negative Vorlage für kommende Verhandlungen zum Gehaltstarifvertrag für Redakteure ab Mitte des Jahres.
Wir von der dju in ver.di sind lediglich zu wirklich themenoffenen, aktuellen Gesprächen bereit. Dabei wäre jedoch immer die Bindungskraft des Tarifvertrages zu betonen. Was nützte die Debatte über die Reform von Tarifverträgen, wenn solche ohnehin nur noch für einige Landstriche in Deutschland gelten und die Verlegerverbände erkennbar nichts unternehmen, um die Gültigkeit solcher Verträge sicherzustellen?
Sind die wirtschaftlichen Klagen der Verleger nachvollziehbar?
Es geht um kein reines Ostproblem. Die ökonomische Situation, mit der die Verleger argumentieren, ist von der in Regionen weiter westlich gar nicht so verschieden. Das Anzeigenaufkommen in Potsdam oder Rostock ist weder besser noch schlechter als in Städten Niedersachsens oder Nordhessens. Insofern betrachten wir den Verleger-Vorstoß auch als Testballon. Hinzu kommt: Es geht den Verleger ja nicht um eine vorübergehende Reaktionen auf wirtschaftliche Flauten. Vielmehr zielt man auf ein ganz neues Tarifwerk, was sich strukturell vom bisherigen in Ost und West unterscheidet. Man möchte die aus Sicht der Arbeitgeber günstigen Regelungen aus dem Arbeiter-, Angestellten- und Redakteurstarif herauslösen, die für die Arbeitnehmerseite positiven Regelungen sollen weggelassen werden. Das eingedampfte Tarifwerk würde eine Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen auf eindeutig schlechterem Niveau bedeuten. Es geht hier also ums Prinzip.
Das bekannte Muster: Wirtschaftliche Schwierigkeiten als Erpressungsgrund?
Der Anzeigenrückgang begann schon 2001. Dabei muss man sehen, dass mit 1999 / 2000 zwei Jahre mit außerordentlich gute Anzeigen- und Werbeerträgen als Vergleichsmaßstab gelten. Gewaltige Werbekampagnen begleiteten den Aufschwung von Start-up-Unternehmen oder die Übernahmeschlachten wie zwischen Mannesmann und Vodaphon. Der Rückgang hat sich in der zweiten Jahreshälfte 2001 verschärft. Die Frage ist, welche Konsequenzen nötig sind. Durch eine generelle Verschlechterung des Tarifniveaus würde das Anzeigenaufkommen nicht verbessert.
Zudem: Alle Anzeichen sprechen dafür, dass sich der Werbemarkt erholt und ab zweiten Halbjahr 2002 deutlich normalisieren wird. Tarifpolitisch wäre also viel eher zu fragen, wie durch die flaue Phase zu steuern ist. Da gäbe es tarifvertragliche und betriebliche Instrumente. Der geltende Tarifvertrag Beschäftigungssicherung sieht z. B. eine zeitweise Arbeitszeitreduzierung ohne Verdienstausfall bereits vor. Ähnlich wie beim VW-Modell. Auch für Redakteurinnen und Redakteure wären attraktive und intelligente Lösungen denkbar – Sabbaticals oder Arbeitszeitreduzierungen mit teilweisem Ausgleich von Verdienstausfällen. Ganz zu schweigen davon, dass die Gefahr von Entlassungen bei Redakteuren allein dadurch gebannt werden könnte, dass die tatsächliche Arbeitszeit den tarifvertraglichen Bestimmungen nur annähernd angepasst würde…
Zusammengefasst: Was muss geschehen?
Eine Generalabsenkung der Tarifverträge wird es mit uns nicht geben, auch einen Vertrag Ost-Light werden wir verhindern. Unter Beachtung der tarifvertraglichen Ausgangssituation sind wir jedoch an Regelungen zur Beschäftigungssicherung interessiert und bereit, solche weiter auszugestalten.
Was die fünf nord-ostdeutschen Verlagshäuser konkret angeht: Alle sind von uns zu Haustarifverhandlungen aufgefordert worden mit dem Ziel, Regelungen und Niveau der geltenden Flächentarifverträge zu übernehmen. Wir sind gespannt auf die Reaktionen. Allerdings wäre es den Belegschaften nicht zu vermitteln, wenn die Verleger den Vorschlag ablehnten.
Gehen ver.di und DJV koordiniert vor?
Bei den bisherigen Gesprächen haben wir uns stets über ein gemeinsames Vorgehen abgestimmt. Allerdings scheint der DJV von der neuen Situation ab Dezember einigermaßen irritiert. Die Aufforderung zu Haustarifverhandlungen kam allein von uns.
Gespräch: Helma Nehrlich