Ist eine Beendigung der Tätigkeit beim WDR aus Altersgründen eine Diskriminierung? Diese spannende juristische Frage könnten Gerichte mit Hilfe des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) klären. M sprach mit einem Arbeitsrechtler, der eine Klage von Betroffenen auf Schadenersatz für „nicht aussichtslos“ hält.
Den Beginn des Jahres 2025 hatte sich Walter Ermel anders vorgestellt. Bisher war es den Abteilungen des WDR und den alt gewordenen Freien überlassen, ob sie nach dem Erreichen des offiziellen Rentenalters weiter zusammenarbeiten wollen. Ein Zubrot zur Altersversorgung erarbeiten, ein bisschen kürzertreten, neuen Mitarbeiter*innen beim Einstieg assistieren und vor allem weiter das tun, was ihm im Leben so lieb ist: journalistische Werke für Radio und Fernsehen schaffen. Das war Walters Plan.
Nun aber, nach 35 Jahren journalistischer Arbeit für die Redaktion, soll damit Schluss sein – auf Anweisung von oben. Die ganze Redaktion setzte sich zwar für ihn ein. Sie schickte einen Brief an die Chef*innen. Sie betonten, dass sie den Freien weiter mit Beiträgen beauftragen möchten, aus inhaltlichen Gründen. Aber das Management blieb hart und folgte dem Beschluss der Senderspitze vom Januar 2024: Nur noch in seltenen Ausnahmefällen sollen nur unverzichtbare Freie mit Erlaubnis der Direktion auch im Rentenalter weiter beschäftigt werden können.
Manche freie Rentner-Autor*innen berichten, dass ihre bisherigen Stammredaktionen auf Angebote nicht mehr reagieren; freie Kamerafrauen erhalten die Ankündigung, dass sie ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr gebucht werden. Und Reporter wie Walter sollen nicht weiterbeschäftigt werden.
Bisher ist nichts davon bekannt, dass dem Sender wegen neu geschaffener Altersdiskriminierung Schadenersatzklagen drohten, doch einzelne Freie prüfen das. Laut AGG haben sie zwei Monate Zeit, einen Schaden geltend zu machen, nachdem die Diskriminierung geschieht; binnen weiteren drei Monaten müssen sie Klage einreichen. Bei manchen sind die Fristen schon abgelaufen, bei anderen haben sie noch gar nicht begonnen. Nach Auskunft des Düsseldorfer Arbeitsrechtlers Tobias Ziegler sind die restlichen Voraussetzungen für eine Klage gegeben, die er „für nicht aussichtslos, aber auch keineswegs einen Selbstläufer“ hält: Sowohl die Geltung für arbeitnehmerähnliche Freie als auch für Selbstständige sei im Gesetz ausdrücklich genannt. Voraussetzung sei, dass sie in ihrer beruflichen Zukunft durch die Entscheidung behindert würden und dass für die diskriminierende Entscheidung alleine ihr Alter als Begründung dient.
Nach Zieglers Angaben beträgt das Prozesskostenrisiko bei einem angenommenen Streitwert von 25.000 Euro und zwei Gerichtsinstanzen rund 11.000 Euro – was durch Gewerkschaftlichen Rechtsschutz und / oder Prozesskostenhilfe gesenkt werden könnte. Wenn der WDR verliert, bleibt er auf den Kosten sitzen – nur die Kosten für die erste Instanz muss dann die Freie bezahlen. Die Höhe des Schadenersatzanspruches könnte sich an dem bemessen, was die Betroffene bisher beim Sender als Honorar erzielt hat, oder an den entgangenen Aufträgen.
Ein Urteil des Arbeitsgerichts Bonn aus dem Jahr 2013 zur Kündigung eines Rundfunk-Freien kommt zwar zu dem Schluss, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei dem Rundfunksender nach § 10 des AGG sachlich gerechtfertigt sei. Das Überschreiten des gesetzlichen Rentenalters sei, laut dem Bonner Gericht, eine „zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters.“ Dieses Urteil hält der Arbeitsrechtler Ziegler aber nicht für ohne weiteres übertragbar. Und „da die Altersgrenze offenbar starr und ohne Einzelfallprüfung angewendet wird, könnte eine Rechtfertigung nach § 10 AGG (Erreichen der Altersgrenze) schwerfallen,“ sagt der Anwalt. Im Falle der WDR-Regelung gebe es einige rechtliche Gegenargumente, die eine gerichtliche Prüfung rechtfertigen.
Gegenüber den Freien hat die Senderspitze die Beendigung der Zusammenarbeit ausschließlich mit dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters begründet. Gegenüber M bestritt der WDR ausdrücklich nicht, dass das AGG grundsätzlich für die Freien gilt und einen Schadenersatz begründen kann. Doch die pauschale Berufung des WDR auf das Ziel einer „Verjüngung der Mitarbeiterschaft“ greife rechtlich zu kurz, sagt Ziegler: „Zwar kann ein solches Ziel grundsätzlich ein legitimes betriebliches Interesse darstellen, doch muss die Maßnahme – hier die starre Altersgrenze – auch geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein. Das ist bei einem undifferenzierten Ausschluss allein nach Lebensalter ohne Einzelfallprüfung zweifelhaft.“
Der Hinweis des Redakteursausschusses auf eine mögliche Einschränkung der inneren Pressefreiheit sei ein weiterer Aspekt. „Redaktionen werden durch die Altersgrenze daran gehindert, mit denjenigen Journalist*innen zusammenzuarbeiten, die sie fachlich für am geeignetsten halten. Auch dies könnte in einer arbeitsgerichtlichen Bewertung als Argument gegen die Angemessenheit einer Maßnahme herangezogen werden,“ meint Ziegler.
Als rechtliches Argument, das eine Ausnahme vom Diskriminierungsverbot rechtfertigt, nannte die WDR-Pressestelle den Sozial- und Bestandsschutztarifvertrag, der die Beendigung des arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnisses mit dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters vorsieht. Damit fällt in der Praxis vor allem der „Bestandsschutz“ weg, also Zahlungen nach Beendigung der Tätigkeiten.
Der besagte Tarifvertrag sieht allerdings nicht vor, dass die Beschäftigung im Alter beendet werden soll oder muss. Ausdrücklich ist darin beispielsweise der Anspruch auf Urlaubsentgelt auch für Menschen im Rentenalter vorgesehen, wenn sie weiter in größerem Umfang für den Sender arbeiten. Nach Auskunft des WDR waren es zu Sylvester 2024 immerhin 77 Menschen über 67 Jahre, die Anspruch auf Urlaubsentgelt 2024 hatten. Diese kamen also in dem halben Jahr vor dem Urlaubsantritt auf mindestens 42 Beschäftigungstage.
Auch deshalb sieht Rechtsanwalt Ziegler die Wirkung des Tarifvertrags genau umgekehrt: Er sehe eine Weiterbeschäftigung vor, nicht eine Beendigung. Der WDR verstricke sich hier in einen Widerspruch. Walter Ermel jedenfalls hat einen anderen Rechtsanwalt gefunden, der seinen Fall durchfechten würde – wenn es sein muss über Jahre hinweg bis zum Europäischen Gerichtshof.