Der Preis des „wilden“ Lebens
Die Medienwirtschaft gilt als Prototyp einer künftigen Erwerbswelt. Projekte statt betriebsförmiger Organisation, „freie“ Mitarbeit statt fester Stellen, Identifikation statt einseitiger Orientierung am Verdienst: Mit solchen Stichworten charakterisieren Wissenschaftler ein Berufsfeld, das in jüngster Zeit in den Blick der Forschung gerückt ist. Der Begriff „Medien“ fasst dabei eine vielfältige Mischung zusammen, die von der Druckindustrie über Verlage, Sender oder Internetfirmen bis zur Werbebranche reicht.
Die besondere öffentliche Aufmerksamkeit gilt Film und Fernsehen. Hinter den Scheinwerfern, die Stars und Sternchen effektvoll beleuchten, bleiben die wenig glamourösen Arbeitsbedingungen der „Medienproletarier“ weitgehend im Dunkeln. Kira Marrs schaut soziologisch hinter die glänzenden Kulissen. Ihre empirische Basis bilden rund 30 mehrstündige Interviews, die sie zum Beispiel mit Requisiteurinnen, Aufnahmeleitern, Kameraleuten, Tontechnikern oder Cutterinnen geführt hat. Marrs Studie basiert auf einem Verbundprojekt zur Dienstleistungsarbeit, zu dem das Münchner Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) eine Analyse der „Audiovisuellen Dienstleistungen“ beisteuerte.
Wie funktionieren Leistungssteuerung und Kontrolle jenseits der Norm? Die Autorin diagnostiziert Fremdbestimmung, hohe Belastungen und erhebliche Unsicherheit. Das passt nicht zu den gängigen Vorstellungen von „moderner“ Netzwerkökonomie – und auch nicht zur Selbstdefinition der Betroffenen. In den Interviews sprechen sie davon, dass sie mit Herzblut und Leidenschaft dabei sind, ihr Hobby zum Beruf machen konnten, ihren Job lieben. „Das ist wie Schokolade essen, du kannst nicht aufhören“, sagt ein Maskenbildner.
Bittere Schokolade aus der nüchternen Perspektive der Wissenschaftlerin: Marrs konstatiert Willkür, überlange Arbeitszeiten und eine „vorindustrielle“ persönliche Kontrolle – wenn etwa Drehtage erst nach 14 Stunden zu Ende gehen, weil das Wetter „am Set“ nicht mitspielt oder der Regisseur schlechte Laune hat. Ein Kameraassistent vergleicht die autoritären Strukturen des Filmgeschäfts „mit der Bundeswehr“, ein Produzent stellt fest: „Da wird nicht diskutiert. Widerspruch heißt einfach einen anderen Job machen.“ Individuelle Fehler können schwer wiegende Folgen haben: „Fehlt auch nur ein Detail wie eine Haarnadel, um das ständig aufgehende Fenster zu schließen, oder die im Drehbuch vorgeschriebenen grünen Kontaktlinsen für den blauäugigen Schauspieler, kann unter Umständen die Arbeit von Hunderten von Personen zum Stillstand gebracht werden.“
Das Prinzip von Befehl und Gehorsam, glaubt Marrs, sei weiterhin bestimmend und stehe „nicht zur Disposition“. Es gehe „gerade nicht darum, das Streben der Beschäftigten nach Autonomie zum Motor der Kapitalverwertung zu machen“. Die ISF-Forscherin beschreibt die audiovisuellen Medien als eine „neue Ökonomie der Unsicherheit“, die in scharfem Kontrast stehe zu den Illusionen von Selbstbestimmung. Für den Wunsch nach Abwechslung und „wildem“ Leben, für ihre Rebellion gegen die Lohnarbeit zahlen die „Fillmschaffenden“ nach Ansicht der Autorin einen hohen Preis. Sie müssen sich einem rigiden „Kommandosystem“ unterwerfen, geraten in eine „unauflösbare Zwickmühle, in der ihre eigenen Bedürfnisse nach der Verwirklichung von Subjektivität enteignet sind – und dazu benutzt werden, ihre Position als Beschäftigte zu schwächen“.
Kira Marrs: Zwischen Leidenschaft und Lohnarbeit.
Ein arbeitssoziologischer Blick hinter die Kulissen von Film und Fernsehen.
Edition Sigma, Berlin 2007.
ISBN 978-3-89404-549-4,
204 Seiten, 16,90 Euro.