Was heißt hier jung?

Öffentlich-rechtliches Fernsehen uninteressant für eine ganze Generation

Braucht das öffentlich-rechtliche Fernsehen einen Jugendkanal, um den Anschluss nicht zu verlieren? Und wenn ja, wie sollte ein solcher Kanal aussehen, damit er funktioniert? Diese und andere Fragen haben Programmmacher und gewerkschaftliche Gremienvertreter Mitte Juli bei einem von ver.di initiierten Workshop beim SWR in Stuttgart diskutiert.


Gut 61 Jahre – das ist das Durchschnittsalter der Zuschauerinnen und Zuschauer der beiden großen öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme Das Erste und ZDF. Damit liegen die Sender zwar nicht am obersten Ende der Skala, aber doch deutlich entfernt von der privat-kommerziellen Konkurrenz wie RTL und ProSieben mit etwa 48 bzw. 35 Jahren. Das lässt nur einen Schluss zu: Junge Menschen können mit öffentlich-rechtlichem Fernsehen in der Regel nichts anfangen – und meiden es deshalb.
Nicht zu Unrecht ist daher, was das TV-Angebot betrifft, längst von einem Generationenabriss bei ARD und ZDF die Rede. Übrigens im Gegensatz zum Hörfunk, wo die Jugendwellen seit Jahren Spitzenwerte erzielen. Doch ein öffentlich-rechtliches Fernsehprogramm, das eine ganze Generation nicht mehr erreicht – wird das seinem gesellschaftlichen Auftrag gerecht?

Vor diesem Hintergrund schwelt seit längerem in der Medienpolitik die Debatte über einen öffentlich-rechtlichen Jugendkanal. Mit der Ankündigung von ARD und ZDF, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe nun konkrete Möglichkeiten zu erörtern, hat die Diskussion an Fahrt gewonnen. Ein Jugendkanal erscheint wahrscheinlicher denn je. Passend zur aktuellen Situation hatte ver.di Mitte Juli Vertreterinnen und Vertreter der DGB-Gewerkschaften in den Rundfunkgremien in den SWR nach Stuttgart eingeladen, um in einem ganztägigen Workshop über die Frage eines Jugendkanals zu diskutieren.
Dabei ging es in einem einführenden Teil stark um all jene Sendeformate der privaten Sender, die besonders erfolgreich sind, also auch von den Jüngeren gesehen werden. Die Liste reichte von den zahllosen Scripted-Reality-Formaten, die Weiterentwicklung auf Scripted-Soap-Formate wie „Berlin Tag und Nacht“ bis hin zu Wettkampf-Shows à la „Schlag den Raab“ und Castingsendungen wie „Das Supertalent“. Dass die zum Teil unterirdische Qualität dieser Sendungen nicht dem öffentlich-rechtlichen Auftrag entspricht, war schnell klar. Dass aber auch die Öffentlich-Rechtlichen selbst gutes junges Programm können, stand ebenso wenig in Frage. Bestes Beispiel: „Walulis sieht fern“, eine unterhaltsam-intelligente Medienkritik auf Eins Plus.

Für einen Jugendkanal

Doch was nützt die beste junge Sendung auf einem digitalen Spartenkanal, wenn die Hauptprogramme an sich überaltert sind? Deshalb warben sowohl Alexander von Harling, Programmchef des ARD-Digitalkanals Eins Plus, als auch Wolfgang Gushurst, Programmchef der SWR-Jugendhörfunkwelle DAS DING, für einen Jugendkanal, nachdem zuvor schon Walter Klingler von der SWR-Medienforschung auf die Notwendigkeit einer „Flottenbildung“ auch bei den Öffentlich-Rechtlichen hingewiesen hatte. Danach seien die Hauptprogramme nach wie vor die Zugpferde, zusätzliche Spartenkanäle aber deckten das ab, was über den Massengeschmack hinausgehe – Beispiel RTL und sein Crime-Ableger RTL Nitro. Die Themen, die junge Leute interessierten, lägen dabei auf der Straße, so von Harling und Gushurst: von Liebe und Freundschaft über Musik und Internet bis hin zu Ausbildung und Beruf. Hierzu müssten die Öffentlich-Rechtlichen ein Forum bieten und gesellschaftliche Entwicklungen begleiten. Und: Es sei ein Imagegewinn für das öffentlich-rechtliche System an sich, mit einem eigenen Kanal auch für jüngere Zielgruppen vertreten zu sein.
Nur eines dürfe ein solcher Sender nicht: aussehen wie das Hauptprogramm. Denn junge Leute wollten anders angesprochen werden, Themen anders vermittelt bekommen – von der Wortwahl bis hin zu den Programmelementen. Ein Beispiel: Wer Junge mit Politik erreichen wolle, käme mit diesem Etikett „Politiksendungen“ nicht weit – durchaus erfolgversprechender wäre ein „Was in der Welt geschieht“.
Dass ein Jugendkanal letztlich nicht die Lösung allein für den öffentlich-rechtlichen Generationenabriss sein kann, war in der abschließenden Diskussionsrunde allen klar. Denn auch die Jüngeren, merkte der stellvertretende ver.di-Vorsitzende Frank Werneke an, seien keine homogene Zielgruppe und bewegten sich zwischen verliebten Teenagern und jungen Menschen nach der Familiengründung, was unterschiedliche Programmansprachen zur Folge habe.
Und auch andere Vorschläge wurden gemacht: Warum zum Beispiel, fragte Barbara Thomaß, Professorin für Medienwissenschaft und Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates, initiiere man nicht lieber einen interkulturellen Kanal angesichts der Tatsache, dass ein Fünftel der Jugend Migrationshintergrund habe. Oder warum, so Ruth Lemmer, freie Journalistin und Mitglied im WDR-Rundfunkrat, nutze man nicht die Dritten Programme für mehr junge Inhalte.

Der Autor

Stephan Kolbe ist Koordinator für Medienpolitik beim ver.di-Bundesvorstand und freier Redakteur.

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