Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt

Es ist eine Binsenweisheit: Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt. Für Freie oder Solo-Selbstständige schien das bislang nicht zuzutreffen oder die absolute Ausnahme einer bitteren Regel zu sein. Weit gefehlt: Wer bislang dachte, Freie könnten nicht streiken oder sich anderweitig kollektiv für ihre Interessen einsetzen, der ist nun eines Besseren belehrt. Und zwar in einem kurzen Zeitraum gleich mehrfach: bei der Deutschen Welle, der Eßlinger Zeitung, bei Radio Hamburg!  

Bei der Deutschen Welle begannen nicht-programmgestaltende Freie, ihre Festanstellungen einzuklagen – in einigen Fällen bereits mit Erfolg. Nun geht es um einen Tarifvertrag, der weitere Klagen verhindern und den Freien planbare Beschäftigung sichern würde. Bei der Kampagne „DW – Jobs mit Zukunft“ machen mittlerweile rund 100 freie Mitarbeiter_innen mit, immer mehr kommen hinzu. Die Ansage ist einfach: Je mehr Leute sich den Forderungen anschließen, umso mehr Druck können sie für Tarifverhandlungen aufbauen.“

Auch bei der Eßlinger Zeitung in Baden-Württemberg taten Freie etwas, das von vielen bislang unmöglich schien: sie streikten. Und sie sorgten für öffentliche Aufmerksamkeit, indem sie die Leser_innen des Regionalblatts sowie bundesweit Journalistenkolleg_innen über ihre Probleme informierten und sie um Unterstützung baten. Dies geschah vielfach, unter anderem in Form von Leserbriefen, Anrufen bei der Geschäftsführung der Zeitung oder E-Mails. Wie viele Protestschreiben mit dem Tenor „Wie Ihr eigentlich als seriös bekannter Verlag mit den freien Mitarbeiter_innen bei der Eßlinger Zeitung umgeht, finden wir skandalös… behandeln Sie diese nicht länger wie Beschäftigte zweiter Klasse!“ bei EZ-Geschäftsführer Dachs und dem Chef der Südwestdeutschen Medienholding Heinkel eingingen, ist unbekannt. Auf jeden Fall verfehlten sie ihre Wirkung nicht: Statt 62 gibt´s jetzt 72 Cent pro Druckzeile, es werden Aufwandspauschalen für wenig ergiebige Termine gezahlt und die Erstattung der Fahrtkosten mit denen für Festangestellte gleichgesetzt.

Im Norden brodelt es ebenso: Mit ihrer Kampagne #WirSindRadioHamburg fordern die Mitarbeiter_innen des Senders einen Tarifvertrag. Dafür stehen sie gemeinsam wie eine Wand – da kann die Geschäftsführung noch so lockende Angebote zu „Erfolgsprämien“ machen. Sie wollen teilhaben am immensen Gewinn ihres Senders, der das meistgenutzte Medium der Hansestadt ist. Die Mehrheit der Kolleg_innen bei Radio Hamburg hat sich mittlerweile gewerkschaftlich organisiert. Die Freien sind natürlich dabei.

Wer nun immer noch denkt, Freie könnten sich nicht wehren, ist nicht im Hier und Jetzt angekommen. Was Solo-Selbstständige brauchen, ist Solidarität untereinander und von ihren angestellten Kolleg_innen, Mut und Durchhaltevermögen und eine gute Portion Selbstbewusstsein. Denn der Spruch, man könne jede_n einfach und schnell ersetzen, stimmte noch nie und gilt in Zeiten des Fachkräftemangels erst recht nicht mehr.

Gemeinsam sind wir stark – das gilt für uns alle. Auch wenn diese Weisheit uralt ist.

 

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Preis für behinderte Medienschaffende

Zum zweiten Mal schreibt in diesem Jahr die gewerkschaftsnahe Otto Brenner Stiftung zwei Preise und Stipendien für Journalist*innen mit Behinderung aus. Damit soll „ein klares Signal für die Förderung von Diversität als unverzichtbaren Wert in unserer demokratischen Gesellschaft“ gesetzt werden, sagt Jupp Legrand, Geschäftsführer der Stiftung. 
mehr »

KI darf keine KI-Texte nutzen

Die Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der KI im eigenen Metier wird Journalist*innen noch lange weiter beschäftigen. Bei der jüngsten ver.di-KI-Online-Veranstaltung ging es um den Anspruch an Gute Arbeit und Qualität. ver.di hat zum Einsatz von KI Positionen und ethische Leitlinien entwickelt. Bettina Hesse, Referentin für Medienpolitik, stellte das Papier vor, das die Bundesfachgruppe Medien, Journalismus und Film zum Einsatz von generativer Künstlicher Intelligenz im Journalismus erarbeitet hat.
mehr »

Unabhängige Medien in Gefahr

Beim ver.di-Medientag Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen diskutierten am 20. April rund 50 Teilnehmende im Zeitgeschichtlichen Forum in Leipzig die aktuelle Entwicklungen in der Medienlandschaft, die Diversität in den Medien und Angriffe auf Medienschaffende. Das alles auch vor dem Hintergrund, dass bei den kommenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg die AfD laut Umfragen stark profitiert. 
mehr »

Wie prekär ist der Journalismus?

„Daten statt Anekdoten“, das war das Ziel des Forschungsprojekts „Prekarisierung im Journalismus“ an der LMU München, das nun nach fast fünf Jahren mit einem internationalen Symposium in München endete. Zu den Daten aus Europa hatte auch die dju in ver.di ihren Beitrag geleistet, als sie ihre Mitglieder um Teilnahme an der Online-Befragung bat und in M über die Ergebnisse berichtete.
mehr »