Steigerung um 300 Prozent in der „new economy“ – beim Interesse an Gewerkschaften
Locker war Anfang Februar der Rahmen des „Multimedia Branchenbrunchs“ in Hamburg. Doch ernst der Hintergrund: die deutlicher werdende Krise in der „new economy“
In der Einladung hieß es, Katerstimmung mache sich bei Beschäftigten und Unternehmensvertretern breit. Sie miteinander ins Gespräch zu bringen, auch Informationen von (Weiter-)Bildungseinrichtungen und – selbstverständlich auch – von Gewerkschaften in die Diskussionen einfließen zu lassen, hatten T.I.M. und connexx.av zum Branchenbrunch eingeladen. Die beiden Kurzbegriffe bezeichnen zwei Projekte der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, auf die sich die fünf beteiligten Organisationen schon vorab geeinigt haben: T.I.M. steht für Telekommunikation, Informationstechnik und Medien, connexx.av ist ein Projekt für Beschäftigte im privaten Rundfunk und in der Produktion von Filmen und Fernsehen.
Zirka 100 Medienschaffende aus allen Bereichen des Gewerbes waren dieses Mal zum Branchenbrunch gekommen – 300 Prozent mehr als beim ersten Treffen im vergangenen Jahr. Das war zum Beispiel Klaus Gärtner. Er findet es positiv, dass die Gewerkschaften neue Angebote entwickeln. Er ist zwar schon organisiert – wenn auch nicht bei einer der ver.di-Gewerkschaften – da sein Hauptjob als Redakteur einer Nachrichtenagentur noch nicht so gewerkschaftsfern bis -frei wie die „New economy“ ist. Doch auch in dieser tummelt sich Gärtner inzwischen: Er betreibt nebenbei eine Internet-Agentur und ist in den E-Commerce – den Handel übers Internet – eingestiegen, wo er mit Krawatten und Herren-Accessoires handelt. Sollte das irgendwann überragend laufen und er müsste Angestellte beschäftigen, so sollten die durchaus Tarifverträge haben.
Das ist bei Dr. Lars Birke noch anders. Nach dem Studium von Germanistik, Mathematik und Physik hat er promoviert, entwickelt jetzt aber im eigenen Unternehmen Software und lässt in Ungarn 15 Programmierer für die Firma arbeiten. Aber als ihn ein Kollege fragte, ob er zum Medienbrunch mitkommen wolle, hat er gern eingewilligt: Es sei schon interessant, sich quer durch die Branche mit anderen Menschen austauschen zu können. Auch der Kollege, Ernst Hütteler, entwickelt inzwischen Software, nachdem er zuvor eine Zeitlang in Sachsen als freiberuflicher Journalist gearbeitet hat. „Mal sehen, was die Gewerkschaft für mich anzubieten hat,“ begründet er sein Kommen.
Mark Klauke durchläuft gerade an einem privaten Institut eine Fortbildung zum Online-Redakteur. Zuvor hat er sich im Internet umgetan und geschaut, welches Institut wohl das beste Angebot habe. Klauke ist seit Jahren Mitglied der IG Medien, ist er doch von Haus aus Rundfunkredakteur. Seine Erwartung: „Ich hoffe, dass sich ver.di von Anfang an in diesem Bereich engagieren wird.“ Denn er ist für die Multimedia-Branche sicher: „Der erste Boom ist vorbei.“
Übrigens heißen Gärtner und seine Kollegen in Wirklichkeit anders. Die meisten der in Hamburg Befragten mochten in diesen Umbruchzeiten der neuen Medienwelt ihren Namen nicht unbedingt in M lesen – man könne ja nie wissen, ob Kontakte zur Gewerkschaft für den nächsten Job nicht nachteilig sein könnten. Das ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, bestätigt Meike Jäger von T.I.M. Sie berichtet von einer Multimedia-Agentur, in der eine Kollegin einen Betriebsrat gründen wollte. Das Vorhaben scheiterte: Der Frau wurde am letzten Tag der Probezeit gekündigt.
Jäger kann aber auch Erfolge verzeichnen: Im kleinen Unternehmen Fotodisc wählten die Beschäftigten einen Betriebsrat. Eines gewerkschaftlichen Anstoßes hatte es dafür nicht bedurft. Von sich aus hatte sich der junge Betriebsrat dann an T.I.M. gewandt, und das aus einem Unternehmen heraus, das in Verbindung zu Getty Images steht, einer der großen US-Medienfirmen, die doch angeblich bis tief in ihre europäischen Ableger hinein von einer gewerkschaftsfeindlichen Haltung durchdrungen sind. Wie viele Mitglieder die Gewerkschaften inzwischen in der kleinen Firma hat, vermag Jäger nicht zu sagen: „Ich frage beim ersten Treffen nicht gleich nach der Mitgliedschaft.“ Einer jungen Truppe, die in Hamburg an dem Ausbildungsgang „Medienführerschein“ teilgenommen hat, legt die Gewerkschaftssekretärin allerdings bei der Verabschiedung vom Medienbrunch schon nahe, einen Beitritt zur IG Medien in Erwägung zu ziehen.
Kurzfristige Erfolge bei der Mitgliederwerbung sind aber in dieser individuellen Branche offensichtlich nicht zu erzielen. Da geht der lange Atem schon mal aus. Jüngst hat die übergeordnete T.I.M.-Steuerungsgruppe selbst für einige der T.I.M.-Projektmitarbeiter überraschend beschlossen, das Projekt T.I.M. nicht in der bisherigen Form fortzuführen, sondern dem künftigen ver.di-Fachbereich Telekommunikation, Informationstechnologie, Datenverarbeitung einzugliedern. Das M der Abkürzung könnte ja einfach vom Kürzel für Medien zu dem für Mobilfunk gemacht werden, meinte ein Vorstandsmitglied der Post-Gewerkschaft.
Die IG Medien beurteilt die bisherigen Ergebnisse des Projektes, insbesondere die Aktivitäten von Meike Jäger in Hamburg, sehr positiv. Frank Werneke vom Geschäftsführenden Vorstand der IG Medien sagte dazu, dass das Projekt für den Schwerpunkt Online/Multimedia ohne Einschränkungen im Fachbereich Medien von ver.di weitergeführt werde. Wo sinnvoll, in enger Cooperation mit Connexx. Meike Jäger ist dazu bereit. Und freut sich schon auf den nächsten Multimedia-Branchenbrunch im Sommer.