Zeitungsbote gewinnt in zweiter Instanz

Das Gerichtsgebäude in Hamm Foto: Frank Biermann

In den meisten Branchen ist es eine Selbstverständlichkeit: Wer nachts arbeitet, bekommt auch Nachtzuschläge. Oft ist das in Tarifverträgen geregelt. Eine Branche versucht – trotz klarer rechtlicher Vorgaben – sich drumherum zu mogeln und wortreich Sonderregelungen für sich zu reklamieren: Zeitungsverlage wie der Aschendorff Verlag (Westfälische Nachrichten) in Münster. Das lassen sich nicht alle Zeitungsboten gefallen. Einer klagte jetzt erfolgreich auf Nachzahlung.

Ein Zeitungsbote aus Münster hat sich jetzt mit einer Klage gegen seinen Arbeitgeber, die Aschendorff Logistik, erfolgreich auch in zweiter Instanz durchsetzen kommen. Die 18. Kammer des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm wies die Berufung der Aschendorff Logistik zurück und verurteilte den Arbeitgeber, rückwirkend für die letzten drei Jahre entgangene Nachtzuschläge nachzuzahlen. Das sind in der Summe etwa 6868 Euro. Das Bundesarbeitsgericht hatte im April 2018 in einem Grundsatzurteil die Nachtzuschläge in Höhe von 30 Prozent für die Zeitungsstellung festgelegt, woran sich die Aschendorff Logistik nicht gehalten hat.

Der neu verpflichtete Anwalt von Aschendorff, Dr. Hans-Jürgen Hiekel, scheute sich jetzt nicht, die angeblich zu hohen Nachtzuschläge als „Eingriff in die Pressefreiheit“ zu bezeichnen. Angemessen seien Nachtzuschläge von 10 oder 20 Prozent höchstens, sonst lasse sich die gedruckte Zeitung nicht mehr kostendeckend zum Frühstück in die Haushalte bringen. Das gefährde die Demokratie.

Dieser Verleger-Argumentation wollte die Kammer mit dem Vorsitzenden Dr. Guido Jansen nicht folgen. Er habe vielmehr den Eindruck, die Probleme der Verlage lägen eher im unternehmerischen Bereich; das Geschäftsmodell der Verleger sei wirtschaftlich an seine Grenzen gekommen – so die knappe mündliche Urteilsbegründung (Az: 18 Sa/ 1862/19).

Wegen der Grundsätzlichkeit der zu entscheidenden Rechtsfragen hat das LAG die Revision* zugelassen. Der letztendliche Spruch wird also wohl vom Bundesarbeitsgericht gefällt. Nach Einschätzung von Dr. Dominika Bednarczyk, die den Zeitungsboten anwaltlich vertritt, könne das bis zu zwei Jahre dauern. Ein ähnlich gelagertes Verfahren eines anderen gewerkschaftlich organisierten Zustellers war mit gleichem Tenor entschieden worden. (Az: 18 Sa/ 1486/19)

* Aufgrund der Hinweise von zwei Lesern (siehe Kommentare) – vielen Dank dafür – haben wir den Fehler im Text korrigiert. (Red. 5.Oktober 2020)

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Trumps digitaler Medienpranger

Donald Trump verfolgt mit seinen Attacken auf Medien und Journalist*innen drei Hauptziele: Ablenkung von eigenen Verfehlungen, Bindung seiner rechten Unterstützer*innen und Selbstbereicherung. Große Medienkonzerne unterstützen ihn, um eigene Profitinteressen zu fördern. Das Resultat ist eine Bedrohung von Pressefreiheit und Demokratie.
mehr »

Ein Plädoyer fürs Zuhören

Zuhören, Gehörtwerden, den Dialog auf Augenhöhe führen – das sind Schlagworte unserer Zeit, Leerformeln der politischen Rhetorik. Mit dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen sprachen wir über journalistisches Zuhören, BigTech und den Sofortismus der Sozialen Medien.
mehr »

Presse-Versorgung hält hohes Zinsniveau

Die Vertreter*innenversammlung der Versicherten der Presse-Versorgung hat beschlossen, die Gesamtverzinsung für das Jahr 2026 im dritten Jahr in Folge beizubehalten. Damit behauptet die Presse-Versorgung erneut ihre Spitzenposition im deutschen Lebensversicherungsmarkt.
mehr »

Digitale Mobilität als Machtfaktor

Smartphone, Social Media und Plattformen – wie werden Menschen durch mobile, vernetzte Medientechnologien sichtbar, und wer oder was bleibt unsichtbar? Welche Rolle spielen dabei Geschlechter- und Machtverhältnisse? Über diese Fragen diskutierten Medienforscher*innen  auf der Tagung „Bilder in Bewegung, mit Bildern bewegen: Gender, Macht und Mobilität“ in Tübingen.
mehr »