Wissenstransfer und Transparenz beim ZDF

MoMa Bildregie 2017 (Archiv) Foto: Murat Türemis

Thomas Wagner ist neuer Personalratsvorsitzender beim ZDF, der jüngste überhaupt in der Geschichte des Senders, und noch keine 100 Tage im Amt. Er hatte als ver.di-Spitzenkandidat auf einer gemeinsamen Liste mit dem DJV kandidiert, die für Erneuerung und mehr Transparenz steht. Vor der Interessenvertretung stehen wichtige Aufgaben wie Wissenstransfer beim Generationswechsel, Diversität, aber auch Honorargerechtigkeit, sagt er.

Über 2800 der 4500 Wahlberechtigten in der Mainzer Zentrale beim ZDF haben sich an der Personalratswahl im März beteiligt. Drei Listen hatten sich zur Wahl gestellt, neben der ver.di/DJV-Liste auch eine der Vereinigung der Rundfunk-, Film- und Fernsehschaffenden (VRFF) und eine reine Frauenliste. Etliche erfahrene Personalrät*innen traten nicht wieder zur Wahl an.

M | Ausgerechnet in Corona-Zeiten war das keine einfache Konstellation?

Thomas Wagner | Ein „Häuserwahlkampf“, bei dem man von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz gehen und Leute auch in der Mittagspause mit Aktionen und Themen ansprechen könnte, war für uns wegen der Hygienebestimmungen ausgeschlossen, zumal viele Kolleg*innen im Homeoffice saßen. Das brachte eine wirkliche Veränderung in der Art und Weise, wie wir unsere Ziele vorstellen konnten. Natürlich war das abzusehen, und wir haben uns zuvor schon länger bemüht, in der Belegschaft präsenter zu sein. Schließlich haben wir auf verschiedenen Plattformen, auch über Teams-Meetings und Videokonferenzen, unsere Themen gesetzt. Das hat sich bewährt, da man die Leute ortsunabhängig ansprechen kann. Das schafft auch eine neue Form von Transparenz, die wir als Personalrat durchaus fortführen wollen, um unseren Wähler*innen in kürzeren Abständen Rede und Antwort zu stehen.

Neue Köpfe und neue Methoden als Erfolgsrezept?

Dass wir insgesamt einen so großen Umbruch verzeichneten, hat uns eher nicht in die Karten gespielt. Die ver.di/DJV-Liste wurde nur zweitstärkste Kraft. Keine Liste erzielte eine eigene Mehrheit. Das Wahlergebnis zeigt, dass auch wir es nicht geschafft haben, die Wähler*innen komplett bei uns zu halten und sie von dem Generationswechsel zu überzeugen. Das hat verschiedene Gründe. Doch dass wir andere Ansprachetechniken erprobt haben, ist für die Zukunft sicher trotzdem nützlich.

Die Existenz von drei Listen hat die Sache nicht vereinfacht. Am Ende haben Dich 12 der 21 gewählten Personalräte aber nicht nur in den Vorstand, sondern zum Vorsitzenden gewählt. Wodurch konntest Du überzeugen?

Ich arbeite seit 15 Jahren beim ZDF, bin schon eine Art Eigengewächs. Ich habe hier meine Ausbildung gemacht, später berufsbegleitend studiert, war von 2008 bis 2011 Vorsitzender der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Ich bin einerseits „voll drin“, aber andererseits keineswegs in Strukturen etabliert. Von Vorteil war sicher auch, dass ich in den vergangenen sieben Jahren als Sachbearbeiter/Referent an der Seite des Personalrats in der Zentrale tätig war und die Probleme deshalb gut kenne. 2020 habe ich Moderationen bei verschiedenen Online-Formaten für den Personalrat und bei einer digitalen Personalversammlung übernommen, das hat meinen Bekanntheitsgrad befördert und sicher gezeigt, dass ich etwas in die Hand nehmen kann, dass ich empathisch, aber auch diplomatisch bin.

Hinzu kommt: Wir sind zur Personalratswahl ja mit einem echten Veränderungsanspruch angetreten, den wir jetzt in der tagtäglichen Arbeit beweisen müssen. Wir wollen unsere Belegschaft viel mehr beteiligen und nicht nur vertreten. Eine solche Art Aufbruch traut man mir schließlich zu – auch, um das Feld nicht etwa den Frustrierten zu überlassen.

Thomas Wagner (37) ist Betriebswirt und seit seiner Ausbildung beim ZDF. Er war Assistent der Hauptredaktionsleitung Neue Medien (bis 2010), Personalsachbearbeiter (bis 2014) und zuletzt Referent in der Geschäftsstelle des Personalrats. Zurzeit hat er noch kommissarisch den Vorsitz des ver.di-Senderverbands inne. Seit März 2021 ist er Personalratsvorsitzender.
Foto: ZDF/Jana Kay

Und jetzt, nach fünf Wochen, hast Du Dich schon eingearbeitet?

Die Voraussetzungen waren ja, wie gesagt, nicht schlecht. Ich kenne die Strukturen, weiß, wie das Personalratsbüro arbeitet. Ich kenne die anstehenden Themen. Bis ich die volle Akzeptanz in den Senderhierarchien erreicht habe, das ist sicher ein längerer Prozess.

Doch erleichtert es die Sache wohl nicht, dass die VRFF die Personalratswahl nachträglich angefochten hat. Die Vorwürfe richten sich zwar konkret gegen die Frauenliste, betreffen aber das Wahlergebnis grundsätzlich und hätten womöglich sogar Auswirkungen über das ZDF hinaus/1/. Wie geht Ihr damit praktisch um?

Wir sind grundsätzlich handlungsfähig im Amt. Daran ändert die Anfechtung nichts. In vielen Punkten arbeiten wir Personalrät*innen mit unterschiedlichem gewerkschaftlichem Hintergrund praktisch dennoch sehr konstruktiv zusammen. Das soll so bleiben. Doch wirft das Verfahren natürlich seine Schatten. Teilweise ist die Situation regelrecht skurril: Die VRFF tritt als Klägerin auf, der Personalrat als Ganzer ist Beteiligter des Verfahrens und zu einer Stellungnahme aufgefordert. Die neun VRFF-Personalrät*innen müssen nun mit uns übrigen die Stellungnahme vorbereiten, die letztlich gegen ihren eigenen Antrag argumentiert. Das ist schon speziell… Und es macht uns eine Menge zusätzlich Arbeit. Doch wir sind in keiner Weise gelähmt.

Und wie stellt Ihr Euch zu den inhaltlichen Vorwürfen?

Die lauten ja auf Wählertäuschung und richten sich nicht gegen uns als Personalrat, sondern gegen die Organisationen, die die Wahllisten aufgestellt haben. Doch lassen wir uns als Personalratsgremium auch anwaltlich vertreten. Inhaltlich treten wir ver.di-Vertreter den Vorwürfen entschieden entgegen, da sie jeder Grundlage entbehren. Aber letztlich muss das Gericht entscheiden. Wir werden das abwarten und bis dahin weiter unsere Arbeit machen.

Schon die erstmalige Aufstellung der reinen Frauenliste deutete auf etwas tiefer liegende Probleme, die letztlich Gleichstellungsfragen, Transparenz und auch Teambuilding im Personalrat und bei seiner Arbeit betreffen. Wie siehst Du das?

Das ist richtig. Ganz unabhängig von diesem Rechtsstreit haben wir Personalrät*innen es als wichtige Aufgabe erkannt, mehr Transparenz in der Arbeit unseres Gremiums herzustellen.

Um die Masse Arbeit zu erledigen, die jetzt vor uns liegt, sind alle Personalrät*innen unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit gefordert. Und es werden auch alle mitgenommen. Es könnte uns helfen – davon gehen wir von der ver.di/DJV-Liste aus und haben das vorgeschlagen – wenn der Personalrat einen eigenen Personalausschuss bildet, dort könnten künftig Entscheidungen in Personalangelegenheiten gemeinsam qualifiziert vorbereitet werden. Das diskutieren wir gerade. Darüber hinaus sehen wir es aus den Erfahrungen der Vergangenheit aber als eine generelle Forderung an das ZDF als Unternehmen, Entscheidungen transparenter und für die Beschäftigten nachvollziehbar zu machen.

Die Bilanz der Personalratsarbeit in der vergangenen Legislatur fiel insgesamt nicht schlecht aus. Allein vier neue Dienstvereinbarungen zu wichtigen Themen wie Gesundheitsmanagement, Beschäftigtendatenschutz, IT-Sicherheit, Konfliktmanagement und sexueller Belästigung wurden abgeschlossen, zu weiteren Themen gibt es Entwürfe. Ungelöst blieb die Gleichstellungsproblematik. Wie ist da die Situation?

Wir haben einen Frauengleichstellungsplan, dem liegt eine Dienstvereinbarung zugrunde, die schon sehr alt ist. In dieser Frage gab es zuletzt kein Vorankommen. Das Thema an sich ist aber nicht abgeräumt. Denn inzwischen sind beim ZDF zwar mehr Frauen als Männer beschäftigt, in den höheren Vergütungsgruppen sind Frauen aber deutlich unterrepräsentiert. Da weisen die Zahlen aus dem letzten Gleichstellungsbericht von 2019 ganz klar auf strukturelle Probleme hin. Das ist auch eine Frage von Personalentwicklung, die dafür sorgen muss, dass mehr Frauen die gleichen Chancen für höhere und leitende Positionen erlangen und sich entsprechend entwickeln können. Aus meiner Sicht betrifft das Thema aber nicht nur Frauen und Männer, sondern schließt unter dem Aspekt der Diversität alle ein, auch Fragen der ethnischen oder sozialen Herkunft. Ziel sollten Rahmenbedingungen beim ZDF sein, die jegliche Diskriminierung ausschließen, allen die gleichen Chancen eröffnen und mehr Vielfalt ins Unternehmen bringen. Das ist ein Punkt, der im Vorfeld der Personalratswahlen bereits allen am Herzen lag und den wir nun gemeinsam energisch angehen sollten.

Mit dem Ziel einer neuen Dienstvereinbarung?

Ja. Ergänzt um die Thematik der Diversität müsste die Regelung natürlich noch komplexer sein. Da wird die Unternehmenskultur als solche berührt.

Sicher gibt es weitere Baustellen, die akut Eure Aufmerksamkeit und das Handeln des Personalrates fordern. Wo siehst Du solche?

Die Anforderungen durch die Pandemie sind natürlich weiter zu bewältigen. Zu den wichtigen Themen Homeoffice und Arbeitszeitgestaltung ist im vergangenen Jahr durch den neuen Tarifvertrag zum modernen Arbeiten/2/ bereits viel vorangebracht worden. Dieser Tarifvertrag muss weiter mit Leben erfüllt, seine Umsetzung auch kontrolliert werden. In Sachen Arbeitszeit gilt es, viele Beschäftigte eher davor zu schützen, dass sie im Homeoffice bedeutend länger arbeiten als die tariflich gesetzten Rahmenzeiten, Belastungen dürfen nicht ausufern.

Aktuell beschäftigt uns auch die Honorargerechtigkeit für Freie, die Mitbestimmung bei freier Mitarbeit insgesamt. In Sachen Honorare erfahren wir von Fällen, dass arbeitnehmerähnliche Freie seit zehn oder gar fünfzehn Jahren innerhalb des möglichen Honorarrahmens auf dem Einstiegsniveau verblieben sind. Ein Unding! Denn der Tarifvertrag sieht vor, dass für die Honorarhöhe neben der Wertigkeit der Tätigkeit und den speziellen Anforderungen auch die Berufserfahrung eine Rolle spielt. Viele Jahre Berufspraxis müssen einfach anerkannt werden. In Sachen fairer und transparenter Honorierung bliebt also viel zu tun.

Und noch etwas weiter in die Zukunft gesehen, was beschäftigt Euch da?

Wir sehen uns vor einem demografischen Wandel. Beim ZDF werden bis Ende 2028 knapp 22 Prozent der heute aktiven Mitarbeiter*innen in Rente sein. Das schafft besondere Herausforderungen für das Unternehmen. Als Personalrat beschrieben wir die Aufgabe mit dem Begriff Wissenstransfer. Es gehen ja nicht nur viele Leute in den Ruhestand, sondern es ginge damit zugleich ein Menge Know-how verloren. Würde da nicht gegengesteuert, wäre das ein immenser Verlust für das ZDF, und es wäre frustrierend für all die Kolleginnen und Kollegen, die ihre Expertise nicht richtig weitergeben können. Darüber hinaus wäre es ein Problem für alle, die diese Verluste auffangen müssen oder die nicht die optimale Einarbeitung erfahren. Solche Gefahren sehen wir im Kleinen bereits bei der momentanen Wiederbesetzungssperre von einigen Monaten. Schlussfolgerung: Es muss prinzipiell dafür gesorgt werden, dass Wissenstransfer in großem Umfang stattfindet und alle davon profitieren können. Das ist freilich nicht ganz einfach umzusetzen, weil das auch mit KEF-Vorgaben und der Haushaltsplanung abgestimmt werden muss.

Aber es führt kein Weg dran vorbei?

Wir brauchen eine Verjüngung im Unternehmen, das ist ganz klar. Die kann aber auch nicht so laufen, dass die, die gehen, eins zu eins ersetzt werden durch Neue, die von außen kommen. Das würde die Entwicklungsperspektiven derer schmälern, die bereits da sind. Wir brauchen zugleich eine bessere Personalentwicklung intern und die entsprechende Transparenz bei Neubesetzungen und Ausschreibungen. Eine offene Baustelle ist deshalb auch die Dienstvereinbarung zum Stellenbesetzungsverfahren, zu der der frühere Personalrat schon Vorarbeiten geleistet hat. Da müssen wir ebenfalls weiterkommen.

Das geht nur in enger Zusammenarbeit mit dem Unternehmen selbst. Wie schätzt Du die Bereitschaft dazu ein?

Da gibt es durchaus ein gemeinsames Interesse. Das Unternehmen will attraktiv sein, der Arbeitsmarkt hat sich verändert. Die Arbeitskräfte, die man gewinnen will, suchen sich zunehmend ihren Arbeitgeber aus, nicht umgekehrt. Dafür müssen die Rahmenbedingungen passen. Es hat auch damit zu tun, wie solche Prozesse ablaufen. Bewerbungsverfahren dürfen sich nicht mehr über Monate hinziehen. Da müssen wir schneller werden. Das sehen sicher auch die ZDF-Personalverantwortlichen so. Und wir als Personalrat wollen zudem, dass Belastungen für die gesenkt werden, die bis zu Neubesetzungen andere vertreten müssen.

Dann bleibt nur, für alle Vorhaben gute Nerven und viel Erfolg zu wünschen!

Vielen Dank, beides können wir brauchen.

 

/1/ Die Gewerkschaft VRFF geht nachträglich davon aus, dass die unabhängige Frauenliste, die zur ZDF-Personalratswahl kandidierte, gar nicht unabhängig, sondern ein trojanisches Pferd von ver.di gewesen sei. Tatsächlich hatten auf der Liste u.a. auch Gewerkschaftsfrauen kandidiert, allerdings nicht nur von ver.di. Ein Teil der VRFF-Beschwerde zielt darauf, juristisch zu klären, ob nach dem rheinland-pfälzischen Personalvertretungsgesetz reine Frauenlisten für Mitarbeitendenvertretungen überhaupt zulässig sind.

/2/ Beim ZDF erzielten die Gewerkschaften im Rahmen der Tarifverhandlungen zum Themenkomplex „Moderne Arbeit“ einen Tarifabschluss zu flexibleren Arbeitszeit- und Arbeitsortmodellen.

 

 

 

 

 

 

 

 

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