„Überalterte Besitzstände“

„Hundert,6“ – Gafron will Urlaub kürzen

Der Berliner Radiosender „Hundert,6“ will seinen Festangestellten den Urlaub kürzen. Per Rundbrief rief die Geschäftsleitung Ende Januar alle fest angestellten Mitarbeiter auf, „freiwillig“ auf fünf Tage ihres Jahresurlaubs zu verzichten – ohne finanziellen Ausgleich. Zur Begründung der „Bitte“ heißt es in dem von den beiden Geschäftsführern Georg Gafron und Wolfgang Eitzen gezeichneten Schreiben: „Die Herausforderung besteht darin, nicht nur im harten Wettbewerb weiter zu bestehen, sondern auch die Entwicklung der Schere zwischen Kosten und Ertrag unter Kontrolle zu halten“. Nur so sei der Erhalt der Arbeitsplätze auf Dauer möglich.

Finanzielle Schwierigkeiten des Senders, so Gafron auf Nachfrage, steckten nicht hinter der ungewöhnlichen Maßnahme. Im Zeitalter der Globalisierung sei der Standort Deutschland gefährdet. Die Arbeit sei zu teuer, es gebe zu viel Freizeit. Dies erfordere auch „Mut zu unpopulären Maßnahmen“. Das Festhalten an „überalterten Besitzständen“ sei unzeitgemäß. Gafron: „Ich möchte ein Signal setzen, dass es so nicht weiter geht.“

Nach Angaben von Gafron hatten bis zum 3. Februar 77 von insgesamt 133 Mitarbeitern ihre Bereitschaft zum Verzicht erklärt. Mitarbeiter, die ihre Unterschrift verweigern, sollen aber keine Nachteile erleiden. Gafron: „Niemand kann und soll von uns gezwungen werden.“ Wenn bei den Nichtunterzeichnern „das Bewusstsein noch nicht so weit entwickelt“ sei, bedauere er dies allerdings. Anders klingt es in einem anonymen Schreiben, mit dem sich ein Teil der Belegschaft zur Wehr setzt: „Wir sehen uns ernsthaften Repressalien ausgesetzt, sollten wir dieses Diktat nicht unterschreiben.“

Die IG Medien, Landesbezirk Berlin-Brandenburg, erklärte in einer Pressemitteilung, die geplanten Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen stünden im Widerspruch zu den „hohen Einschaltquoten“ des Senders und dem „Ziel, demnächst Marktführer im Hauptstadtradio zu sein“. Die Gewerkschaft forderte ihre Mitglieder auf, „solchen vertraglichen Regelungen nicht zuzustimmen“.

Auch der Deutsche Journalistenverband bezeichnete das Vorgehen des Senders als „völlig indiskutabel“.

Barbara Groth, TV-Chefin beim Sender Freies Berlin und Georg Gafron durch eine Intimfeindschaft verbunden, kommentierte den Vorgang in der „Berliner Zeitung“ so: „Vielleicht verlegt Herr Gafron seine Sender ja gleich nach Japan, dort sind die Mitarbeiter mit noch weniger Urlaub zufrieden.“

Für rechtliche Schritte gegen den Sender, der sich zu 100 Prozent im Eigentum von Thomas Kirch befindet, besteht kaum eine Handhabe. Der Rundfunk-Tarifgemeinschaft gehört der Sender nicht an.

nach oben

Weitere aktuelle Beiträge

Fakten, Fame und Follower

Im Netz dominiert mittlerweile der Content, den kommerzielle BigTech-Plattformen pushen. Er ist nicht mehr gebunden an eine „öffentliche Aufgabe“ von Journalismus, nämlich durch Information und Fakten zur Selbstverständigung der Gesellschaft beizutragen.
mehr »

Junger Journalismus: Lernen, vernetzen und schützen

Angriffe auf Journalist*innen nehmen zu, online wie auf der Straße. Umso wichtiger, Pressefreiheit nicht nur als Prinzip zu verstehen, sondern sie im Alltag zu verteidigen. Mit diesem Anspruch lud die Jugendpresse Deutschland Anfang November rund 80 junge Medieninteressierte nach Dresden ein. Bei der „YouMeCon kompakt“ ging es um journalistisches Handwerk, Verantwortung und darum, wie man Menschen schützt, die berichten.
mehr »

Lokaljournalismus verliert Quellen

Viele Städte und Gemeinden betreiben inzwischen ihre eigenen Social Media Kanäle und ihre eigene Informationsstrategie. Auch Akteure wie Polizei und Feuerwehr setzen immer mehr auf direkte Kommunikation – was Vorteile hat. Gleichzeitig, so der Verband der Deutschen Zeitungsverleger (VDL), erschwert diese Entwicklung die Arbeit von Lokalkjournalist*innen. Eine Sendung des Deutschlandfunks hat nachgefragt.
mehr »

Deutsche-Welle: Beschäftigte wehren sich

Mitarbeiter*innen der Deutschen Welle (DW) protestieren an der Marschallbrücke in Berlin gegen die geplanten massiven Kürzungen im Etat des deutschen Auslandssenders. Sie wollen bis Freitag jeweils frühmorgens Bundestagsmitglieder auf ihrem Weg ins Parlament um Unterstützung für eine ausreichende finanzielle und personelle Ausstattung der Deutschen Welle bitten.
mehr »