dpa ohne „Tische“

Größter Strukturveränderung in der 50jährigen Agenturgeschichte fallen auch Arbeitsplätze zum Opfer

Die dpa-Landesbüros Stuttgart und München haben es mit einem zweimonatigen Modellversuch hinter sich, was die anderen sechs in den nächsten Monaten durchrütteln wird: die gravierendste Umstrukturierung seit Bestehen der Nachrichtenagentur. Mit den so genannten „Tischen“ wird eine komplette Organisationsebene abgeschafft. Damit verschwinden die Jobs der Redakteure vom Dienst (RvD).

Bisher galten die „Tische“ als Nervenzentralen der Regionalredaktionen. Hier liefen alle Informationen zusammen, redigierten die Tischredakteure die Meldungen der Redakteure und Korrespondenten, prüften sie auf Genauigkeit und schickten sie „auf den Draht“. Künftig werden sich in „Kompetenzteams“ zusammen geschmiedete Redakteurinnen und Redakteure gegenseitig redigieren und ihre Beiträge selbst in Dienst geben. Bis zu 20 Stellen sollen, wie aus zuverlässigen Quellen zu erfahren war, so zunächst gestrichen werden. Eingespart werden sollen auch die Funktionszulagen von monatlich 500 Euro, mit denen Tischredakteuren ihre stressige, unter steter Zeitnot zu leistende Arbeit verzuckert wurde. Die einstigen RvD werden entweder in die Teams eingegliedert oder bekommen andere Aufgaben angeboten.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Zeitungskrise – 15 Prozent der dpa-Verträge mit Tageszeitungen laufen 2003 aus und müssen unter Druck neu verhandelt werden – reagiert die Agentur mit Abspecken. „Wir beseitigen Inflexibilitäten, werden kompetenter, schneller, sichern die Qualität des Angebotes“ sagt Dr. Walter Richtberg, Vorsitzender der dpa-Geschäftsführung. Für ihn ist Kern der Reform, dass die Trennung zwischen berichtenden und redigierenden Journalisten aufgehoben wird. Eine Streichung von bis zu 20 Stellen will er nicht bestätigen. Wenn Stellen wegfallen, dann werde man sich bemühen, ohne betriebsbedingte Kündigungen auszukommen, gibt sich der dpa-Chef vage. Welche Lösungen sich abzeichnen, werde jetzt mit den Betriebsräten besprochen. „Zähneknirschend haben wir die Strukturreform als vorausschauende Maßnahme akzeptiert, obwohl auch das letzte Geschäftsjahr trotz sinkender Bezugspreise für unsere an die Auflagenhöhe der Zeitungen gekoppelten Dienste durchaus positiv abgeschlossen wurde,“ meint Reino Gevers, Betriebsratsvorsitzender der Zentrale in Hamburg. „Wir wollen betriebsbedingte Kündigungen vermeiden, die es in wirtschaftlicher Paniksituation mit Sicherheit geben würde.“ Er bezweifelt dennoch, dass der Gesamtpersonalbestand von insgesamt 900 Beschäftigten gehalten wird. Schon jetzt sei sichtbar, dass Kollegen am angebotenen anderen Arbeitsort aus fester Beschäftigung in die Position von Pauschalisten gedrängt werden, wie es einem Stuttgarter künftig in Berlin ergehen soll.

Geteiltes Echo

Mit der Reform dagegen verkrustete Strukturen aufzubrechen und Kolleginnen und Kollegen mehr Eigenverantwortung zuzuweisen, hält Gesamtbetriebsratsvorsitzende Helene Josqui aus Frankfurt am Main nicht für die schlechteste Idee. Das Echo darauf sei geteilt, „einige sind begeistert, andere nicht. Am wenigsten die Tischredakteure, die am meisten verlieren.“.

Schon seit längerem treiben Qualitätsdebatten auch die Agenturjournalisten um. Da Zeitungen sich die Schlussredaktionen sparen, nimmt der Druck auf dpa zu, Meldungen passfertig zu liefern, um sie unverändert ins Blatt hieven zu können. Nicht mehr 50-Zeilen-Korrespondenzen sind gefragt, sondern knackige 30-Zeiler. Zu Lasten der Politikdienste wächst der Bedarf an vermischten und Boulevardthemen. All das soll in den Teams jetzt zeitlich besser koordiniert und kompetenter gehändelt werden.

In München, einer der beiden Testregionen, ist die Stimmung positiv. „Gemeinsam wird diskutiert, es macht mehr Spaß“ bestätigt der bayrische dpa-Betriebsratsvorsitzende Jürgen Balthasar. „Durch den Abbau der Hierarchien arbeiten die Kolleginnen und Kollegen auf gleicher Augenhöhe.“ Die Flut der Meldungen sei in den drei Teams besser verteilt, es bleibe mehr Zeit zum Redigieren. Die Hauptproduktion verlaufe gebündelt, in den Randzeiten würden die Basisressorts in Hamburg und Berlin einspringen.

Mit mehr Bedenken gingen die Stuttgarter aus der Testphase in die neue Realität. Prinzipiell würden die notwendigen Veränderungen befürwortet, sagt Betriebsratsvorsitzender Elmar Dreher. „Doch wir müssen sehen, wie sich alles einspielt. Personelle Schwächungen sind nicht mehr zu verkraften, wir arbeiten schon an der Schmerzgrenze.“ Eine Schwarz-Weiß-Sicht sei unangebracht. „Viele Vorteile, viele Probleme und mit Sicherheit für einzelne mehr Belastung,“ fasst Dreher zusammen. Für die Hamburger Zentrale zeichnet sich durch die zusätzliche Übernahme der regionalen Dienste nach 18 Uhr die Mehrbelastung schon ab. „Weniger zu machen zugunsten größerer Qualität wird schwierig sein,“ befürchtet Reino Gevers. „Im Gegenteil: Es wird zu Arbeitsverdichtung kommen, denn mehr Meldungen von Freien und Pauschalisten sind zu redigieren. Dafür bleiben dann Außentermine und Kontaktpflege auf der Strecke.“ Gespart werde auch am Nachwuchs. „Seit zwei Jahren sind kaum mehr Volontäre übernommen worden, sonst waren es im Schnitt immer 20. Für dieses und nächstes Jahr wird es so gut wie keine Neueinstellungen junger Redakteure mehr geben.“

Hart am Verhandeln

Derzeit sind die Betriebsräte und die Tarifkommission mit der Geschäftsführung hart am Verhandeln, um die neuen Konditionen abzufedern und beispielsweise auch die veränderte Rolle der einstigen Tischredakteure zu klären. „Schon vor Jahren ist die Belegschaft in Vorleistung gegangen um einer sicheren Zukunft willen. So hat die ehemalige Gruppe 4 Alleinverantwortliche Redakteure bereits erhebliche Gehaltseinbußen bis zu zehn Prozent hingenommen,“ erklärt Gevers. „Jetzt muss von Arbeitgeberseite auch mal was kommen. Wir fordern durchgehende Tariferhöhungen von drei Prozent.“ Die erste Verhandlungsrunde um den neuen Haustarif am 15. Januar endete allerdings „sehr unerfreulich“, so Gevers. „Die Geschäftsleitung stellte sich auf BDZV-Position, bot 2,4 Prozent und vier Leerlaufmonate. Das kommt für uns nicht in Frage.“ Im Februar soll weitergeredet werden.

 

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